Internationale Filmtage Hof: Retrospektive zu Chris Petit

"Eines der bestgehüteten Geheimnisse britischer Filmkultur"

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HOF. (hpd) Gestern endeten die 49. Internationalen Filmtage in Hof. Die Werkschau widmete sich in diesem Jahr dem britischen Autorenfilmer und Schriftsteller Chris Petit.

Wir schreiben das Jahr 1979: Ein ungewöhnlicher Debütfilm feiert auf den Hofer Filmtagen seine Weltpremiere. "Radio on" ist ein britisches Roadmovie, koproduziert von Wim Wenders, inszeniert von dem ehemaligen Filmkritiker Chris Petit. Ein Film, der wie kaum ein anderer die Tristesse und den Umbruch in der damaligen Gesellschaft Englands einfängt, und auf einen Plot im herkömmlichen Sinn verzichtet. In kühlen Schwarz-Weiß-Bildern folgt er der Reise des Radio-DJs Robert von London nach Bristol, wo sich dessen Bruder unter mysteriösen Umständen das Leben genommen hat. Dort angekommen, lässt er sich durch das Nachtleben treiben und hilft der Deutschen Ingrid bei der Suche nach ihrer Tochter. Am Ende bleibt sein Wagen in einem Steinbruch liegen, er steigt in einen Zug und fährt weg.

In England entwickelte sich "Radio on" schnell zum Kultfilm, nicht zuletzt aufgrund des Soundtracks, der mit einigen Größen des Post-Punk und New Wave aufwartet, unter anderem Kraftwerk und David Bowie. Radio, Schallplatten und Kassetten sind Roberts ständige Begleiter während seiner Reise. Wie Chris Petit, 1949 in Worcestershire geboren, im Interview mit dem hpd erklärt, sei er nicht an herkömmlicher Narration interessiert gewesen und habe den Film um die Musik herum aufgebaut. Das Publikum in Hof sei vor 36 Jahren skeptisch gewesen. "Vielleicht haben die Leute etwas anderes erwartet von einem 'Wenders-Protegé'", so der Regisseur.

In der diesjährigen Retrospektive der Internationalen Filmtage, die seit 1976 ihren festen Platz im Programm des Festivals hat, blickte man auf Petits Debüt zurück und widmete sich seinem Gesamtwerk. Wie er heute konstatiert, ergebe seine Karriere im Rückblick zunächst keinen Sinn, da sie als sprunghaft erscheine. Erst bei genauerer Betrachtung könne man deren Entwicklung nachvollziehen.

Sein Werdegang begann in den 70er-Jahren als Filmkritiker für das Kulturmagazin "Time Out" in London. Nachdem er sich mit Hilfe von Wenders als Filmemacher etablieren konnte, folgten im Laufe der 80er-Jahre drei weitere Kinofilme und schließlich eine "Miss Marple"-Adaption für die BBC. Danach habe er allerdings keine weiteren Aufträge für Spielfilmproduktionen mehr erhalten. Die 1990er markieren dementsprechend einen Umbruch. Petit widmete sich von nun an dokumentarischen Arbeiten für das Fernsehen und veröffentlichte 1993 seinen Debütroman "Robinson". Außerdem begann er seine langjährige Kollaboration mit dem Autor und Filmemacher Iain Sinclair, aus der mittlerweile zahlreiche Film- und Kunstprojekte hervorgegangen sind. In Hof habe man indes einen klaren Schwerpunkt auf seine alleinige Regiearbeiten gesetzt, wie Festivalleiter Heinz Badewitz gegenüber dem hpd betonte. Daher waren nur im Rahmen der "Weißen Wand", der auf Medienkunst spezialisierten Galerie innerhalb der Filmtage, ausgewählte Werke ihres gemeinsamen Schaffens zu sehen.

Chris Petits Dokumentarfilme waren zunehmend essayistischer Natur, bis er sich schließlich Ende der 90er-Jahre gänzlich dem Essay- und Experimentalfilm zuwandte.
Neben seinen Spielfilmen und einigen Dokumentationen zeigte die Werkschau auch seinen bislang letzten Langfilm "Content" aus dem Jahr 2010. In dem Filmessay begibt er sich auf eine Reise durch seine Kindheit und die heutige Gesellschaft. Dabei thematisiert er seine Beziehung zu Deutschland, da er als Sohn eines britischen Soldaten der Besatzungstruppen am Rhein einige Jahre hier verbrachte. Wie Petit nach der Vorführung erklärte, habe seine Grundschullehrerin sehr schlecht unterrichtet, weswegen er leider nie richtig Deutsch lernte. Dennoch sei er später immer wieder hierher, speziell nach Berlin, zurückgekehrt und habe viele Projekte umgesetzt.

In den vergangenen Jahren wandelte sich sein Schaffen erneut. Da es grundsätzlich schwieriger geworden sei, Geldgeber für Filmprojekte zu finden, habe er sich vermehrt mit medienkünstlerischen Arbeiten beschäftigt. So veröffentlichte er eine LP mit Lesungen zu den experimentellen Klängen des Musikers "Mordant Musi" und nahm im vergangenen Jahr mit einer Mischung aus Installation und Performance am Sonderprogramm "Memories Can’t Wait - Film without Film" der Oberhausener Kurzfilmtage teil.

Darüber hinaus beteiligte er sich an Arbeiten anderer Künstler, wie etwa den umfangreichen Projekten "80*81" und "2081", die von Filmemacher Christopher Roth und Publizist Georg Diez initiiert wurden.
Als Autor kann Petit zudem auf die Veröffentlichung von sechs Romanen zurückblicken, wobei nur der Thriller "The Psalm Killer", der im Nordirland-Konflikt angesiedelt ist, unter dem Titel "Psalmen des Todes" in einer deutschen Übersetzung vorliegt.

Petits Leben zeugt von einer ungewöhnlichen, wenngleich faszinierenden Entwicklung vom Kritiker zum Filmemacher und schließlich zum Schriftsteller und Medienkünstler. Bis heute gilt er als Geheimtipp innerhalb der Film- und Fernsehlandschaft Englands. Der Kultursender SkyArts nannte ihn treffend "eines der bestgehüteten Geheimnisse britischer Filmkultur".

Wie Heinz Badewitz anmerkt, sei es auch nicht leicht gewesen und habe einige Zeit gedauert, bis das British Film Institute und die BBC alle Kopien der angefragten Filme in ihren Archiven wiedergefunden hätten. Da ein Großteil von Petits Werk gezeigt werden konnte, gelang es den Filmtagen seine künstlerische Laufbahn nachzuzeichnen, von den frühen Kinoarbeiten bis zu den Video- und Audioinstallationen in der "Weißen Wand". Hof präsentierte sich einmal mehr als wichtige Bereicherung unter den deutschen Filmfestivals, die auch weniger prominentem, alternativem Kino eine Bühne bietet.

Der Filmemacher selbst blickt mit dem Wunsch nach einem erneuten Wandel in die Zukunft. Im Gespräch mit dem Filmpublizist Robert Fischer berichtete Petit, dass er zum Spielfilm zurückkehren möchte und derzeit an zwei Projekten, die sich allerdings beide noch in einer frühen Konzeptionsphase befänden, arbeite. Er sei bereits in Gesprächen, was die Finanzierung anbelangt. Angesichts seines faszinierenden Werks bleibt zu hoffen, dass er bald nach Hof zurückkehren wird.

Der Autor legte im Jahr 2014 unter dem Titel "'Driving's dreamlike State of Mind' - Essayfilm und Roadmovie" seine Abschlussarbeit im Fach Medienwissenschaft vor, die sich mit der Symbiose von Essayfilm und Roadmovie im Werk Chris Petits auseinandersetzt. Er forscht weiterhin zu dessen Œuvre, wie auch zum filmischen Schaffen Iain Sinclairs.