Rezension

Stille Welten

NEU-BAMBERG. (hpd) Obwohl der Autor in seiner Buch-Vita von zahlreichen Publikationen in Tauchzeitschriften spricht, kenne ich ihn nicht. Weder seine Artikel noch seine Fotos. Neugierig schaue ich in seine Homepage und finde eine gute Auswahl an Unterwasserfotos. Nach über 20 Jahren UW-Fotografie und bei seiner Foto-Ausrüstung kann man das auch erwarten. Dass seine Bilder oft in heimischen Seen und im Mittelmeer entstanden sind, macht mir Jens Hartmann sympathisch.

Ob das allerdings reicht, ein anspruchsvolles Buch mit evolutionärem Charakter zu illustrieren, bleibt fraglich. Meiner Ansicht nach wird der Autor diesem Anspruch nicht gerecht: In einem solchen Werk sollten die doch an Taucher gerichteten, oft schwierigen Texte durch Fotos regelmäßig erklärt werden.

Da besteht ein großes Missverhältnis, hier nur wenige Beispiele: Zum Phänomen El Nino existieren eine Vielzahl drastischer Fotos, so eine Bucht voller toter, an Überhitzung verendeter Fische, oder, zum Korallenlaichen fehlt eines der vielen, beeindruckenden Weitwinkel-Dokumente, oder, zu Themen "woher kommt Korallensand?" und "Nachthemd Papageifische" gibt es genug illustrierende Fotos. Ich vermisse sie - wie wohl auch Laien, die mit dem Buch an den marinen Lebensraum herangeführt werden sollen.

Gegen die Qualität der in Stille Welten abgedruckten Fotos ist kaum etwas zu sagen, sie sind auch gut reproduziert. Gegen die Motive schon: Ich suche in solchen Büchern gern nach ungewöhnlichen UW-Fotos, zumal wenn sie oft ohne Bezug zum Text wahllos eingestreut sind. Durchweg finde ich hier "Allerweltsmotive", lediglich der Halimeda-Geisterpfeifenfisch lässt auf das "Gute Auge" des Fotografen schließen, ist allerdings unscharf. Zu den Symbiosen gibt es ein informatives und - gut verständlich - langes Kapitel über Anemonenfische. Was hat denn bitteschön die Doppelseite Goldstriemen mittendrin zu suchen? Ich hätte da einen Eyecatcher im Weitwinkelform mit einer Riesenfamilie der Anemonenfischarten A. bicinctus oder A. nigripes platziert, wie man sie häufig im Roten Meer und den Malediven antreffen kann. Leider bieten beide subtropischen Hartmann-Tauchgebiete kaum die Motive, um die komplexen Buchthemen zu illustrieren.

Den Anspruch des Buches formuliert der Autor in seinem Vorwort. Er möchte "Taucher und Nichttaucher in eine lehrreiche Reise unter Wasser mitnehmen". Die Themenauswahl dafür ist richtig, nur wenn ich das unglaubliche Literaturverzeichnis sehe oder die vielen Übersetzungen der Fachbegriffe (Exozytose, Aposematismus) im Anhang, frage ich mich, ob er sein Zielpublikum nicht überschätzt. Er schreibt zu Beginn deutlich, dass ihn als promovierten Biologen seine Kollegen zu diesem Buch überredet haben. Mir scheint, bei vielen seiner Texte (blaue Kästen) will er sich diesen gegenüber beweisen.

Man hätte sich von Autor Hartmann noch mehr Eigenerlebnisse gewünscht, die er lesenswert (gelbe Kästen) darstellt. Gern lese ich Passagen, wo er den Begriff Tintenfisch verwirft oder auf die Unsinnigkeit von Delfinterapien hinweist. Aber er zitiert zu viele Fremdtexte, wobei man merkt, dass er sich nicht immer mit diesen auseinandergesetzt hat, z.B. ist über die Reproduktion von Walhaien sehr wohl einiges bekannt. Und wenn er schon kommentarlos die doppelseitige Grafik über Anemonenfische (welcher Normaltaucher kann mit den lat. Namen der Anemonen etwas anfangen?) übernimmt, sollte der Inhalt stimmen: Es gibt z.B. zwei Premnas-Arten.

Jedes Buch, das der Verbreitung der Evolutionsbiologie dient, ist ein Gewinn. So auch dieses Werk. Ich bin gespannt, wie das mehr wissenschaftliche als populär-verständliche Buch von Hartmanns Zielleserschaft angenommen wird.

 


Jens Hartmann: Stille Welten. Faszination unter Wasser, Felicitas Hübner Verlag, Lehrte 2015, 256 S., 36,00 Euro, ISBN 978–3–941911–11–6