Rezension

"Filz und Altar"

Wer nach dem Titel des Buches eine Kampfschrift erwartet, wird enttäuscht sein, wer dagegen Wissensvermittlung und Aufklärung auf hohem essayistischem Niveau schätzt, kommt auf seine Kosten. Zwei Philosophen beschreiben – humorvoll-salopp, zuweilen auch ironisch - die vielfältigen Verflechtungen von Religion und Kirche mit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft seit dem Mittelalter bis heute und analysieren dazu auch gesellschaftliche, geistige und politische Reaktionen, die den Filz von Staat und Kirche sukzessive aufbrechen, bzw. aufzubrechen versuchen.

Der Kulturwissenschaftler und Philosoph Anton Grabner-Haider zeichnet für den ersten Teil des Buches verantwortlich; er erläutert die "Verfilzung" von Religion und Politik und die Entwicklung des Christentums zu einem geschlossenen, autoritären und repressiven Herrschaftssystem: Da ist von der Aufrüstung der Theologen für die beiden Weltkriege die Rede, vom Zusammenspiel zwischen Diktatoren und Prälaten, von Päpsten als Schauspielern, von Panzerkardinälen und kirchlichen Kettenhunden, von heiteren Kirchenschafen und von der auferstandenen Göttin Aphrodite.

Cover

In das kritische Blickfeld kommen die Religionskriege, die Verfolgungen der Ketzer, die Verbrennung der Hexen, der Aufbau der großen politischen Ideologien und die Bildung von "heiligen Allianzen" sowie der Kampf der Theologen gegen die rationale Aufklärung. Mit Gewalt wurde eine christliche Weltdeutung durchgesetzt und mit Worten aus dem Evangelium das Volk in Sonntagspredigten auf die Weltkriege – mit von beiden Seiten gesegneten Waffen - eingeschworen.

An zahlreichen Beispielen beschreibt der Autor totalitäre Denkformen der Vergangenheit, vor deren Hintergrund sich viele der heutigen Konfliktherde der Erde - unter etwas anderen Vorzeichen – gleich oder ähnlich lesen. Fundamentalisten und Traditionalisten ist Liberalismus, wie er durch die rationale Aufklärung von Freidenkern, Freimaurern, Freireligiösen erstritten wurde, ein Dorn im Auge, sie sind blind für Menschenrechtsverletzungen, Fremdenhass und Rassismus.

Der Philosoph Erich Satter widmet sich den Denkweisen und Lebensformen der Kirchenfreien, Konfessionsfreien und Skeptiker und beleuchtet deren rational begründete Ethik sowie Religionsfreiheit und Pluralismus: "In einer postmodernen Kultur müssen wir wohl mit einer Vielfalt an religiösen und religionslosen Überzeugungen leben. - Und das ist gut so" (S 225). Satter beschreibt liberales und humanistisches Denken und die Kraft kritischer Vernunft; er bemüht sich um genaue Begriffsdefinitionen und erläutert das historische Gewachsensein sowie die Unterschiede und Gemeinsamkeiten konfessionsfreier Gruppierungen, wie Freidenker, Freireligiöse, moderne Humanisten etc.

Das Buch schließt mit einem lebensnahen Aufsatz der Wirtschaftsjournalistin Susanna Berndt zum Selbstbestimmungsrecht auf den eigenen Körper, zum Recht auf Sterbehilfe und zur Ablehnung alter patriarchaler (kirchlicher) Herrschaftsansprüche, die heute noch Themen wie Sexualität, Geburt und Sterben zu beherrschen versuchen.

Ein empfehlenswertes, sehr informatives Buch mit historischen Bezügen und aktuellen gesellschaftspolitischen Themen, das in fundamentalen Kreisen Kontroversen auslösen dürfte. Es zeigt auf, wie in einer unheiligen Allianz von Politik und Religion Menschenrechte mit Füßen getreten und Menschenpflichten nicht wahrgenommen wurden, es vermittelt gleichzeitig aber auch, wie innere Orientierung - säkular, oder liberal religiös - und ein gedeihliches Miteinander von Kirche und Staat aussehen können.

Anton Grabner-Haider / Erich Satter; Filz und Altar - Über Krieg und Religion, Politik und Kirchen; Angelika Lenz Verlag, 2016; ISBN 978-3-943624-23-6, 19,90 Euro