Podium spiegelt nicht die Bevölkerung wider

Suizidbeihilfe nur christlich diskutiert?

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Haltende Hände
Haltende Hände, Maik Meid, Flikr CC BY-ND 2.0

JENA. (hpd) Die Imaginata veranstaltet am heutigen Tage eine Podiumsdiskussion anlässlich der Gesetzesentwürfe im Bundestag zur Suizidhilfe. Allerdings wird unter Ausschluss von säkularen Vertretern diskutiert.

In einer E-Mail an die Geschäftsführerin des Vereins kritisiert die Regionalgruppe Mittelthüringen der Giordano-Bruno-Stiftung die unausgewogene Zusammensetzung des Plenums. In dem Schreiben heißt es: "Selbstverständlich steht es Ihnen frei, diejenigen GesprächspartnerInnen einzuladen, die Sie für das Thema maßgeblich halten. Nichtsdestotrotz muss es uns erlaubt sein, diese Auswahl zu kritisieren – erst recht wenn Ihre Auswahl der Diskutanten so einseitig ausfällt. Soweit es anhand Ihrer Gästeliste antizipierbar ist, haben Sie neben einem Theologen ausschließlich weitere christliche Gegner der Sterbehilfe eingeladen."

Die GBS-Regionalgruppe stellt klar, dass Michael Brand gemeinsam mit Kerstin Griese eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten leitet, "die explizit jede 'geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung' unter Strafe stellen wollen." Diese Forderung wird vom humanistischen Bündnis für Selbstbestimmung bis zum Lebensende entschieden abgelehnt und auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hält den Gesetzesentwurf nach einem Bericht der WELT für nicht verfassungsgemäß.

Zugleich ist Brand auch Mitglied der "Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD". Da die Evangelische Kirche in Deutschland die geschäftsmäßige Sterbehilfe ebenfalls ablehnt, verwundert dies nicht.

Aus eben diesem Grund sei auch zu erwarten, dass der evangelische Theologe Jochen M. Heinecke Sterbehilfe ablehnt.

"Für eine ansatzweise ausgeglichene Diskussion wäre es nötig, dass den beiden Gegnern zumindest ein Befürworter der Suizidhilfe entgegengesetzt wird." Doch auch beim dritten Gast auf dem Podium darf daran gezweifelt werden, denn PD Dr. med. Ulrich Wedding ist Chefarzt der Klinik für Innere Medizin II (Palliativmedizin) am Universitätsklinikum Jena.

"Gerade weil Palliativmediziner Sterbehilfe mehrheitlich ablehnen, werden sie üblicherweise als Gegner von Sterbehelfern aufs Podium geholt. Gerne würden wir uns im Fall von Dr. Wedding eines Besseren belehren lassen, doch seine Antworten im Rahmen eines Interviews mit 'tabularasa – Zeitung für Gesellschaft und Kultur' im Jahr 2009 stimmen uns nicht hoffnungsvoll: So scheint er Sterbehelfern grundsätzlich kritisch gegenüber zu stehen."

Auf die Frage, welche Rolle sein Glaube spiele, antwortete er dort: "Mein christlicher Glaube ist wichtig für mich im Umgang mit dem täglich erfahrenen Leid. Die Einstellung, daß wir uns als Lebende das Leben nicht selber nehmen können, das Leben geschenkt ist, ist wichtig. Die Erfahrung, daß Gott auch Mensch geworden ist und auch gelitten hat, ist wichtig, und daß er uns in jedem Menschen, dem wir begegnen, in jedem Gegenüber entgegentritt, sind wichtige Komponenten beim Umgang mit dem Leid."

Die Unverfügbarkeit des eigenen Lebens darf Dr. Wedding gerne für sich persönlich annehmen. Seine Antworten lassen jedoch nicht erwarten, dass er ein Befürworter des Rechts auf Suizidhilfe ist.

Im Ergebnis wird daher drei christlichen Gegnern der Suizidhilfe ein Podium gegeben und keinem einzigen Verfechter des Rechts auf Selbstbestimmung bis zum Lebensende. Dabei sind über 70 Prozent der Thüringer konfessionsfrei. Doch für das Podium wurde dennoch kein einziger säkularer Vertreter eingeladen.

"Nun könnte man argumentieren: Wenn die individuelle Weltanschauung Privatsache sein und politische Diskussionen nicht beeinflussen sollte, dann dürfte dies auch bei der Einladung der Referenten keine Rolle spielen. Wenn aber neben einem Berufschristen auch die beiden anderen Diskutanten die Bedeutung ihres Glaubens für diese Fragen so herauskehren, dann wird es eben doch relevant."

Die Imaginata in Jena sieht sich - nach eigener Aussage - als ein "Experimentarium für die Sinne: Lernort, Fortbildungs-Labor, Denkmal, Science-Center, Konzertsaal und Galerie zugleich."

Diese Unausgewogenheit kann auch nicht dadurch ausgeglichen werden, dass 30 Minuten für Fragen aus dem Publikum vorgesehen sind. Man würde vermutlich mindestens 8 Minuten für ein Impuls-Statement benötigen, um die vielen zu erwartenden Falschbehauptungen der "Experten" auch nur ansatzweise widerlegen zu können. Man muss sich vor Augen führen, dass über 80 Prozent der deutschen Bevölkerung dafür sind, den ausdrücklichen Wunsch eines kranken Menschen nach Sterbehilfe zu akzeptieren (Quelle: Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung, 2013, Seite 22). Dennoch bereitet man den Gegnern der Suizidhilfe seit über einem Jahr den Hof und lässt sie in der öffentlichen Debatte unverhältnismäßig oft zu Wort kommen.

Dass ausgerechnet in der Imaginata – einem Ort der Wissenschaft – so kurz vor der Abstimmung im Bundestag eine solch einseitig zusammengesetzte Diskussionsrunde stattfinden wird, ist mehr als nur bedauerlich.