Kolumne: Vorratsdatenspeicherung

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Symbolbild

BERLIN. (hpd) Die Vorratsdatenspeicherung (VDS) wurde am Freitag, dem 16. Oktober 2015 im Bundestag mit den Stimmen der Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD beschlossen. Nun steht unter anderem hpd-Gesellschaftskolumnist Carsten Pilger unter Verdacht. Sein Gegenverdacht: Das Parlament ist hilflos in Zeiten der Großen Koalition.

404 Menschen halten mich für verdächtig. 404 Menschen halten knapp 80 Millionen Menschen in Deutschland für verdächtig. Sich selbst gleich mit! Erwischt! Zumindest kann ich mir keinen anderen Grund dafür vorstellen, dass heute 404 Abgeordnete der Fraktionen CDU/CSU und SPD im deutschen Bundestag dafür gestimmt haben, die Vorratsdatenspeicherung (VDS) einzuführen. Ein Gesetz, das eigentlich schon tot war, weil das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof meinten: So nicht.

Ungeachtet dessen finden 404 Abgeordnete wichtig, dass Telekommunikationsanbieter künftig für mehrere Wochen speichern müssen, mit wem ich telefoniere, mit wem ich SMS schreibe, wann ich ins Internet gehe und natürlich wo ich mich zu diesen Zeitpunkten befunden habe. Das sind die sogenannten Metadaten. Hinzu kommen die Inhalte von SMS, die eigentlich nicht gespeichert werden dürfen, aber aufgrund technischer Probleme eben doch gespeichert werden. Die Anbieter wurden aufgefordert, diesen Umstand zu ändern. Aber Sie als Leser kennen das vermutlich von eigenen Gesprächsversuchen mit Anbietern: "Wir arbeiten daran!"

Warum finden 404 Menschen die VDS wichtig? Der Regierungssprecher spricht von einer Notwendigkeit der "Bekämpfung schwerster Straftaten", meint aber vermutlich im Eifer des Gefechts eher die Aufklärung solcher. Ein Nutzen, der nicht wissenschaftlich belegt ist. Ebenso wenig ist belegt, dass die Mehrzahl der Internetstraftaten überhaupt in die Kategorie der "schwersten Straftaten" fällt. Internetkriminalität findet überwiegend im Form von Betrugsfällen statt, die Aufklärungsquote ist hier überdurchschnittlich hoch, wie Thomas Stadler bereits vergangenes Jahr festgestellt hat.

Auf Seiten der Befürworter, wie Andy Neumann (Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter im BKA), gibt es natürlich ein Argument, das auch bei 404 Abgeordneten gut zieht: Die Mordanschläge des Nationalsozialistischen Untergrunds: "Nur zu gern hätte man gewusst, mit wem Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in ihren letzten Stunden vielleicht noch telefoniert haben. Wen Beate Zschäpe angerufen hat, in den Tagen, an denen sie auf der Flucht war." Immerhin ist bekannt, wer Frau Zschäpe angerufen hat: Eine Nummer aus dem sächsischen Innenministerium.

Menschen wie Andy Neumann fordern mit Argumenten wie diesen, dass die Bürger den Behörden in Sachen VDS einfach mehr Vertrauen schenken sollen. Analog zum anlasslosen Überwachen also das "anlasslose Vertrauen". Vertrauensvoll sind Behörden allerdings nicht, wenn sie die parlamentarische Aufarbeitung eigener Skandale behindert. Oder in der Warnung „Missbrauch ist strafbar“ an Telekommunikationsanbieter ausreichenden Grundrechtsschutz sehen.

Es besteht dennoch ein Verdacht: Dass mindestens 404 Abgeordnete nicht in der Lage sind, ihre Rolle als Parlamentarier richtig zu begreifen. Nur die Mitgliedschaft zu einer der Fraktionen der Großen Koalition müsste nicht gleichbedeutend mit dem Selbstverständnis als reinem Erfüllungsgehilfen der Regierung sein. Trotzdem lassen sie sich lieber von emotionalen Nichtargumenten mitreißen, statt die Bedrohung für die Arbeit von Whistleblowern, Anwälten, Journalisten oder – ja sogar für Abgeordnete – zu erkennen, die das aktuelle Gesetzespaket bedeutet. Oder wie ich eigentlich schreiben müsste: Error 404 – Parlament not found.