Dr. Abdel-Hakim Ourghi zu Islamverbänden

Eine unheilige Allianz mit desaströsen Folgen

Islamophobie-Vorwurf als Machtkalkül

Der Vorwurf der Islamophobie ist eine gut durchdachte Strategie, um nicht nur den Islam im westlichen Kontext unangreifbar zu machen, sondern auch die Macht der konservativen Dachverbände zu stärken. Dort weiß man genau, dass dadurch die Einheit der identitätsstiftenden muslimischen Religion in der Diaspora befördert und intensiviert wird. Allerdings führt solch ein Verhalten zu nichts anderem als der moralischen Erpressbarkeit der Mehrheitsgesellschaft. Die Wortführer der Dachverbände bevorzugen einerseits die meisterhaft stilisierte Pflege der Opferrolle, andererseits setzen sie in der Öffentlichkeit Akzente auf den Ton des Überlegenen, der zu fordern und nicht so sehr zu geben hat. Und sie haben damit Erfolg. Politik sollte darauf bedacht sein, nicht die Stimmen der muslimischen Wähler wichtiger als den aufgeklärten und modernen Islam zu nehmen. Politiker müssen den Mut haben, die Politik der konservativen Dachverbände öffentlich zu kritisieren zum Wohle der Freiheit in dieser Gesellschaft.

Politische Korrektheit verhindert Aussprechen unangenehmer Wahrheiten

Eine Gefahr, die ich sehe, ist, dass durch die dominierende Kultur der an sich löblichen politischen Korrektheit ein mutiges Ergreifen des kritischen Wortes und das Aussprechen unangenehmer Wahrheiten vermieden werden, um sich nicht den Zorn und die Wut der muslimischen Minderheitsgesellschaft auf sich zu ziehen. Als sehr groß nehme ich die Sorge wahr, der “Islamfeindlichkeit” verdächtigt zu werden. Hilflosigkeit und Überforderung auf Seiten politischer Entscheidungsträger, sowie die Unwissenheit der deutschen Mehrheitsgesellschaft, werden es aber den Dachverbänden ermöglichen, einen konservativen Islam zu etablieren, - einem Islam, der mit einer säkularen und pluralistischen Staatsordnung und den damit verbundenen Werten nicht vereinbar ist.

Politik darf nicht schweigen

Politik darf nicht schweigen – so wie es auch die beiden großen Kirchen nicht tun sollten. Dialogpartner für sie im interreligiösen Dialog dürfen aber auf keinen Fall die erzkonservativen muslimischen Dachverbände alleine sein. Es ist für mich als Muslim würdevoll zu sehen, wie sehr das Christentum um Dialog bemüht ist. Aber das Problem ist, dass sie mit den konservativen Dachverbänden dabei ein Gegenüber haben, deren Wortführer sich als Inhaber der absoluten Wahrheit betrachten. Wiederbelebung des christlichen Traditionsabbruchs durch Islam?

Der Präsident des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog, Kurienkardinal Jean-Louis Tauran, dankte neulich den Muslimen dafür, dass sie “Gott zurück in die öffentliche Sphäre Europas” gebracht hätten. Von einzelnen christlichen Würdenträgern hörte ich, dass sie mit Neid auf volle Moscheen beim Freitagsgebet blicken, während ihre eigenen Gotteshäuser weitgehend leer blieben. Da schleicht sich bei mir der Verdacht ein, als erhoffe man sich mit der Zusammenarbeit mit den konservativen Dachverbänden eine Wiederbelebung des Glaubens an sich. So, als ob Gott in Europa ohne den Islam verloren wäre! Wie wenn es in Abgrenzung zum Islam zu einer Rückbesinnung auf die christliche Tradition des Westens kommen könnte. Aber von einer Kooperation mit dem konservativen Islam rate ich den Kirchen dringend ab. Der Traditionsabbruch im Christentum kann nicht durch die Spritze Islam wiederbelebt werden.

Anbiederung an den Islam ist keine gute Strategie und die Zusammenarbeit mit konservativen muslimischen Dachverbänden ist höchst tragisch und könnte fatale Folgen haben. Denn hierdurch wird kein liberaler und moderner, sondern ein konservativer Islam gefördert. Solch ein unzeitgemäßes Verständnis des Islams kann den Kirchen zu keinem geistigen und spirituellen Antrieb verhelfen, sondern führt zu einer gefährlichen Konkurrenz, die mit der Zeit zum Verhängnis wird.

Die Wortführer des Islams beherrschen kunstvoll das rhetorische Spiel. Einerseits verkaufen sie ihn politisch ambitioniert nach außen als “Religion des Friedens”, und andererseits predigen sie ihn heimlich in den Gemeinden nach innen als “gottesrechtliche Gesellschaftsordnung”. Angesichts dessen kann man nur nachdenklich und tief besorgt sein.

Nur ein moderner humanistischer Islam ist mit säkularer Gesellschaft vereinbar

Zur Redlichkeit und zum Mut von Politik und Kirche gehört die Einsicht, dass durch die Zusammenarbeit mit muslimischen Dachverbänden ein Riesenfehler begangen wird. Die politische Ideologie der konservativen muslimischen Dachverbände und die Gefährlichkeit ihres religiösen Diskurses darf nicht unter den Tisch gekehrt werden. Sowohl Politik, als auch Kirche, sollte zwischen einem modernen und humanistischen, Islam auf der einen, und einem orthodoxen und archaischen Islam auf der anderen Seite, unterscheiden. Nur ein moderner und humanistischer Islam ist mit den säkularen Gesetzen des demokratischen Rechtsstaates und den Menschenrechten vereinbar. Der nicht-reformierte Islam der Dachverbände passt in keine freiheitliche und pluralistische Gesellschaft.

Verhindert die deutsche Politik eine Weiterentwicklung des Islam?

Durch eine Allianz zwischen Politik, Kirche und islamischen Dachverbänden würde der Islam auch in seiner pluralistischen Form im Westen weiterhin blind einer modernen Renaissance und einer kritikfähigen Aufklärung hinterherhinken. Ein konstruktiver Beitrag des modernen humanistischen Islam als Weg zur Selbstentdeckung bzw. Selbstdefinition einer religiösen und sinnstiftenden Identität der Menschen, liegt nicht im Interesse der orthodoxen Dachverbände. Sie sind noch meilenweit davon entfernt, einen aufgeklärten, humanistischen Islam zu etablieren, der ihnen eine den Kirchen vergleichbare Rolle in der deutschen Gesellschaft ermöglichen würde.

Die kritikfähige Auseinandersetzung mit der eigenen religiösen und historischen Islamidentität bildet hingegen eine Voraussetzung für einen toleranten Umgang und ein Zusammenleben der Muslime mit der nicht-muslimischen Mehrheit in einem interkulturellen Klima; es geht also um ein lebendiges, alltagsorientiertes und dialogisches Lernen durch die Begegnung des Ich mit dem Anderen. Zunächst muss die Freiheit des Individuums als höchstes Gut auch im Islam verankert werden. Auch Meinungsverschiedenheit und -freiheit müssen pointiert akzentuiert werden. Gewiss sind aber die reaktionär und islamkonservativ geprägten Dachverbände tatsächlich nicht die richtigen Ansprechpartner für Staat und Kirche.

Redaktioneller Hinweis: Die Zwischenüberschriften im Text stammen von der hpd-Redaktion

Der Autor, Dr. Abdel-Hakim Ourghi, ist Islamwissenschaftler und anerkannter Koran-Experte. Er leitet den Fachbereich Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg i. Br.

Weitere Analysen vom Autor:

Gespräch über Islam und Terror / Herder-Korrespondenz

Die Islamkritik muss zum Islam gehören / Generalanzeiger Bonn