Aufstieg und Fall der Muslimbruderschaft

(hpd) Annette Ranko beschreibt in ihrem Buch “Die Muslimbruderschaft. Portrait einer mächtigen Verbindung” den Aufstieg und Fall der islamistischen Organisation in Ägypten. Das gut lesbare und überaus informative Werk nimmt auch eine klare politische Einschätzung vor und zeichnet die Entwicklung der Muslimbruderschaft vor dem Hintergrund der ägyptischen Geschichte nach.

Nach dem Aufbruch des “Arabischen Frühlings”, also dem Sturz diktatorischer Regime, erhofften sich viele Beobachter eine Demokratisierung der dortigen Region. Es kam sehr wohl zu relativ freien Wahlen – und dabei gewannen mitunter die Islamisten und Salafisten. Dies war jedenfalls in Ägypten der Fall, wo sie 2011/2012 zusammen 71 Prozent der Stimmen erhielten. Mittlerweile ist der dadurch gewählte Ministerpräsident Muhammad Mursi gestürzt worden, gelang es dem der Muslimbruderschaft nahestehenden Politiker doch nicht, die Probleme des Landes in den Griff zu bekommen.

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Das säkular orientierte Militär hatte die Chance zum Staatsstreich ergriffen und seine frühere Machtposition wieder eingenommen. Doch wie erklärt sich der Aufstieg und Fall der Muslimbruderschaft? Dieser Frage geht Annette Ranko in ihrem Buch “Die Muslimbruderschaft. Portrait einer mächtigen Verbindung” nach. Es handelt sich um eine Art eingängig geschriebene Fassung ihrer Doktorarbeit, die der Entwicklung der Organisation unter Mubarak gewidmet ist.

Darin geht sie zunächst der Entstehung und Entwicklung der Organisation nach, wobei auch der Begründer Hassan al-Bana ausführlich gewürdigt und die Existenz eines bewaffneten Geheimapparates thematisiert wird. Dem folgen Ausführungen zur Entwicklung der Muslimbruderschaft an die Spitze der Opposition in Ägypten, konnte diese doch ihre “große Graswurzelanhängerschaft in politisches Gewicht” (S. 43) verwandeln. Entscheidend dafür seien in einer Kombination von Wirkungsfaktoren die Politik des Mubarak-Regimes wie interne Entwicklungen in der Organisation.

Ausführlich geht Ranko auch auf die politische Ausrichtung der Muslimbruderschaft ein. So heißt es etwa: “Der dezidiert islamistische Charakter der anvisierten politischen Ordnung – der im Widerspruch zu einigen liberal-demokratischen Prinzipien steht – ist klar und deutlich in den Programmschriften offengelegt. Vom Wolf im Schafspelz kann also nicht die Rede sein, denn die Organisation macht aus ihren islamistischen Zielsetzungen keinen Hehl” (S. 74).

Und weiter heißt es: “Da der Staat der Muslimbrüder die Rechte seiner Bürger einschränkt und sein Konzept des Staatsbürgers im Islam verankert, ist er nicht mit einer liberalen Demokratie im westlichen Sinne vereinbar” (S. 88). Diesen deutlichen Einschätzungen folgen Berichte über Gespräche, welche die Autorin mit einfachen Aktivisten wie führenden Kadern führte. Sie geben einen authentischen, wenngleich nicht notwendigerweise repräsentativen Eindruck von dem Selbstverständnis der Akteure.

Diesen Ausführungen folgt eine Darstellung und Einschätzung der Muslimbrüder an der Macht, von dem Erfolg bei Wahlen bis zum Scheitern nach den Protesten. Gegen Ende geht Ranko noch einmal auf die Frage nach dem wahren Gesicht der Organisation ein. Trotz ihrer öffentlichen Bekanntheit auch und gerade in der westlichen Welt liegen zu wichtigen Fragen bislang noch keine genauen Erkenntnisse vor. Dies gilt insbesondere für die internationale Verflechtung der Muslimbruderschaft mit Organisationen in anderen Ländern.

Ranko hat eine überaus kenntnisreiche und gut lesbare Darstellung zum Thema vorgelegt. Bedauerlich ist das komplette Fehlen von Belegen in Fußnoten, welche sie wohl der Buchausgabe ihrer Dissertation vorbehält. Differenziert geht die Autorin in Darstellung und Einschätzung vor, so etwa bereits zu Beginn mit der Unterscheidung von Muslimbrüdern und Salafisten. Auch wenn die Beschreibung der historisch-politischen Ereignisse dominiert, so liefert Ranko doch überzeugende Erklärungen etwa für den Aufstieg der Organisation als Kraft der Opposition.

Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Ausführungen zur Ideologie der Muslimbruderschaft und deren Spannungsverhältnis zur Demokratie. Kühl und sachlich betont sie den Gegensatz zu den Prinzipien eines liberalen Rechtsstaates. Bezogen auf deren Erfolge heißt es auch: “Die Gruppe war nie nur auf den ‘Islam’, sondern immer auch auf die Gesellschaft und deren Bedürfnisse ausgerichtet” (S. 157). Diese beiden Facetten in Kombination miteinander berücksichtigt leider nicht jede Arbeit zum Islamismus.

 


Annette Ranko, Die Muslimbruderschaft. Portrait einer mächtigen Verbindung, Hamburg 2014 (Edition Körber-Stiftung), 163 S., ISBN: 978–3–89684–157–5, 14,00 Euro