Was ist der "Heilige Krieg"?

Im 13. Jahrhundert fallen die Mongolen unter Dschingis-Khan und Tamerlan aus dem Osten in noch viel grausamerer und verheerender Weise als die Kreuzfahrer über die arabische Welt her. Zwar wird ihre Eroberung vor Syrien gestoppt, ihretwegen geraten aber die islamischen Juristen und Theologen in einen heftigen Streit über eine neue Deutung des Dschihad. Die theologisch komplizierte Lage: viele unter den Angreifern, zum Teil ganze Völkerschaften aus dem Osten, gehörten selbst dem Islam an. Daraufhin billigte der syrische Rechtsgelehrte Ibn Taimija einen Dschihad auch dann, wenn er gegen eigene Glaubensbrüder gerichtet war. Wenn diese Moslems sich in Wirklichkeit wie Ungläubige verhielten und somit Abtrünnige und Ketzer waren. Diese Ausnahmeregelung hatte in den folgenden 400 Jahren nach dem Überfall der Mongolen keine größere Bedeutung mehr. Aber in unseren Tagen wird diese Vorstellung erneut eindringlich von den Fundamentalisten und ihren verschiedenen Gruppierungen vertreten und umgesetzt.

Einige der modernen Gruppierungen der islamisch-arabischen Welt, die sich ab den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts unmissverständlich auf den Dschihad beriefen, waren die Muslimbrüder, die sich vorgenommen hatten, den Kampf gegen die kapitalistische und dekadente westliche Welt zu führen. Sie haben zahlreiche Nachahmer im heutigen Saudi-Arabien, Ägypten, Pakistan, Afghanistan und Palästina gefunden. Sie propagieren den politischen Mord und rufen zu Selbstmord-Attentaten auf, indem sie zu den fünf - seit Mohammeds Zeiten festgelegten - Säulen des Islam eine weitere hinzu erfinden: Der Dschihad ist nicht nur eine Pflicht für jeden Muslim, sondern er ist die sechste Säule des Islam und steht auf einer Stufe mit Gebet, Pilgerfahrt, dem Fasten, der Wohlfahrt und dem Bekenntnis zu Gott. Nach dieser Doktrin sind alle, die sich nicht am Glaubenskrieg beteiligen, Feinde des Islam. Solche Muslime dürfen folglich von den eigenen “wahren” Glaubensgenossen getötet und vernichtet werden. Ab den fünfziger Jahren dieses Jahrhundert haben die Muslimbrüder in Ägypten allerdings die Abkehr von jeglicher Gewalt erklärt - was in der westlichen Welt aber kaum zur Kenntnis genommen wird.

Mohammed stellt sich den zahlenmäßig überlegenen Truppen

Mohammed (den Regeln des Islam entsprechend ohne Gesicht gemalt) stellt sich den zahlenmäßig überlegenen Truppen; türkische Miniatur aus dem 18. Jh., Bibliothek des Topkapi Sarayi Müzesi, Istanbul

Abschließend ist festzustellen: selbstverständlich gibt es im Koran, im Islam und in seiner geschichtlichen Wirklichkeit von Anfang an den Dschihad als eine Aufforderung zum politischen Kampf, ja Krieg, gegen seine Gegner und Widersacher. Der Begriff enthält die doppelte Bedeutung: die eines friedlichen Ringens um den persönlichen wahren Glauben, “zu versuchen, ein guter Mensch zu sein” (der “Große Dschihad”) und die eines politischen gewaltbereiten Kampfes gegen die Ketzer und die Ungläubige in den eigenen Reihen und die sie bedrohenden Herrscher in aller Welt (der “Kleine Dschihad”). Aber das Wort “heilig” wird dabei auf jeden Fall nicht verwendet.

“Dschihad” - ein “Heiliger Krieg” auch im Christentum?

Anders als der Islam, der von Anfang an kriegerisch und erobernd auftritt, trat das Christentum von Jerusalem aus nur missionierend in Erscheinung. Die frühen Christen erwarteten nach der Auferstehung und Himmelfahrt Jesu dessen baldige Wiederkehr im Jüngsten Gericht und damit die Endzeit der Welt. Als 70 nach Christus der jüdische Tempel in Jerusalem - in dem auch die Christen immer noch beteten und opferten - von den Römern zerstört wurde, brach die Endzeitstimmung zusammen. Die christlichen Gemeinden, nun klar von den jüdischen Gemeinden getrennt, wandten sich allen erreichbaren Menschen und Religionen des Römischen Reiches zu, um sie dauerhaft zu bekehren. Für 300 Jahre agierten sie als Minderheit - mit kaum mehr als 5 Prozent Anteil an der Bevölkerung - unter großen persönlichen Schwierigkeiten und hatten unter der Verfolgung durch die Kaiser des Römischen Reiches zu leiden. Dabei selbst Gewalt auszuüben, daran war gar nicht zu denken. Schließlich hatte doch Jesus in der Bergpredigt ihnen mit auf den Weg gegeben, sie sollten, würden sie auf die rechte Backe geschlagen, doch auch die andere noch hinhalten.

In dem vom Militär dominierten Imperium Romanum fanden sich bald zahlreiche heidnische Soldaten und Söldner aus aller Welt, die sich dem christlichen Glauben anschließen wollten. Die Gemeinden mussten sich jetzt die Gewissensfrage stellen: Kann und darf ein Christ überhaupt Soldat sein? Darf man folglich Soldaten in die verfolgten, geheimen und streng reglementierten Gemeinden aufnehmen? Die lapidare biblische Antwort “… lasst euch genügen an eurem Sold” (Lukas 3, 14) half da nicht sonderlich weiter. Radikale christliche Gruppierungen verweigerten den Soldaten die christliche Taufe.

Als sich der spätere Kaiser Konstantin 312 im Kampf um die Herrschaft vor Rom ein christliches Zeichen auf die Fahnen heftete, änderte sich die Situation der christlichen Gemeinden und ihrer eher gewaltfreien Theologie grundlegend. Das Christentum wurde nun zur bevorzugten Religion und 372 schließlich anerkannte Staatsreligion. Massenhaft strömten Taufbewerber in die Kirchen. Ihre zuvor eingezogenen Güter an Häusern, Inventar und Spendensammlungen wurden ihnen zurückerstattet. Nicht nur dies: mit aufwendigen Geldern - vor allem für den Bau prächtiger Kirchen - unterstützten die Kaiser in Rom und Byzanz die neu gebildeten Diözesen von Trier bis Jerusalem. Die dortige Grabeskirche und die Hagia Sophia in Istanbul legen heute noch Zeugnis davon ab. Zu dieser neuen politischen Macht, zu der die Christen vom Bettler bis zum Kaiser jetzt selbst gehörten, mussten sie ein neues Verhältnis finden. Eine neue Deutung ihrer biblischen Tradition musste her. Und auf jeden Fall eine neue Deutung staatlicher und militärischer Macht. Das besorgte vor allem der prominenteste Theologe seiner Zeit, der Kirchenvater Augustin (354 bis 430). Er entwickelte die Theorie vom bellum iustum, dem “gerechten Krieg”. Das Römische Reich sei zugrunde gegangen, weil es nicht mehr gerecht vor Gott gehandelt habe. Das Christentum würde nun seine Stelle einnehmen und eine gerechte Herrschaft und die dazu notwendigen Kriege führen. Es galt, dem einzelnen Christen ein friedliches und gottwohlgefälliges Leben zu ermöglichen und zugleich dem christlichen Staat in seiner politischen und militärischen Macht die notwendige Gewalt zuzugestehen. Dafür konnte in der Bibel durchaus auch der passender Satz gefunden werden: “Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert!” (Matthäus 10,34).

Ohne Skrupel hat die ab dem 6. Jahrhundert stark gewordene Römisch-Katholische Kirche unter der Leitung des Papstes ihre Heidenmission mit “Feuer und Schwert” betrieben. Dazu nutzte sie opferbereite, fromme und gebildete Missionare wie Ansgar und Bonifatius für das Abschlagen der sakralen Eiche ebenso wie den Franken-Kaiser Karl den Großen für das Abschlagen der Häupter widersetzlicher Sachsen. Um das Jahr 1000 ging der Gründung von europäischen Staaten meist die Übernahme des Christentums, bzw. die Taufe des entsprechenden Herrschers voraus. In der Regel folgte ein entsprechender Krieg gegen die inneren regional bisher selbständigen Gruppierungen und die äußeren Feinde, deren Land man beanspruchte. Der Erfolg ist ein durch und durch christliches Abendland, für das der Theologe Thomas vom Aquin (1225 bis 1274) nun eine ausgetüftelte Theorie vom “gerechten Krieg”, vom “bellum iustum”, weiter entwickelt und systematisiert. Sie soll das Handeln frommer Fürsten als Kriegsherren und der für sie kämpfenden Soldaten erneut rechtfertigen und auf eine solide kirchlich-theologische Grundlage stellen. Wer Krieg führen will, dem muss nach dieser Lehre ein gerechter Grund (causa iusta) vorliegen. Legitimiert zur Kriegsführung ist allein die autorisierte politische Gewalt (legitima auctoritas). Ein gutes Ziel für einen Krieges ist, wenn eine gebrochenen Rechts- und Friedensordnung wiederhergestellt werden soll (intentio recta). Dabei soll die Verhältnismäßigkeit der kriegerischen Mittel bedacht sein (debitus modus).

Obwohl im Mittelalter die Übernahme des Begriffes “heilig” in Kirche und Gesellschaft fast zur alltäglichen Selbstverständlichkeit wird (vom Heiligen Geist über die verehrten Heiligen bis zu den Heiligen Festen) und auch das in Europa in bestimmende Kaiserreich sich nach und nach selbst als “Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation” beschreibt, kommt erstaunlicherweise dieser Begriff in Form eines “Heiligen Krieges” nicht vor. Gerecht ja, aber heilig nicht. Noch nicht einmal in Verbindung mit den zahlreichen, oft exstatischen Aufrufen zu den Kreuzzügen. Die über drei Jahrhunderte hinweg gültige religiöse Parole, mit der Papst Urban II. um 1095 begonnen hatte, hieß “Deus lo volt!” - “Gott will es!” und war damals der gängige Ruf zu den “bewaffneten Wallfahrten” ins “Heilige Land”. Den ungläubigen Moslems das “Heilige Grab Jesu” zu Jerusalem wieder zu entreißen, das ist ein gerechter Krieg und dient der persönlichen Sündenvergebung, aber er war eben kein “Heiliger Krieg”.