Interview

"…auch die Demokratie muss hinterfragt werden"

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Jonas Hopf
Jonas Hopf

BERLIN. (hpd) Vor fast genau einem Monat stellte der hpd das (Hör)buch "Eine kurze Geschichte der Aufklärung" von Jonas Hopf vor. Dieser Tage endlich hatte die Redaktion die Gelegenheit, mit dem Autoren ein Interview zu führen. Dabei sprachen wir über das Buch, aber auch über Demokratie, Wirtschaft und Geschichte.

hpd: Hallo Herr Hopf. Warum haben Sie dieses Buch geschrieben?

Jonas Hopf: Ich habe früher gerne politische Artikel geschrieben, ich war politisch sehr aktiv und habe dabei irgendwann bemerkt, dass ich immer wieder Bezug nehme auf das Thema "Aufklärung" - auf die Epoche der Aufklärung. So kam die Idee: Wenn ich verschiedene politische Artikel miteinander verknüpfe, könnte irgendwann einmal ein Buch daraus entstehen.

Im vergangenen Jahr hatte ich dann solche Lust darauf, dass ich das Projekt zu Ende gebracht habe. Etwa sechs Jahre habe ich daran gearbeitet.

Weshalb haben Sie das Buch als Hörbuch – und nur als Hörbuch – veröffentlicht? Das ist ja eine sehr ungewöhnliche Art und Weise, ein Buch zu vermarkten. Oder hat das eventuell mit Ihrer Vorliebe für YouTube-Videos zu tun? Damit, dass Sie lieber hören als lesen.

Es ist tatsächlich so, dass ich lieber höre als lese, wobei ich auch sehr gerne lese. Aber eben noch lieber höre, vor allem im Auto.

Der Grund ist, dass ich das Buch weniger deshalb geschrieben habe, um damit Geld zu verdienen. Es freut mich natürlich, wenn der ein oder andere das Buch bei Audible kauft. Es ist jedoch auch kostenlos bei YouTube verfügbar. Mir ist vor allem wichtig, dass das Thema Aufmerksamkeit bekommt, dass viele Menschen das Video anschauen. Wenn diese Aufmerksamkeit dann da ist, sind im nächsten Jahr auch genug Leute da, die sich für das gebundene Buch interessieren, das ja einige weitere spannende Inhalte enthalten wird. Das jetzige Hörbuch macht dann nur etwa die Hälfte des gebundenen Buches aus.

Was erwartet uns da genau?

In der ersten Häfte des Buches wird das jetzige Hörbuch abgedruckt. In der zweiten Hälfte findet man Kommentare von Menschen, die in einer öffentlichen Wahl auf einer Internetplattform ausgewählt wurden. Ich werde einige Personen vorschlagen, beispielsweise Philosophen, Historiker und eventuell auch Kirchenvertreter. Die "Crowd" kann darüber abstimmen und selbst vorschläge machen. Wer dann von den angeschriebenen bereit ist einen Kommentar zu meinem Buch zu schreiben, wird diesen schließlich im Buch wieder finden. Dabei sind sehr kritische Kommentare ausdrücklich erwünscht. Ich hole mir also die Kritiker in mein eigenes Buch.

Dadurch hat man als Leser einen hohen Nutzen, einen gewissen Unterhaltungswert und viele Leute unterhalten sich über das Thema. Das ist mir am Ende auch viel wichtiger als Verkaufszahlen.

Wie sind Sie zu dem Thema "Aufklärung" gekommen? Sind Sie philosophisch vorgebildet?

Nein, überhaupt nicht. Ich bin der Ausbildung nach ja Ingenieur. Und Ingenieuren sagt man ja gerne nach, dass sie zwar ausgezeichnet AUSgebildet sind aber nicht unbedingt besonders GEbildet… (lacht).

Ich bin ein "Geschichtsfreak". Ich habe mich schon immer, auch als Kind, für Geschichte interessiert. Das liegt sicher auch an meinen Eltern, die mich mit den "Was Ist Was"-Büchern groß gezogen haben. Wir waren in der Sahara unterwegs und haben uns in Tunesien Karthago angeschaut. Geschichte war mein Lieblingsfach in der Schule - Geschichte war, was mich schon immer unglaublich fasziniert hat.

Im Artikel des hpd über das Buch geht es auch um die Themen "Wirtschaft" und "Aufklärung". Die beiden Themen setzen Sie zueinander in ein Verhältnis. Das gefällt mir, da ich der Auffassung bin, dass wir viel mehr über “humanistisches Wirtschaften” diskutieren müssten. Was brachte Sie dazu, dieses bisher doch relativ stiefmütterlich behandelte Thema anzufassen?

Das war keine besondere Absicht. Es ist schlicht ein historischer Fakt, dass der frühe Kapitalismus bei der Geschichte der Aufklärung eine wichtige Rolle spielte. Das hat mich zunächst erstaunt, und schließlich sehr fasziniert. Als mir das auffiel, musste ich unbedingt weiter forschen. Der frühe Kapitalismus war ein Geburtshelfer der Aufklärung. Das verneint übrigens auch keiner, aber es wird von vielen nicht gerne gesagt. Denn viele Freidenker sind ja eher im linken Spektrum anzufinden.

Kann es denn für Sie eine aufgeklärte oder humanistische Ethik geben, die nicht im linken Spektrum zu verorten wäre?

Ja, kann es geben. Das heißt aber nicht, dass – nur weil wir dem frühen Kapitalismus die Aufklärung zu verdanken haben – wir nun unbedingt daran festhalten müssen.

Ich persönlich bin für einen Mittelweg in der Wirtschaft. Und dieser Mittelweg ist für mich der "westeuropäische Wohlfahrtsstaat". Dessen Entwicklung habe ich im Buch übrigens auch kurz beschrieben. Wir sollten auf den Kapitalismus nicht verzichten, auch wenn es einige Dinge gibt, die uns zu Recht stören. Denn der Kapitalismus hat eine unglaubliche Kraft. Und wir wären sehr dumm, wenn wir diese Kraft nicht nutzen würden.

Es ist die Frage: Wie kann ich diese Kraft nutzen, wie kann ich dieses "Untier Kapitalismus" zähmen? Meiner Meinung nach braucht man dafür einen "starken Staat" als Rahmen – nicht als Mitspieler sondern wirklich als Rahmen, der dafür sorgt, dass das "wilde Tier Kapitalismus" nicht zu zerstörerisch wirkt.

Das verstehe ich als eine sozialliberale Auffassung und nicht als das, was heute häufig als "neoliberal”"bezeichnete wird.

Das ist ein sehr interessantes Thema. Ich weiß nicht, ob Sie sich darüber unterhalten wollen…

…ja

das können wir gerne. Weil Neoliberalismus, also der originale Neoliberalismus der Ordoliberalismus aus den 30-iger Jahren ist. Und das sind genau die, die gesagt haben: Der Kapitalismus braucht einen sehr sehr starken Staat als Rahmengeber, der gesetzliche Regelungen macht und die dann auch durchsetzt. Als "Schiedsrichter auf dem Platz" sozusagen. Das hat nichts mit dem "Thatcherismus" zu tun, der heute als Neoliberalismus bezeichnet wird.

Das umzusetzen ist heute allerdings schwierig, weil wir eine globale Wirtschaft haben aber keinen globalen Staat. Das bedeutet: das Problem wird erst wirklich beseitigt werden können, wenn wir den globalen Staat haben. Das kann aber noch 500 Jahre dauern.

Brauchen wir nach Ihrer Meinung ein neues Verhältnis zur Demokratie? Das klingt ein wenig in dem Text ja an. Sie sagen, wir müssen die Demokratie in Frage stellen, weil wir sie vermutlich als zu selbstverständlich ansehen.

Ja, das sage ich aber zu Allem. Ich stelle gern alles in Frage, unter anderem eben auch die Demokratie. Einmal, um sie zu verstehen und zweitens kann man so vielleicht etwas verbessern.

Sie halten es also mit dem Churchill-Ausspruch: "Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen."

Ja. Die derzeitige Demokratie ist sicherlich nicht das Ende der Geschichte. Ich habe festgestellt, dass sie nur funktioniert, wenn der "mündige Bürger" in ausreichender Anzahl vorhanden ist. Und ich habe den Eindruck, dass das derzeit eher nicht der Fall ist. Bei uns in Deutschland schon einigermaßen; aber in den meisten Teilen der Erde eben leider nicht.

Deshalb gehen auch viele Wahlen schief: In Israel zum Beispiel werden die Ultrakonservativen gewählt und die Palästinenser wählen die Hamas. Das sind demokratische Wahlen, da müssten wir eigentlich sagen: OK, die haben gewählt, das müssen wir akzeptieren. Aber die Hamas ist – nicht nur, aber unter anderem – auch eine Terrororganisation.

Daher sage ich: die Demokratie ist unbedingt zu hinterfragen. Aber nicht, weil ich sie abschaffen will, sondern weil ich sie verbessern will.

Ich habe häufig das Gefühl, dass wir die positiven Effekte der Demokratie als viel zu selbstverständlich ansehen. Gerade im Moment, wo sich die politischen Lager bzw. Grenzen doch sehr verschärfen. Die Extremisten und Fundamentalisten werden vielleicht nicht stärker, aber sichtbarer; wahrnehmbarer. Kann es sein, dass viele Menschen nicht mehr verstehen, dass die Demokratie hart erkämpft wurde?

Wenn Sie auf aktuelle Nachrichten anspielen… ja, was dort passierte in den vergangen Tagen ist unglaublich.

Man muss sich fragen, ob die Menschen aus der Geschichte – und damit sind wir wieder bei Ihrem Thema – nichts gelernt haben…

…Ja. Demokratie ist zu selbstverständlich geworden. Ich frage mich manchmal, ob nicht ein Wählerführerschein sinnvoll wäre. Dabei dürfte natürlich nicht parteipolitische Gesinnung abgefragt werden. Aber jeder mündige Bürger sollte sich u.a. mit solchen Fragen auseinander gesetzt haben: Wer ist für was zuständig bzw. verantwortlich? Wie funktioniert unsere Gesellschaft? Was ist unsere Geschichte?

Das Interview führte Frank Nicolai für den hpd.