Schneebälle aus dem All – so fing alles an

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BERLIN. (hpd) “Was das Wasser mit den Menschen macht und was die Menschen mit dem Wasser machen”, diesen Fragen gingen die Regisseurin Jennifer Baichwal und der Fotokünstler Edward Burtynsky in ihrem Film “Watermark” nach, der auf der letzten Berlinale im Februar vorgestellt, im Frühling zwei Wochen in den Kinos war und jetzt als DVD allen zugänglich ist. Ein Künstlerfilm, ein Dokumentarfilm, ein Film von schrecklicher Schönheit.

Wasser fließt in einer indischen Vorstadt über uralte quietschende Fabrikräder, die aussehen wie mittelalterliche Folterinstrumente, taucht in einem anderen Stadtrand als stinkende buntgefärbte Lauge in den Abwasserkanälen wieder auf oder wird in China beim Dammbau mit Beton großflächig eingemauert.

Man erträgt es fast nicht mehr, wenn die Kamera in der Eingangssequenz des Streifens immer draufhält auf die graubraunen Schlammmassen, die sich in dem chinesischen Staubecken in die Tiefe wälzen. Riesenmengen, ohne Unterlass, mit einer beängstigenden Wucht. Man wähnt, ein Gemälde von Piet Mondrian vor sich zu haben oder von Josef Albers, wenn man von oben auf die kreisrunden Tomaten- oder Sonnenblumenfelder schaut, die eingerahmt sind von schnurgeraden Wassergräben und bewässert werden von ständig langsam rotierenden Regnern – aus Brunnen, die vor ein paar Jahren noch 20 Meter tief waren und heute 250. Weil der Verbrauch seit langem höher ist als das, was nachregnet.

Strukturen mit Verästelungen, wie man sie an Flechten beobachten kann, erschließt der Blick aus der Vogelperspektive auf die zunehmend ausgetrockneten Zuflüsse des Rio Colorado in Mexiko. Als wüchsen da gigantische algenblaue Pflanzen auf salzgebleichtem Boden. Die Formen wiederholen sich offenbar im Mikro- und im Makrobereich, im Organischen und im Anorganischen.

Dann hält die Kamera hartnäckig fest an dem Blickwinkel auf den ausgetrockneten Grund der Gewässer, den wabenförmig aufgesprungenen staubigen Bodensatz bis weit zum Horizont. Ein altes Fischerboot steckt noch fest in dieser von Menschen geschaffenen Wüste.

Aber am Wasser schärften sich auch der Einfallsreichtum und die Erfindungsgabe des Menschen. Im südchinesischen Meer begleitete das Filmteam die Arbeit eines Abalone-Züchter-Dorfes. An Pfählen festgemacht haben die Schneckenzüchter ein schwimmendes Netzsystem gezogen, an dessen Algenmantel die begehrten Seeschnecken angesiedelt sind, vom Flugzeug aus anzusehen wie Spitzendeckchen. Das funktioniert nur, wenn das ganze Dorf zusammenarbeitet. “Es ist wie mit der Freundschaft”, sagt strahlend einer der Fischer, “ein Pfahl allein kann vom Sturm weggerissen werden, aber viele zusammen halten sich gegenseitig wie Freunde, die sich helfen.” Umgedrehte Pyramiden schufen in Südindien die Bauern im 12. Jahrhundert, Brunnen, über deren Treppen man viele Stockwerke tief hinabsteigen kann, um auch in den Trockenzeiten an das Wasser heranzukommen. Schwindelfrei sollte man allerdings sein.

Über Jahrtausende vermutete man das Numinose in der Nähe des Wassers. Es weckt aber auch den Spieltrieb des Menschen. An den Ufern des Ganges, wo alle zwölf Jahre 30 Millionen Menschen zusammentreffen, um sich von ihrer Schuld reinzuwaschen, zeigt der Film im Gegenlicht vor glitzernden Wellen zwei junge Mädchen, die in souverän beherrschter Akrobatik Saltos und Räder schlagen. Der Mühsal des Lebens scheint eine kleine Verschnaufpause gegönnt. Gegenstand luxuriöser Verschwendung wurde das Wasser in den USA, wo in Arizona Wasserstädte mit Pfahlbauten in der Wüste entstanden oder in Las Vegas hochhaushohe Kaskaden von gaffenden Touristen bestaunt werden.

Als riesige Schneeballkometen gelangte das Wasser einst auf die Erde, als unser Planet noch im Entstehen war, erklärt ein dänisches Forscherpaar des Kopenhagener Nils-Bohr-Instituts, das die Geschichte der Warm- und Kaltzeiten anhand von Gletscher-Bohrungen analysiert. Die Erde ruht wie ein Embryo in der sie umschließenden Hülle aus Wolken, sagt ein Tlingit-Indio in Kanada heute vor der Gletscherkulisse eines Nationalparks, hoch oben in den Bergen, wo aus Wolken Gewässer werden.

 


Jennifer Baichwal, Edward Burtynsky: “Watermark”, Senator Filmlounge 2014, DVD ohne Altersbeschränkung, 87 Minuten,14,99 Euro