Eine kritische Betrachtung

Die Fehler des Westens und die "Welt-Unordnung"

Der Politikwissenschaftler Carlo Masala legt mit "Welt-Unordnung. Die globalen Krisen des Westens" eine knappe Abhandlung zum Thema vor, worin aus der Perspektive der "realistischen Schule" auf die Folgewirkungen eines "liberalen Imperialismus" eingegangen wird. Dem Autor gelingt eine anschauliche und informative Darstellung, die auch aus interessen- und machtpolitischer Perspektive auf die Fehler westlicher Interventionspolitik eingeht.

Anfang der 1990er Jahre kursierte die Auffassung vom "Ende der Geschichte" (Francis Fukuyama): Demnach hätten die liberalen Demokratien ihren endgültigen Sieg errungen und weltweit würde es zu Freiheit und Stabilität kommen. Angesichts von Bürgerkriegen und Flüchtlingsentwicklungen, Konflikten und Terrorismus löst diese damalige Sicht heute nur noch ironischen Zynismus aus. Doch warum kam es nicht zu einer "Welt-Ordnung, sondern zu einer "Welt-Unordnung"?

Nicht zufällig hat Carlo Masala, Professor für Internationale Beziehungen an der Universität der Bundeswehr, seinem Buch zum Thema diesen Titel gegeben: "Welt-Unordnung. Die globalen Krisen und das Versagen des Westens". Er will darin der bedeutsamen und komplexen Frage nachgehen, "wie und warum die Versuche der westlichen Welt, nach 1990 eine 'neue' globale Ordnung zu schaffen, gescheitert sind und unter welchen Rahmenbedingungen Staaten und nicht-staatliche Akteure im internationalen Bereich zukünftig handeln werden" (S. 13)?

Diese Formulierungen machen schon deutlich, dass der Autor einen kritischen Blick auf die Politik der USA und des Westens wirft. Chaos sei das Ergebnis neuer Ordnungsversuche gewesen. Dabei sei man von Illusionen und Wunschvorstellungen ausgegangen. Gleich das erste ausführliche Kapitel widmet sich kritisch den Hoffnungen auf Demokratisierung, Interventionen, Institutionalisierung und Verrechtlichung.

Die Absicht einer Demokratisierung von anderen Ländern sei etwa auf einen "liberalen Imperialismus" herausgelaufen, habe aber keine neue Ordnung geschaffen, sondern häufig zum Staatszerfall geführt. Das Beispiel Irak kann als mustergültiger Fall für diese These gelten. "Mit seiner militärischen Interventionspolitik trägt der Westen", so Masala, "einen großen Teil der Verantwortung dafür, dass die Welt heute ein wesentlich unsicherer Platz ist, als sie es noch vor dreißig Jahren war" (S. 44). Derartiges Eingreifen habe nicht zur Konfliktlösung, sondern zur Konflikteskalation geführt – bis hin zu einem transnationalen Terrorismus.

Danach geht es um den Bedeutungswandel der großen Mächte in der Welt-Unordnung. Zwar hätte Amerika an politische Bedeutung eingebüßt, sei aber immer noch der relevanteste Faktor. Es gebe aber auch alte-neue Akteure: "Im Bereich ökonomischer Machtmittel spielen heute ... neben Staaten transnationale Wirtschaftsunternehmen .... eine immer größere Rolle" (S. 80). Und schließlich geht es um die neuen Herausforderungen in den internationalen Beziehungen, wozu (Re-) Nationalsierung und Staatszerfall, aber auch Migration und Terrorismus gezählt werden.

Masala macht bei all dem deutlich, dass die Absicht, die Welt zu verwestlichen, gescheitert ist. Dafür habe man es mit einer internationalen Un-Ordnung ohne historische Vorläufer zu tun. Die Stiftung von Ordnung sei gleichwohl möglich, man müsse sich aber realistische Ziele setzen. Diese sollten darin bestehen, "nicht immer und überall den Versuch zu unternehmen, partikularistische, westliche Vorstellungen durchzusetzen, sondern Handeln primär in Koalitionen der Willigen und Fähigen zu betreiben" (S. 160f.)

Der Autor bekennt sich gleich zu Beginn zur "realistischen Schule" der "Internationalen Beziehungen" als Wissenschaftsdisziplin. Einige Kritiker dieses Ansatzes haben darin immer eine Fixierung auf Interessen und Macht gesehen und eine Legitimation imperialer Machtpolitik des Westens unterstellt. Dass die letztgenannte Behauptung falsch ist, dokumentiert das Buch in eindrucksvoller Weise. Denn letztendlich laufen die Betrachtungen auf eine grundlegende Kritik an der westlichen Politik hinaus.

Der Autor argumentiert indessen nicht aus antiwestlichen Ressentiments heraus. Er fragt nach Anspruch und Wirklichkeit, Folgewirkungen und Idealen. Dass seine Ausführungen zu einer realistischen anderen Außenpolitik gegen Ende etwas diffus bleiben, erklärt sich auch durch die Komplexität und den Spannungsreichtum der Zustände. Masala ist ein beachtenswerter, kenntnisreicher und komprimierter Problemaufriss gelungen. Auch wenn man nicht all seine Argumente teilt, lohnt sich die Auseinandersetzung mit ihnen.

Carlo Masala, Welt-Unordnung. Die globalen Krisen und das Versagen des Westens, München 2016 (C. H. Beck-Verlag), 176 S., ISBN 978-3-406-69918-4, 14,95 Euro