Interview mit Michael Schmidt-Salomon über die neuen Strategien christlicher Rechtspopulisten

"Die AfD ist die Speerspitze des christlichen Fundamentalismus"

Wenn schon ein Spezialist für Weltanschauungsfragen wie Andreas Fincke diese Zusammenhänge nicht durchschaut, muss man sich wohl nicht darüber wundern, dass konfessionsfreie Wählerinnen und Wähler fälschlicherweise glauben, in der AfD eine Heimat gefunden zu haben, oder?

Richtig. Es gibt sogar AfD-Funktionäre, die die Macht des christlich-fundamentalistischen Flügels innerhalb ihrer Partei völlig unterschätzen! Wie es scheint, ist die Strategie der Verschleierung der religiösen Hintergründe bestens aufgegangen. Es hat sich offenkundig bewährt, dass die Kampagnen und Netzwerke der christlichen Rechtspopulisten Namen tragen, die ihre ideologische Herkunft auf den ersten Blick nicht verraten, etwa “Zivile Koalition e.V.”, “Initiative Familienschutz” oder “Demo für alle”.

Inhaltlich stehen dahinter die gleichen Denkweisen, mit denen christliche Glaubensstreiter schon seit Jahrzehnten gegen den ach so liberalen Zeitgeist ankämpfen. Neu daran ist nur, dass sie dank der veränderten Kommunikationsstrategie auch außerhalb des rechten christlichen Spektrums Gehör finden.

Das Modell der „heiligen Familie“

Die “Demo für alle”, maßgeblich initiiert durch die AfD-Vizevorsitzende Beatrix von Storch, kämpft gegen die vermeintliche „Übersexualisierung der Jugend“ und hat Zehntausende dazu gebracht, gegen den Sexualkundeunterricht in Baden-Württemberg zu demonstrieren…

Auch dies ist ein altes Kampfgebiet der christlichen Rechten. Der Sexualkundeunterricht ist ihnen schon lange ein Dorn im Auge. Gegen freizügige Filme oder harmlose Aufklärungsserien der Jugendzeitschrift Bravo laufen sie seit Jahrzehnten Sturm. In ihren Vorstellungen von “moralischer Sittlichkeit” unterscheiden sich die rechten AfD-Christen nur wenig von strenggläubigen Muslimen.

Wie Islamisten leiden auch AfD-Christen unter massiver Homophobie. Sie fühlen sich von der sogenannten “Schwulenlobby” bedrängt und beklagen den sogenannten “Genderwahn”…

Innerhalb ihres Denkmodells ist das absolut verständlich, denn die religiöse Ideologie beruht auf der strikten, vermeintlich “gottgewollten” Unterscheidung der Geschlechter. Im Modell der “heiligen Familie” gibt es einen Mann und eine Frau, die selbstverständlich heterosexuell sind und zu Ehre Gottes Kinder zeugen, die sie im Sinne des tradierten Wertekanons erziehen. Für sexuelle Zwischenformen und alternative sexuelle Orientierungen gibt es in dieser Sichtweise keinen Platz.

Wie ist es Storch & Co. gelungen, so viele Menschen für den Protest zu mobilisieren?

Im christlich-konservativen Spektrum gibt es seit jeher ein beachtliches Reservoir an Menschen, die von der sogenannten “sexuellen Revolution” überfordert sind. Zudem muss man den Verantwortlichen der “Demo für alle” zugestehen, dass sie recht geschickt agiert haben, um ihr Weltbild unter die Leute zu bringen.

Ein kluger Schachzug war es zum Beispiel, dass sie sich auf eine besondere Gruppe von “Gender-Forscherinnen” einschossen, die das biologische Geschlecht als “kulturelle Konstruktion” verstehen. Da ein derart radikaler Kulturismus wissenschaftlich betrachtet Humbug ist, erhielten die religiösen “Genderkritiker” partiell Rückendeckung von Biologen, die mit guten Gründen auf die biologischen Wurzeln der Geschlechterunterschiede hinweisen.

Allerdings – und das ist die eigentliche Pointe dieser Geschichte – hebt die naturwissenschaftliche Argumentation den christlichen Anti-Genderismus im entscheidenden Punkt wieder auf: Denn selbstverständlich lassen sich auch Homosexualität und Transsexualität auf biologische Faktoren zurückführen, was die rechtskonservative Angst vor der angeblich gefährlichen “Schwulenpropaganda” ad absurdum führt!

Angesichts der biologischen Faktenlage ist es schlicht wahnhaft, zu glauben, dass ein weltoffener Sexualkundeunterricht oder die sogenannte “Gender-Ideologie” Menschen in Schwule oder Transsexuelle verwandeln könnte, sofern sie eine solche Veranlagung nicht ohnehin schon in sich tragen. Dass die “Internationale der Reaktionäre” von der Tea Party-Bewegung über die Front National bis hin zur AfD einer solchen Wahnidee anhängt, verrät viel über den bedauerlichen Geisteszustand dieser Leute.

Die “Internationale der Reaktionäre”

Sie haben die “Internationale der Reaktionäre” angesprochen. Gibt es Verbindungen zwischen den einzelnen Gruppierungen und wie ist das AfD-, PEGIDA-, “Demo für alle”-Spektrum international einzuordnen?

Natürlich gibt es Verbindungen. Die “Demo für alle” zum Beispiel war eine Übernahme einer Aktion der Front National, die in Frankreich in Kooperation mit rechten kirchlichen Kreisen etwa 100.000 Personen auf die Straße brachte, um gegen die gleichgeschlechtliche Ehe zu demonstrieren.

Vor allem über Beatrix von Storch verfügt die AfD über beste Kontakte zu extrem konservativen katholischen und evangelikalen Netzwerken.

Bemerkenswert ist dabei, wie reibungslos die Zusammenarbeit in diesem Spektrum über alle Konfessionsgrenzen hinweg funktioniert. Offenbar haben sich die Reaktionäre aller Länder im Kampf gegen den liberalen Zeitgeist vereinigt: Russisch-orthodoxe, katholische und evangelikale Ultras verfolgten nahezu die gleiche rückwärtsgewandte Agenda und so ist es letztlich fast egal, ob ihre politischen Gallionsfiguren Donald Trump, Vladimir Putin, Viktor Orbán, Jarosław Kaczyński, Marine Le Pen oder Frauke Petry heißen.

Verbirgt sich hinter der AfD so etwas wie eine deutsche Tea Party-Bewegung?

Es gibt deutliche Parallelen. Wie die amerikanische Tea Party-Bewegung startete die AfD zunächst mit einem wirtschaftsliberalen Programm und entwickelte sich dann mehr und mehr in Richtung des christlichen Rechtspopulismus. Wie die Tea Party hat sich auch die AfD auf das Modell der christlichen Normfamilie eingeschworen und für ein radikales Verbot von Abtreibung und Sterbehilfe stark gemacht.

Normalerweise kann man mit einem solch rigiden “No Sex, No Drugs, No Rock’n Roll!”-Programm in Deutschland keinen Blumentopf gewinnen, aber bislang haben nur wenige hinter die Fassade dieser Partei geschaut. Ich hoffe, dass sich das allmählich ändern wird. Bei genauerer Betrachtung sollte den allermeisten klar sein, dass die AfD keine “Alternative für Deutschland” ist, sondern allenfalls eine “Alternative für Doofe” bzw. eine “Alternative für Desinformierte”.

Haben Sie denn überhaupt kein Herz für Protestwähler?

Nun ja, ich kann durchaus nachvollziehen, dass Bürgerinnen und Bürger kein allzu großes Vertrauen mehr in die etablierten Parteien haben, die – auch das ist eine wirkungsvolle Halbwahrheit der AfD –an den Interessen der Bevölkerung oft vorbeiregieren. Aus diesem Grund sollte jedoch niemand in die Verlegenheit kommen, ausgerechnet die AfD zu wählen!

Für Protestwähler gibt es, sofern sie kein besonderes Faible für chauvinistische, christlich-fundamentalistische Positionen haben, deutlich bessere Alternativen, etwa die Partei der Humanisten, die den unbestreitbaren Vorteil hat, dass sie tatsächlich jene säkularen Positionen vertritt, die der AfD fälschlicherweise unterstellt wurden.

Herr Schmidt-Salomon, vielen Dank für das Gespräch!