Die Lese-Show mit dem RTL2-Humanisten

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Philipp Möller
Philipp Möller

Köln (hpd) Am 27.03.2015 trat Philipp Möller mit "Isch hab Geisterblitz - Die Leseshow zum Buch" in der Kulturkirche Nippes auf. Wer eine klassische Lesung erwartet hatte, wurde schnell eines Besseren belehrt.

In der humanistischen Szene wird Philipp Möller für sein Engagement bei der Buskampagne, als Beirat und früherer Pressesprecher der Giordano Bruno Stiftung sowie als rhetorisch begabter Diskutant in diversen Talkrunden geschätzt. Deutschlandweit bekannt geworden ist er vor allem mit seinen Bestsellern "Isch geh Schulhof" und "Bin isch Freak oder was". Vor kurzem ist sein drittes Buch "Isch hab Geisterblitz: Neue Wortschätze vom Schulhof" erschienen.

Als ich am Freitagabend um 19:30 Uhr auf den Veranstaltungsort zuging, staunte ich nicht schlecht. In einer unscheinbaren Gasse in Köln-Nippes erhob sich unerwartet eine imposante, stimmungsvoll beleuchtete neogotische protestantische Kirche. Diese ist eine der wenigen "Kulturkirchen" in Deutschland, die am Wochenende für kirchliche Zwecke genutzt wird, aber für kulturelles Programm an Werktagen umgerüstet worden ist. Die Kirchenbänke bleiben dann stehen, aber der Altar verschwindet hinter einen schwarzen Vorhang, sodass davor eine mit Scheinwerfern beleuchtete Bühne entsteht. Das Kirchenschiff dient als mit PA-Anlage beschallter Zuschauersaal.

Vor Beginn der Veranstaltung, die fast so gut besucht war wie ein Weihnachtsgottesdienst, traf ich kurz auf einen bekannten Humanisten, der meinte, er sei auf die kabarettistische Darbietung gespannt. Diese Aussage erstaunte mich ein wenig. Mit Kabarett hatte ich gar nicht gerechnet, sondern mit einer weitgehend konventionellen Lesung, die hier und da durch Charakter-Imitationen bereichert werden würde. Doch es sollte ganz anders kommen.

Philipp Möller macht nämlich ab der ersten Minute seiner knapp zweistündigen Veranstaltung Show - in einem Stil, wie man ihn von Entertainern aus dem Fernsehen kennt. Den Titel "RTL2-Humanist", dem ihm ein Kollege gab, trage er selbstironisch mit einem gewissen Stolz, wird er später zugeben. Zu Beginn des Abends macht er einige Witze, nicht zuletzt über den Veranstaltungsort, wobei er sich dem Szenejargon und Tonfall der "Generation Isch" bedient, der auch Kiezdeutsch oder als "Kanak Sprak" bekannt ist. Als Icebreaker macht Möller aber zunächst ein kleines Quiz nach dem Schema "Osterei-Pädagogik" mit dem Publikum. Er liest einen verschachtelten Satz aus seinem Buch vor, in den sich ein Grammatik-Fehler eingeschlichen hat. Eine clevere Zuschauerin, die ihn findet und sich meldet, erhält ein Möller-Hörbuch.

Nach etwa zehn Minuten Stand-Up-Comedy setzt Möller sich an sein Lesepult und möchte mit der Lesung anfangen. Doch der Schirm der Leselampe lässt sich nicht fixieren und sinkt immer wieder herunter. Was zunächst wie unfreiwilliger Slapstick wirkt, ist in Wahrheit einstudiert und dient als Prompt, damit Möller erklären kann, was eigentlich eine "Leseshow" ist. Er habe sich von Freunden, die meinten, "Du, Buch, Bühne" wäre eine tolle Idee, dazu überreden lassen, ohne selbst zu wissen, was dabei heraus kommen sollte.

Herausgekommen ist ein Stand-Up- und Kabarett-Programm mit wenigen kleinen Lesungs-Häppchen. Lässig wie Mittermeier interagiert Möller mit dem Publikum und macht Pointen über Dinge, die ihn als Lehrerkind fürchterlich aufregen. Dann aber kommt er zum Kern-Programm seiner Show, das sich zum Großteil aus erweiterten Anekdoten aus seinen drei Büchern zusammensetzt. An sich schon absurde Geschichten aus dem Alltag in Berliner Problemschulen werden noch einmal um einiges amüsanter, wenn Möller Wortwahl, Tonfall, Mimik und Gestik seiner Figuren wie ein Hörbuch-Erzähler perfekt imitiert. Insbesondere die Jugendsprache der Schüler trifft er eins zu eins, was jeder bestätigen würde, der ab und zu den Konversationen von Schulkindern in öffentlichen Verkehrsmitteln lauschen darf. Am häufigsten zitiert er "Kalim", den Protagonisten seines aktuellen Buches. Dieser sozial schwache Jugendliche mit seiner arg unkonventionellen Grammatik und Wortwahl stellt sich im Laufe des Abends als Möllers Lieblingsrolle heraus. Hinzu kommen ein lässiger Direktor, eine stark unter Burnout leidende Kollegin, ein zynisch-sarkastischer Kollege, sowie unterbelichtete Pförtner und rechtsradikale sächsische Burschenschaftler.

Möller erzählt – oder vielmehr inszeniert – gewiss zu einem gewissen Teil fiktionalisierte Geschichten über Situationen, die wohl selbst gestandene Lehrer überfordern würden. Doch der Diplom-Pädagoge Möller wird gar ohne Zusatzausbildung vom Assistent der Schulleitung zum Grundschullehrer in sämtlichen Fächern befördert.

Ein Junge mit ADHS vergisst seine Medizin, woraufhin er wild um sich flucht und schlägt, wobei seine Klassenkameraden ihn noch anfeuern. Im Mathe-Unterricht und im Supermarkt bewältigen Schüler und Schülerinnen die einfachsten Rechnungen nicht. Sein Nachhilfeschüler Kalim meint, dass die Berliner Mauer in Österreich stehe, woraufhin Möller ihn kurzerhand spazieren führt, um ihm live die Überreste zu zeigen. Das Highlight jeder Erzählung sind Möllers Sprüche und Imitationen von "abooo" und "ohaaa" als Ausdrücke des Erstaunens über "wallah" (ich schwöre bei Allah) bis zum Zungenschnalzen als abschätzige Negation. Diese "neuen Wortschätze vom Schulhof", um welche es bei Möllers "Isch hab Geisterblitz" geht, kommen keineswegs zu kurz. Die meisten Rollen und Pointen sitzen wie maßgeschneidert, es gibt viele Lacher.

Auch Möllers unerwartete musikalische Einlagen kommen gut an. Kurz vor der Pause greift er plötzlich zur Gitarre, die schon seit Beginn verdächtig herumgestanden hatte. Möller führt mit "Klavier um den Hals", wie seine Schüler das Saiteninstrument nennen, eine Musikstunde auf. Dabei schlägt er stereotypische orientalische, asiatische, mexikanische und andere Akkorde an, die von Schülern unbeholfen mit ebenso stereotypen landestypischen Speisen oder als "unheimlich" identifiziert werden. Dann spielt und singt er einen selbst komponierten Song, in dem es um seine Attitüde als Lehrerkind geht. Nach der Pause rappt er in der Rolle des Kalim "'sch'eiße Kalim" über das Weltbild seines Problemschülers. Das ist zwar nichts noch nie Dagewesenes, aber durchaus solide geschriebenes und gekonnt dargebotenes Kabarett.

Einige wenige Witze werden allerdings ein wenig überstrapaziert. Die Rolle der immer heulenden, schwer unter Burnout leidenden Lehrer-Kollegin fand ich eher bemitleidenswert als lustig. Satirische Monologe aus der Perspektive von Problemschüler Kalim und anderen Proleten wirkten teils beinahe wie eine Didaktik der umgekehrten Psychologie, bei der Möllers progressive Ansichten dem lächerlich engstirnigen Weltbild seiner Figuren gegenübergestellt werden. Daran könnte er für meine Begriffe noch ein wenig feilen.

Dass Möller dem Zuschauer seiner Leseshow seine Lösungsansätze zu komplexen bildungspolitischen Fragen nicht aufdrängt, hat aber auch Vorteile. Die satirische Bestandsaufnahme des wahnwitzigen Alltags in Berliner Problemschulen und im Milieu sozial-schwacher Schüler mit Migrationshintergrund wird dadurch dynamisch, unterhaltsam und unaufdringlich. Das intellektuelle Niveau der Show übersteigt allerdings nur hin und wieder das des Privatfernsehens, weshalb der Titel "RTL2-Humanist" in der Tat nicht weit hergeholt erscheint. Wer sich daran nicht stört, bekommt aber ein Programm dargeboten, das innovativer und witziger ist sowie mehr zum Nachdenken anregt als die Darbietungen vieler prominenter Stand-Up-Comedians.