ILMÖ Jahresbericht Januar 2016

Realitäten in Europa und die neue Herausforderungen

Sie baute nach der Niederschlagung ihrer Aufstände in Ägypten durch Gamal Abdel Nasser und in Syrien durch Hafiz al-Assad mit ihren Anhängern seit Anfang der 60er Jahre (und mit einer großen Welle Anfang der 90er Jahre) in Europa bedeutende Netzwerke auf. Diese wurden durch Verflechtungen mit politischen Parteien salonfähig und betreiben heute insbesondere auf der Ebene des EU-Parlamentes in Brüssel erfolgreich Lobbyarbeit, während unter den in Europa lebenden Muslimen Vorstellung von Islam als überlegenes und vollkommenes System verbreitet wird. Diese Vorstellung ist durch die Verbindung eines, jeder Religion immanenten, religiös begründeten Wahrheitsanspruches mit einem weltlichen Dominanzstreben gekennzeichnet.

Hunderte der Muslimbruderschaft nahestehende Moscheen und Kulturvereine überziehen in Verbindung mit türkischen Vereinen – wie Millî Görüş Gruppierungen und ATIB als verlängerter Arm der AKP in Österreich – ganz Europa. Sie verbreiten durch Lobbyaktivitäten, Infiltration sozialer Netzwerke und Kontrolle über Moscheen ihre Religionsauslegung. Im Rahmen der durch die freiheitliche und wertepluralistisch verfassten Ordnung Österreichs gewährten allgemeinen Freiheitsrechte sollen politische Forderungen durchgesetzt werden, was als legalistischer Islamismus bezeichnet wird, zu dem Sicherheitsbehörden die Muslimbruderschaft zählen.

Ziel ist die Errichtung einer auf dem gesamten Gesetz (Schariah) basierenden Nomokratie, wo Nichtmuslime nur noch als sozial-rechtlich mindere Dhimmis (Schutzbefohlene) leben könnten. Und wo ein archaisches Geschlechterverhältnis gelten würde, welches Gleichheit nur in der Religion vor Allah, aber nicht im Alltagsleben vorsieht, da auf Grundlage eines mittelalterlichen Geschlechterbildes als Grundlage einer - im Westen seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts überwundenen – Rollenverteilung, durch die der Mann den öffentlichen Raum dominiert, während die Frau in den privaten familiären Bereich verwiesen wird.

Im islamischen Religionsunterricht in Österreich werden aufgrund fehlender Kontrolle der gelehrten Inhalte und des Hintergrundes der Lehrkräfte teilweise die Ziele des politischen Islam gelehrt. In Einzelfällen ist durch islamische Religionslehrer zu Hass auf Juden und Christen sowie Humanisten aufgerufen worden. Ebenso wurde über Jahre die Verhaltensanordnung „Erlaubtes und Verbotenes im Islam“ des auch in Europa einflussreichen islamistischen Religionsgelehrten Yusuf al-Qaradawi (geb. 1926) im islamischen Religionsunterricht in Österreich benutzt. Jedoch sind die dortigen Ausführungen, wie etwa die Rechtfertigung der Todesstrafe für Unzucht unter Verheirateten und Abfall vom Islam, in nicht wenigen Punkten gegen die geltende Werteordnung gerichtet und vergiften gezielt das friedliche Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlicher religiöser Orientierung, wobei auch eine physische Radikalisierung junger Muslime im Rahmen der Möglichkeiten liegt. Finanziert wurde und wird dies von den österreichischen Steuerzahlern.

Das gesellschaftliche Weltbild solcher Organisationen

Weit verbreitet sind in islamistischen Organisationen und Gruppierungen eine gesellschaftliche und politische Radikalisierung, Ablehnung des säkularisierten Staates mit Trennung von religiöser und politischer Sphäre, ein mangelndes Demokratieverständnis, sowie die Ambition, die Religion politisch zu instrumentalisieren. Dabei wird eine Schariahtisierung der Gesellschaft von unten angestrebt. Es sollen vor allem junge Menschen mit religiösen Heilsversprechungen für den radikalen Islam gewonnen werden, der in seiner militanten Ausformung immer mehr Anhänger findet, was sich auch legalistisch agierende Islamisten zurechnen lassen müssen, die dafür oftmals den Boden bereiten.

Dies geschieht in allen europäischen Staaten. Es gibt aber neben Brüssel besondere Hot Spots wie Paris, Brüssel, London und Wien. Wien hat sich dabei zu einem der bedeutendsten Zentren für Islamisten und gewaltsame Dschihadisten aller Couleurs entwickelt.

Nach Einschätzung des Counterterrorism-Beraters Dr. Thomas Tartsch zeigt sich diese hervorgehobene Funktion des islamistischen Hot Spots Wien gerade im Bereich des radikalen und militanten Salafismus. Seit Ende 2010 ist eine verstärkte Vernetzung zwischen österreichischen und deutschen Salafisten aus diesem Spektrum im Stadtgebiet zu konstatieren. Dadurch wurde der Grundstein für die heutige Gefährdungslage gelegt. Österreich hat im europäischen Vergleich einen hohen Anteil an Foreign Fightern aus dem militant-salafistischen Milieu im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung, wobei man nicht genau sagen kann, wie viele Foreign Fighter aus Österreich die Hidschra (den Auszug) nach ash-Sham zu IS und al-Qaidah vollzogen haben, da nicht wenige Fälle den Sicherheitsbehörden unbekannt bleiben. Insoweit das Dunkelfeld nach einer objektiven Einschätzung etwa doppelt so groß sein wird, was auch für das offiziell genannte Anhängerpotential des gewaltsamen Dschihadismus in Österreich gelten dürfte.

Nicht ohne Grund waren bis zu ihrer Tötung in ash-Sham der Wiener Dschihadist Mohamed Mahmoud (Abu Usama al-Gharib) und der wirkmächtigste deutsche Anashiid-Interpret im Internet Denis Mamadou Gerhard Cuspert (Abu Usama al-Gharib) zwei Führungspersonen des IS. Sie waren schon in Deutschland innerhalb der im Herbst 2011 gegründeten Gruppierung Millatu Ibrahim aktiv gewesen, die 2012 verboten wurde. Cuspert bekleidete später bei IS die Funktion eines Kommandeurs der rund 4000 IS-Kämpfer der “Army of Aleppo”, während Mahmoud durch die im Internet verbreitete Exekution einer Geisel in Palmyra/Syrien im Sommer 2015 globale Bekanntheit erlangte. Die beiden fanden in Österreich und Deutschland in den letzten Jahren eine wachsende Anhängerschaft unter jungen Muslimen und Konvertiten, die bereit waren, als Foreign Fighter die Hidschra in den gewaltsamen Dschihad nach Syrien/Irak zu vollziehen. So wie rund 30.000 sunnitische und schiitische Foreign Fighter auf allen Seiten der Konfliktparteien, die dort kämpfen. Oder in ihre Heimatländer zurückgekehrt sind, wobei man ebenfalls nicht genau sagen kann, wie viele davon bereit wären, in ihrem Heimatland Anschläge auszuüben. So wie der am 18.11.2015 bei einem Polizeizugriff in Frankreich getötete gebürtige Belgier und IS Dschihadist Abdelhamid Abaaoud, der als Planer der Anschläge in Paris im November 2015 gilt.

Für Tartsch multipliziert sich die Gefährdungslage für Österreich ebenso durch ein extremistisches Gewaltpotential von Anhängern des al-Qaidah nahen Islamischen Kaukasus-Emirates innerhalb der tschetschenischen Community im Land und durch die geographische Nähe zum Balkan.

Saudi-Arabien hat dort nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien seine Islamauslegung massiv verbreitet. Diese ist neben Purismus und Literalismus insbesondere durch ihre extreme Gewaltaffinität gegenüber anderen Muslimen und Nichtmuslimen gekennzeichnet. Gruppierungen des Netzwerkes al-Qaidah und IS nutzen das Gebiet, um neben Rekrutierungsaktivitäten unter jungen Muslimen auch Kämpfer nach Europa zu schleusen. Wien stellt seit Jahren einen Knotenpunkt der IS und al-Qaidah Achse Syrien/Irak-Balkan-Österreich-Deutschland mit beständig wachsender Bedeutung dar, weil der Balkan als Ausgangsgebiet für den gewaltsamen Dschihad dient, der in Zukunft in allen europäischen Ländern ausgeübt werden soll. Dies ergibt sich unter anderem aus der militärischen Situation des IS Kalifates, welches unter Druck gerät. Und mit Anschlägen in Europa versuchen kann, durch Terrorismus als Werkzeug zur Verbreitung von Angst und Schrecken und als Kommunikationsstrategie, ihrerseits die europäischen Länder durch die öffentliche Meinung unter Druck zu setzen, damit diese ihre Intervention gegen IS aufgeben. Ebenso wird Al Qaidah Core (AQC) unter ihrem Anführer Aiman az-Zawahiri versuchen, durch erfolgreiche Anschläge des Netzwerkes die Führerschaft im transnational und panislamisch ausgerichteten Salafi Dschihadismus als ältere Organisation zu verteidigen, da IS durch die erfolgreichen Anschläge in Paris im November 2015 und in San Bernardino/USA im Dezember 2015 seine globale Anerkennung unter gewaltsamen Dschihadisten ausbauen konnte.

Daher rechnet Tartsch für Österreich und Europa in Zukunft mit quantitativ steigenden und vermehrt erfolgreich verlaufenden Anschlägen auf Soft Targets zur Erzielung eines hohen Bodycount (wie im November 2015 in Paris durch simultan ausgeübte Attentate und das Massaker im Bataclan-Theater) auf dem Niveau des Low Terrorism (Terrorismus, der mittels konventioneller Mittel wie Schusswaffen und Sprengkörper ausgeübt wird) durch Einzeltäter, Kleinst- und Kleingruppen. Diese agieren oftmals individuell und ohne direkte Kontakte zu dschihadistischen Netzwerken. Internetmagazine wie „Inspire“ von Al Qaidah auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) und “Dabiq” von IS rufen dazu schon seit Jahren auf.