Film

"Spotlight": Eine Mauer des Schweigens

BERLIN (hpd) "Spotlight" ist ein Film, eine filmische Dokumentation und noch genauer, ein an die Realität gebundenes Spiegelbild, das katholisches Weltbild, Erziehung und Gehorsam wiedergibt: In Boston wird 2001 ein pädophiler Priester wegen wiederholter sexueller Gewalt verurteilt. Das Erzbistum sah sich weder zu einer Anzeige veranlasst noch fühlte es sich zum Schutz der Kinder verpflichtet. 

Über eine eher unscheinbare Zeitungsmeldung gelang diese Meldung in die Öffentlichkeit. Im Fokus stehen die Ermittler von "Spotlight", das investigativ arbeitende Redaktions-Team der Tageszeitung "Boston Globe". Hier löst die Verurteilung des Priesters im Jahr 2001 den Gedanken aus, es handele sich eventuell nicht nur um einen Einzelfall. Die "Spotlight"-Redaktion nimmt ihre Recherche auf und beendet sie im Jahr 2002 mit der Veröffentlichung, die weltweit, so sagt es der Film, zur Kenntnis genommen wird: Von Priestern ausgeübte sexuelle Gewalt liegt in der Struktur der Institution und geht "ganz bis nach oben durch". Das war die Frage, der sich die Spotlight-Redaktion in Boston gegenüber gestellt sah und die sie beantwortet hat. 

Was wusste der Kardinal Bernhard Law, Erzbischof von Boston, seit 1984, um die Sachlage? Vertuschte das Erzbistum Boston die Zugriffe des Geistlichen und  ließ den Mann in andere Pfarreien versetzen? Ja. 

Dafür erhielt der "Boston Globe" 2003 den Pulitzer-Preis in der Kategorie "Dienst an der Öffentlichkeit" für ihre "mutige und umfangreiche Berichterstattung über sexuelle Vergehen von Priestern der römisch-katholischen Kirche."

"Spotlight" – der Film

Ein kluges Drehbuch, "bestes Originaldrehbuch" mit dem Oscar 2016 ausgezeichnet, orientiert sich an wahren Gegebenheiten der Recherche. Das Spektakuläre liegt genau an der Stelle, die "erzählt" wird. Ein neuer Herausgeber kommt zum "Boston Globe". Es ist Marty Baron. Der Film stellt ihn als "unverheirateten Außenseiter, jüdischen Glaubens" vor. Ihm sind die Honoratioren der Stadt unbekannt. Er ist abseits von deren Beeinflussung und kein Mitglied des Elite-Netzwerkes der Stadt.

Die Journalisten arbeiten und finden Kontakte zu  Opfern. Auch der Kreis von Tätern nimmt zu. Damit wäre die Arbeit von "Spotlight" getan. Doch ein Wendepunkt kommt durch den Herausgeber: "Konzentrieren wir uns auf die Institution, zeigen Sie mir, dass das von ganz oben kam." 

Eine geachtete Anwaltskanzlei vertritt das Erzbistum, ist im Geschäft  und  hinter der Schweigepflicht verschanzt. "SNAP" (Survivors Network of those Abused by Priests) kann die Fragen der Journalisten nicht mehr nachvollziehen. Vor 20 Jahren bereits, habe sie als Organisation zum Schutz der Opfer dem "Boston Globe" die Namen von Tätern aus katholischen Pfarreien per Liste geschickt. Reaktion: keine. 

Ein Wissenschaftler bringt die Recherche weiter: Sechs Prozent der katholischen Priester werden zu Tätern, dabei verlangen sie als Autoritäten von ihren Opfern sexuellen Gehorsam und erniedrigen ihre Opfer zu Abhängigen. Gleichzeitig verweist der Wissenschaftler auf die Jahresbücher, in denen alle Priester der Diözese dem aktuellen Stand nach aufgelistet sind. 

"Versetzung nach", "krankheitshalber beurlaubt", "aus dem Dienst vorzeitig ausgeschieden", das ist der Code, durch den die Journalisten den Tätern näher kommen und deren Namen erfassen. Die erschütternde Befürchtung: Im Bistum Boston kommen bis 2002 als Sexual-Täter 87 Priester in Frage. Die Zahl erhärtet sich und wird zur Erkenntnis. Im Abspann des Films ist von mehr als 200 Priestern als Täter zu lesen. Die Zahlen von Opfern und Tätern erhöhten sichund liegen bis 2008 vor. 

Das  Erzbistum hat von ihren Taten gewusst, hat die Täter in der Institution weiter beschäftigt und sie vertuschend an einen anderen Ort versetzt. Durch die Kirche geschützt, ließ und lässt man die Priester gewähren, fördert ihre Taten durch Vertuschung. Wenden die Mütter, die Väter der Kinder sich an die  Polizei, eilen Anwälte des Erzbistums dazu, um Prozesse zu verhindern, vereinbaren Geldzahlungen mit den Opfern und fordern ihnen als Gegenleistung  lebenslanges Schweigen ab. Anklagen, Gerichtsprozesse, Öffentlichkeit werden  vermieden, Akten "ausgelagert". 

Ein Opferanwalt und eine Richterin bringen eine weitere Wende: Beide respektieren ganz einfach das Gesetz. Ohne Schnörkel wurden damit 2002 in Boston Beweise frei, die zuvor in ungesetzlicher Weise  der Öffentlichkeit vorenthalten waren und das mit dem Ergebnis: Das Erzbistum Boston hat um die Täterschaft ihrer Priester gewusst. 

Und sollten bei den Zuschauern des Films der Gedanke aufkommen, die Recherche wäre in Deutschland gewesen. Nein, sie irren, es war nur die Anmutung, als wäre die Recherche von Deutschland in die USA übertragen worden. Die "Spotlight"-Recherche  fand in Boston statt, die Täter gehörten dem Erzbistums Boston an und das hat nach Bekanntwerden des Skandals Konkurs anmelden müssen. Der Erzbischof legte 2001 sein Amt nieder. Der Vorwurf war, Fälle des sexuellen Missbrauchs an Kindern durch Diözesanpriester nicht hinreichend verfolgt zu haben. Er entging der Staatsanwaltschaft und lebt seither in Rom. 

Spotlight, USA 2015 - Regie: Tom McCarthy. Buch: Josh Singer, Tom McCarthy. Kamera: Masanobu Takayanagi. Musik: Howard Shore. Schnitt: Tom McArdle. Mit: Mark Ruffalo, Michael Keaton, Rachel McAdams, Liev Schreiber, John Slattery, Stanley Tucci, Brian d'Arcy James, Billy Crudup, Richard Jenkins, Paul Guilfoyle. Paramount, 128 Minuten.