Wie sich die Angst vor dem Weltuntergang verändert hat

(hpd) Die einen fürchten, ihnen könnte der Himmel auf den Kopf fallen, die anderen erwarten, dass Gott seine Schöpfung vernichtet. Die Angst, das Ende der Welt könnte noch zu Lebzeiten kommen, ist in der gesamten Kulturgeschichte feststellbar.

Doch nicht alle ängstigten sich vor der Bedrohung, manche sehnten den Moment herbei – sei es, weil sie daraus Profit schlugen, sei es, weil sie sich vom Weltuntergang Erlösung versprachen. Peter Dinzelbacher gibt in seinem neuen Buch über Weltuntergangsphantasien einen Überblick über die historischen Erscheinungsformen und analysiert, warum Menschen an die Apokalypse glauben und wozu dieser Glaube ausgenutzt werden kann. Der hpd sprach mit dem Autor über Kirchenportale, Klimawandel und den Jüngsten Tag.

 

hpd: Weltuntergangsängste lassen sich bereits in der Antike feststellen; was ändert sich mit dem Aufkommen der Erlösungsreligion Christentum?

Peter Dinzelbacher: Während die antiken Vorstellungen vom Weltende primär ein Teil der naturwissenschaftlichen Kosmologie waren und nicht mit den Göttern verbunden, wurden sie nun Teil der religiösen Lehre: Gott vernichtet seine Schöpfung.

 

Liegt falsch, wer annimmt, dass die Darstellung des Jüngsten Gerichts auf Kirchenportalen und die Thematisierung in Predigten vor allem eine disziplinierende Funktion hatte?

Keineswegs, zumal in der mittelalterlichen Kunst die Drohungen der Höllenstrafen deutlich plastischer vorgestellt wurden, als die himmlischen Verheißungen.

 

Wann hat sich die Kirche vom Weltuntergang verabschiedet?

Seit dem 19. Jahrhundert tritt dieser Bestandteil der Lehre, obwohl dogmatisch festgeschrieben, im Zuge der Anpassung an das Bild vom lieben Gott und der Demokratisierung der Gesellschaft ganz zurück, zumal die Höllenvorstellungen nach der Kritik der Aufklärung nicht mehr haltbar erschienen.

 

Aber die Apokalypse verschwindet ja nicht aus dem religiösen Denken. Wer wird denn zum Träger dieser Vorstellungen?

Sie werden praktisch nur mehr von Sekten vertreten, die das Muster der “wenigen Auserwählten” umso lieber pflegen.

 

Interessant fand ich Ihre Beobachtung, dass in der Reformation der Jüngste Tag nicht mehr in erster Linie als Tag der Angst, sondern auch als Tag der Hoffnung erscheint. Wie kommt es zu diesem Wandel?

Aufgrund des Prinzips, die Lehre nur mehr auf dem Bibeltext aufzubauen, und wegen Luthers Skepsis gegenüber dem letzten Buch des Neuen Testaments.

 

Sie üben auch Kritik an ökologisch begründeten Untergangsszenarien. Aber haben diese im Gegensatz zur Angst vor dem Jüngsten Gericht einen realen, empirisch überprüfbaren Kern?

Gewiss, nur hätte man es nicht nötig, die Daten durch Fälschungen zu dramatisieren, wenn die Bedrohung wirklich so aktuell wäre. Auch werden systematisch jene wissenschaftlichen Ergebnisse ausgeblendet, die zeigen, dass Klimaveränderungen durch vom Menschen nicht beeinflussbare Ursachen geschehen. Nur wenn man jene Komponenten betont, die menschlich verursacht sind, kann man die entsprechenden Ängste politisch funktionalisieren.

 

Gibt es einen Unterschied zwischen säkularen Untergangsängsten und religiösen?

Erstere müssen ohne Verweis auf ein Leben nach dem Tode auskommen, können also eine “Bestrafung” nur für die kommenden Generationen androhen und kein ewiges höllisches Leben in einer Transzendenz.

 

Im zweiten Teil Ihres Buches, das sich mentalitätsgeschichtlichen Aspekten zuwendet, findet sich eine erhellende Passage über den Zusammenhang von Angsterzeugung und dem Angebot, die Angst abzubauen. Ist das für Gruppierungen, die den nahen Weltuntergang vorhersagen generell typisch oder gilt diese Beobachtung nur für eine bestimmte historische Periode?

Nein, da es sich um allgemeine Momente der menschlichen Psyche handelt, wurde und wird gezielte Angsterzeugung, verbunden mit dem Versprechen der Abhilfe, in allen Epochen sowohl in den Religionen als auch der Politik angewandt. Es ist für uns, ethisch betrachtet, ein eminenter Unterschied, ob Angst vor dem Weltende und dem Teufel oder den Hexen, den Homosexuellen, den Fremden… erregt wird, aber sie kann stets nach demselben psychologischen Muster von jenen zugunsten ihrer Macht funktionalisiert werden, die behaupten, Abhilfe anbieten zu können, sei es durch Vorschreibung der “richtigen” religiösen oder ökologischen Leistungen, sei es durch Vertreibung oder Liquidierung der gefürchteten Menschen.

 

Die Fragen stellte Martin Bauer.

 


Peter Dinzelbacher: Weltuntergangsphantasien und ihre Funktion in der europäschen Geschichte. Aschaffenburg: Alibri 2014. 210 Seiten, Abbildungen, kartoniert, Euro 17.-, ISBN 978–3–86569–175–0

Das Buch ist auch erhältlich bei unserem Partner denkladen.de.