Der US-Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders und seine ungewöhnlichen Positionen

Amerika skandinavischer machen

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Bernie Sanders in Phoenix, Arizona
Bernie Sanders

BONN. (hpd) Am Ende eines Jahres entscheiden sich auch die Leser und nicht nur die Redaktion des US-amerikanischen Nachrichtenmagazins Time für eine “Person of the Year”: 2015 kam der 74jährige Senator von Vermont Bernie Sanders auf Platz 1. Er bewirbt sich darum, für die Demokraten als Kandidat für die US-Präsidentschaftswahl 2016 nominiert zu werden.

Dabei ist Sanders gar nicht deren Mitglied, sondern tritt als Unabhängiger an. Und er bekennt sich dazu, ein “Democratic Socialist” zu sein. Sanders fordert gar eine “Political Revolution” für die USA, die er skandinavischer machen will. Mit diesen ungewöhnlichen Positionen hat Sanders durchaus Erfolg, kommt er doch in den Umfragen auf Platz 2 hinter Hillary Clinton und ist damit ihr schärfster Konkurrent. Kein anderer Kandidat mobilisiert zu seinen Auftritten so viele Zuhörer. Und eine “Grassroot”-Bewegung von meist jungen Menschen wirbt mit dem Motto “Feel The Bern” engagiert für Sanders Kandidatur.

Was meint er aber mit “demokratischem Sozialismus”, und wie soll Amerika skandinavischer gemacht werden?

Wer ist der Politiker Bernie Sanders?

Als Bernard Sanders wurde er 1941 in New York als Sohn polnischstämmiger Einwanderer mit jüdischer Religionszugehörigkeit geboren. Bereits als Jugendlicher und Schüler gehörte Sanders der “Young People’s Socialist League” an, woraus sich eine Nähe zur “Socialist Party of America” ergibt. 1959 schrieb er sich an der Universität in Psychologie ein, wechselte dann aber zur Politikwissenschaft. Dieses Studium schloss Sanders 1964 mit einem Bachelor of Arts ab.

In jener Entwicklungsphase betätigte er sich auch politisch in der Bürgerrechtsbewegung in unterschiedlichen Kontexten. 1963 nahm Sanders etwa an dem “March on Washington for Jobs and Freedom” teil. Nach dem Ende der Universitätszeit ging er nach Israel und lebte in mehreren Kibbuzim.

Auf Nachfrage bekannte Sanders, er sei stolz darauf, jüdisch zu sein. Damit gehe aber keine besondere religiöse Identität einher. Er habe aber am Beispiel der Ermordung der Juden und Hitlers vorherigen Wahlerfolgen gelernt, wie wichtig die Beschäftigung mit Politik sei.

Nach der Rückkehr in die USA lies sich Sanders mit seiner Familie in Vermont nieder. Die Stadt sollte fortan der Ausgangspunkt für einen von Erfolgen wie Niederlagen geprägten Weg werden: Als Mitglied der “Liberty Union Party”, eine linke Kleinpartei in der Folge der Anti-Vietnamkrieg-Bewegung, kandidierte Sanders mehrfach um das Gouverneursamt bzw. einen Senatssitz. Dabei konnte er in den 1970er Jahren mit zwischen 1,5 und 6,1 Prozent der Stimmen zwar ansteigende Ergebnisse, aber nur auf niedriger Ebene ohne wirkliche Erfolge verzeichnen. Dies änderte sich 1981 schlagartig mit der Kandidatur für das Bürgermeisteramt von Burlington, der größten Stadt in Vermont. Eine Kampagne unter dem Motto “Burlington is not for sale” führte zu einem denkbar knappen Erfolg, der sich danach aber mit größeren Abständen zu seinen Gegenkandidaten noch dreimal wiederholen sollte. Eine Kandidatur für das Repräsentantenhaus bleib 1988 noch erfolglos, 1990 erhielt Sanders indessen als bekennender Sozialist und Unabhängiger den Sitz für Vermont.

Dabei handelte es sich keineswegs um einen Ausreißer, denn bei den folgenden Entscheidungen konnte Sanders zwischen 1992 und 2004 nicht nur regelmäßig Mehrheiten mobilisieren. Ab 1998 erhielt er sogar mehr als 60 Prozent der Stimmen, zuletzt 2004 sogar 68,8 Prozent. Damit war eine gute Grundlage für eine Kandidatur für den Senat geschaffen. 2006 erhielt er 65,4 und 2012 sogar 71 Prozent der Stimmen. Besondere Aufmerksamkeit erregte Sanders bereits vor dieser Wiederwahl 2010 mit einer achteinhalbstündigen Rede, worin er die Beibehaltung der von der Bush-Administration durchgesetzten Steuerkürzungen für die Wohlhabenden durch die Obama-Regierung kritisierte. Demgegenüber trat Sanders für eine Steuerpolitik der Umverteilung zugunsten der Mittelschicht ein.

Die USA sollten in dieser Hinsicht mehr wie die skandinavischen Länder werden. Eine solche Alternative stand auch im Mittelpunkt von Sanders Ankündigung vom 29. April 2015, worin er sich um die Nominierung als Kandidat der Demokraten für die Präsidentschaftswahl 2016 bewarb.

Worin bestehen Sanders’ politische Auffassungen?

Er thematisiert vor allem die ansteigende soziale Ungleichheit, hätten doch die 400 Reichsten mehr Geld als die 150 Millionen Ärmeren in den USA.

Während die Einen für immer weniger Lohn immer länger arbeiten müssten, könne man bei den Anderen ein kontinuierliches Ansteigen des Besitzes und Wohlstandes ausmachen. Als Alternative fordert Sanders ein millionenschweres Programm, das die Infrastruktur erneuern und die Konjunktur ankurbeln soll. Außerdem plädiert er für eine umfassende Steuerreform, welche die Besserverdieneden mehr belastet und die Mittel- und Unterschicht stärker entlastet. Für derartige Änderungen votiert Sanders auch bezogen auf die Bildungs- und Gesundheitspolitik. Der Besuch von Schulen und Universitäten soll für alle Bürger kostenlos sein, eine allgemeine Krankenversicherung ihnen medizinische Versorgung gewähren. Denn jährlich würden in den USA Zehntausende von Menschen sterben, weil sie sich keine ärztliche Behandlung leisten könnten.

Auch in anderen Politikfeldern geht es Sanders um eine Reduzierung der Macht der Superreichen, sei es bezogen auf ihren Einfluss auf die Medien, sei es hinsichtlich der Regelung von Wahlkampfspenden. Er beschwört dabei die Gefahren einer Entwicklung, die es Millionären erlaubt, Kandidaten und Wahlen zu kaufen. Sanders sieht hier eine Bedrohung der politischen Demokratie und der sozialen Sicherheit. Diese Einstellung erklärt mit seine Abneigung gegen Freihandelsabkommen, die den Profitinteressen von Großkonzernen in den USA dienten, doch im eigenen Land zu Arbeitslosigkeit und Lohndumping führten. Gleichwohl lehnt Sanders nicht alle internationalen Abkommen ab, denn bezogen auf den Klimaschutz plädiert er entschieden für Übereinkünfte auch für die USA. Ansonsten tritt Sanders eher für außenpolitische Zurückhaltung ein. Den “Islamischen Staat” hält er für eine anwachsende Bedrohung durch eine barbarische Organisation, sieht aber für die Bekämpfung die islamisch geprägten Länder wie etwa Saudi Arabien in der Pflicht.

Diese Einstellung konnte man bereits im früheren Abstimmungsverhalten feststellen: Sanders gab 2002 einer Resolution zum Irak-Krieg nicht seine Stimme und opponierte ab 2003 stark gegen die Invasions-Politik der Bush-Administration. Krieg dürfe nicht das erste, sondern nur das letzte Mittel zur Lösung solcher Probleme sein. Darüber hinaus sollten die USA im internationalen Einklang und nicht durch eine unilaterale Invasion handeln.

Gegenüber Israel nahm Sanders eine Haltung der kritischen Solidarität ein. Denn die von der Netanjahu-Regierung 2014 durchgeführten Bombardierungen mit der Tötung vieler Zivilisten legten die Grundlage für fortgesetzten Hass und stärkten letztendlich die Hamas. Besondere Kritik fand bei Sanders das Bemühen, mit Hinweis auf eine sicherheitspolitische Bedrohung durch den Terrorismus bestimmte Grundrechte einzuschränken oder zu relativieren. Er gehörte denn auch nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zu den kontinuierlichen Kritikern des “Patriot Act” und stimmte gegen alle Neuauflagen und Verschärfungen.

Was bzw. wer sind Sanders’ realpolitischen Vorbilder?

Während der aktuellen Kampagne für die Kandidatur zu den Präsidentschaftswahlen nennt Sanders häufig Franklin D. Roosevelt (1882–1945). Der frühere Präsident ist für ihn aus zwei Gründen von besonderem Interesse: Am Beginn seiner Amtszeit stand für Roosevelt die Bewältigung der Weltwirtschaftskrise, wobei in die Ökonomie massiv durch die Regierung interveniert wurde. Mit einem “New Deal” zwischen Gesellschaft und Staat ging ein Konjunkturprogramm zur Erneuerung der Infrastruktur einher, wofür beispielsweise Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Straßenbau standen. Gleichzeitig setzte Roosevelt diverse Reformen zur Verbesserung der Arbeits- und Lebenssituation der ärmeren Menschen um, was etwa die Einführung eines Mindestlohns oder der Sozialversichtung zeigten. Beide Grundpositionen finden sich auch bei Sanders. Gleiches gilt für die Abneigung der Superreichen – erklärbar nicht nur durch die Forderung nach einem hohen Spitzensteuersatz - damals gegen Roosevelt und heute gegen Sanders.

Bezogen auf die Gegenwart blickt er auf andere Länder, um dadurch Perspektiven für die USA zu entwickeln. Damit einher geht die Aussage, dass die eingeforderten Alternativen für die Realität und nicht für eine Utopie stehen. In diesem Kontext nennt Sanders dann – entsprechend der Forderung “Amerika skandinavischer machen” - Dänemark und Finnland, Norwegen und Schweden als nachahmenswerte Politikmodelle von Wohlfahrtsstaaten. Die letztgenannte Bezeichnung meint eine besondere Form für die Gestaltung des Verhältnisses von Individuum, Markt und Staat. Es geht bei der Ausrichtung eines “Wohlfahrtsstaates” um den Grad der Intervention des Staates in die Ökonomie, um durch Bildungspolitik individuelle Chancen zu ermöglichen, Gefahren für Menschen durch Arbeitslosigkeit oder Krankheit zu minimieren oder in der Arbeitswelt durch Mindestlohn oder Mutterschutz konkrete Sicherheiten zu schaffen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit die in der Gesellschaft vorhandene sozialen Ungleichheit durch den Staat reduziert wird.

Dabei können idealtypisch drei Formen des Wohlfahrtsstaates unterschieden werden: Das liberale Modell konzentriert sich eher auf Sicherheiten für Bedürftige und nimmt nur in geringem Maße eine Umverteilung von Vermögen vor. Großbritannien und die USA stehen dafür. Das konservative Modell sieht demgegenüber eine stärkere Gewährung von sozialer Sicherheit vor, wobei aber die Minimierung der sozialen Unterschiede keine größere Bedeutung hat. Als Beispiele dafür können Deutschland und Österreich gelten. Und schließlich gibt es das sozialdemokratische Modell, das nicht nur den Bedürftigen, sondern allen Bürgern soziale Sicherheit gewähren und über Steuerpolitik eine höhere Umverteilung vornehmen will. Dänemark und Schweden stehen dafür. Nach Sanders sollen die USA aus dem liberalen in das sozialdemokratische Modell wechseln, um das hohe Ausmaß an sozialer Ungleichheit zu reduzieren. Seine Auffassung von “demokratischem Sozialismus” ist für ihn in der Gegenwart in den “skandinavischen Wohlfahrtsstaaten” verwirklicht.

Welches Sozialismus-Verständnis vertritt Sanders?

Die vorstehenden Ausführungen zu politischen Auffassungen, ideengeschichtlichen Grundlagen und realpolitischen Vorbildern erlauben eine Antwort auf die Frage. Dabei müssen indessen folgende zwei Anmerkungen vorausgeschickt werden: Weder in Sanders Autobiographie noch in seinen Erklärungen findet sich ein entwickeltes Konzept eines “demokratischen Sozialismus”. Es lässt sich aber aus den erwähnten Ausführungen heraus destillieren. Und: Bei politischen Akteuren, die weit links von Sanders stehen, zweifelt man an seinem Bekenntnis zum Sozialismus. Dabei hat man es mit einem engeren und einem weiteren Verständnis zu tun: Die erstgenannte Auffassung sieht die Durchsetzung von mehr sozialer Gleichheit nur nach einer Revolution, die mit der Enteignung und Vergesellschaftung von Produktionsmitteln verbunden ist. Ein weiteres Verständnis deutet “Sozialismus” als Sammelbezeichnung für Auffassungen, die der sozialen Gleichheit eine konstitutive Bedeutung für das eigenen Politikverständnis geben.

Dem engeren Begriffsverständnis kann man Sanders in der Tat nicht zuschreiben. Dies machen seine Bezüge auf Roosevelts Politik und die skandinavischen Wohlfahrtsstaaten deutlich. Dabei steht die Ausrichtung für eine Position, die demokratisch und linkskeynesianisch statt diktatorisch und planwirtschaftlich orientiert ist. Sanders beabsichtigt nicht die Aufhebung der Marktwirtschaft, sondern ihre sozialstaatliche Eingrenzung. Denn nur so erklärt sich, warum er nicht im historischen “realexistierenden Sozialismus”, sondern in den gegenwärtigen “skandinavischen Wohlfahrtsstaaten” ein Vorbild sieht. Sanders fordert zwar die “Zerschlagung” der größten Banken, aber primär aufgrund ihrer schädlichen Rolle in der Wirtschaftsentwicklung. Die Ökonomie soll stärker durch den Staat beschränkt und kontrolliert werden. Dafür benennt Sanders zwei Gründe: Die freie Marktwirtschaft neigt dazu, ihre eigenen Grundlagen und Prinzipien zu gefährden. Und: Der ihr eigene Ausweitung sozialer Ungleichheit soll entgegen gesteuert werden.

Bei Fragen von Journalisten nach dem Sozialismus-Verständnis, wie in einem “Fox”-Interview, verweist Sanders ausdrücklich auf das Attribut “demokratisch”. Dies ist aufgrund der negativen Konnotierung von Sozialismus mehr als nur verständlich. Sanders’ Auffassungen haben denn auch nichts mit einer diktatorischen oder extremistischen Orientierung zu tun. Er bekennt sich zu den Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates in den USA. Sanders steht zu den Normen und Regeln des politischen Systems. Gerade seine Kritik am Einfluss der Superreichen auf Gesellschaft und Regierung, die ihn von einer Abkehr von der Demokratie und einer Hinwendung zur Oligarchie sprechen lässt, macht deutlich: Sanders will angesichts gegenteiliger Entwicklungen gerade die Errungenschaften von Grundrechen und Volkssouveränität verteidigen. Ob seine Forderungen, damit “Amerika skandinavischer zu machen”, politischen Erfolg haben, werden die Präsidentschafts-Vorwahlen zeigen. Am 1. Februar 2016 geht es in Iowa los.