Kritik am "Weißbuch der Bundeswehr"

Warnung vor neuer Spirale der Aufrüstung

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Deckblatt "Weißbuch Bundeswehr 2016"
Deckblatt "Weißbuch Bundeswehr 2016"

BERLIN. (hpd) Das Bundesverteidigungsministeriums gab am Mittwoch ein neues "Weißbuch der Bundeswehr" heraus. Am gleichen Tag haben Initiativen der Friedensbewegung vor einer schleichenden Veränderung der Rolle der Bundeswehr gewarnt. So werde sie zunehmend für Aufgaben eingesetzt, die entgegen des grundgesetzlichen Auftrages nicht als rein defensiv zu bezeichnen seien. Neben den Auslandseinsätzen zählt dazu auch ihr geplanter zunehmender Einsatz gegen illegale Grenzübertritte.

"Das neue Strategiepapier des Verteidigungsministeriums zementiert eine gewalttätige und gleichzeitig erfolglose Politik", kommentiert Ralf Buchterkirchen, Bundesprecher der Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) das gerade veröffentlichte "Weißbuch 2016 – Zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr". Das vom Verteidigungsministerium erstellte neue Papier gibt die langfristige Strategie deutscher Sicherheitspolitik vor: "Man sollte eher von 'Unsicherheit' sprechen", so Buchterkirchen.

Der Sprecher des Bündnisses der Friedensbewegungen und Geschäftsführer der Juristen und Juristinnen gegen ABC-Waffen (IALANA), kritisierte geplante gemeinsame Manöver von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz. "Das ist grundgesetzwidrig und nicht zielführend. Die Bundeswehr ist dafür nicht qualifiziert. Militär hilft gegen Flüchtlinge nicht", so Braun. Deutschland betreibe seit einigen Jahren eine dramatische Aufrüstung. So werde eine "Aufrüstungsspirale" beitrieben, die eine deutliche Ausweitung des Wehretats auf 60 Mrd. Euro und die Anschaffung neuer, völkerrechtswidriger Waffen beinhalte.

Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren war in der Diskussion um das Weißbuch ein besonders umstrittener Punkt. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen und die Unionsfraktion im Bundestag hatten dafür eigentlich vorgehabt, das Grundgesetz zu ändern, konnten sich damit aber nicht durchsetzen. Dennoch kommt im "Weißbuch" an vielen Stellen ein neues "Sicherheitsverständnis" zum Vorschein, "das die Rolle der Bundeswehr sehr viel weiter fasst als früher. So formuliert das Weißbuch als eine Aufgabe der Bundeswehr die 'Verteidigung gegen terroristische und hybride Bedrohungen'. Im Weißbuch wird diese allgemeinere Definition von Bedrohung unterhalb der Kriegsschwelle, die auch so genannte 'Cyberangriffe' einschließt, unter dem Stichwort 'hybride' Bedrohung, breit diskutiert."

Die DFG-VK hat das aktuelle Weißbuch analysiert und sieben heikle Punkte herausgearbeitet:

  1. "Deutschlands sicherheitspolitischer Horizont ist global. Dieser umfasst ausdrücklich auch den Cyber-, Informations- und Weltraum." (S. 56). Die Bundeswehr soll weltweit eingesetzt werden, nicht einmal ein UN-Mandat soll in sogenannten Ad-hoc-Koalitionen nötig sein. Zudem soll der Bundessicherheitsrat als ein Gremium zur Vorbereitung neuer Kriegseinsätze als intransparente und unkontrollierte Institution aufgewertet werden.
  2. "Russland (stellt) die europäische Friedensordnung offen in Frage (…), wendet sich von einer engen Partnerschaft mit dem Westen ab und betont strategische Rivalität. (…) Dies erfordert Antworten (…) von EU und NATO als Ganzes" (S. 31). Neben Terrorismus wird mit Russland ein altes Feindbild des Kalten Krieges wiederbelebt. Damit wird die Aufrüstung zur Landes- und Bündnisverteidigung gerechtfertigt, sowie das diffuses Bedrohungsszenario eines "hybriden Krieges" aufgebaut, welches eine Aufrüstung in allen Bereichen rechtfertigen soll, vor an den Ostgrenzen der NATO und im Cyberraum. Die nukleare Teilhabe der Bundeswehr wird bekräftigt.
  3. Der Export von Waffen soll weiter ausgebaut und durch die Bundesregierung noch aktiver gefördert werden. Zusätzlich kommt dem Export von militärischer Ausbildung und Ausstattung ("Ertüchtigungsansatz" S. 52) eine zentrale Bedeutung für künftige Kriegseinsätze zu, bei der vor allem in Krisenstaaten massenhaft Militär ausgehoben wird.
  4. Die Bundeswehr ist unattraktiv wie nie, was mit erheblichen Nachwuchsproblemen einhergeht. Hier will die Bundeswehr ihr Auftreten an Schulen und mit Abenteuer- und Action-Veranstaltungen für Jugendliche weiter ausbauen: Die Bundeswehr möchte sich einen "atmenden Personalkörper (…) ohne starre Obergrenzen" (S. 120) geben. Für fehlende Ressourcen, insbesondere im IT-Bereich sollen ReservistInnen über eine aktive Reservistenarbeit geworben werden. Eine klare Ansage, die Rekrutierungsbemühungen der Bundeswehr zu intensivieren und mit Rechentricks sich den Dienst an der Waffe attraktiv zu lügen.
  5. Eine umfassende Innere Militarisierung wurde beschlossen, welches den verstärkten Einsatz der Bundeswehr im Rahmen des sogenannten Heimatschutzes vorsieht. Hierbei muss von der stillen Vorbereitung von Strukturen und Logistik für den Einsatz im Inneren gesprochen werden. Neben der zivil-militärischen Zusammenarbeit auf allen Ebenen wird der abstrakte Begriff der "Resilienz" zentral eingeführt. Er bedeutet "Widerstandsfähigkeit" und beschreibt abstrakt eine potenzielle Einbindung des Militärs in zahlreiche Bereiche des öffentlichen zivilen Lebens, etwa durch Internetüberwachung oder dem Schutz kritischer Infrastruktur.
  6. Das alles soll viel Geld kosten und bei der Bundeswehr soll – nicht wie in allen anderen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge – gespart werden. Während Schulen am Sanierungsstau leiden, die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit seit Jahren nicht die international vereinbarten 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens erreichen und der Mindestlohn nur um 0,34 Euro pro Stunde ab 2017 steigen soll. In diesem Jahr wird der Verteidigungshaushalt an die 40 Milliarden Euro Grenze kratzen, 2020 wird er sie deutlich überschritten haben. Damit hat sich der Etat seit dem Jahr 2000 fast verdoppelt! Geld, was an anderer Stelle fehlt und bei der Bundeswehr sinnlos und unnötig verschwendet wird.
  7. Die Militarisierung der Europäischen Union soll massiv vorangetrieben werden, insbesondere im Bereich der zivil-militärischen Zusammenarbeit und der Rüstung wird eine stärkere Nutzung der eigentlich zivilen EU-Strukturen angestrebt. Verbunden mit einer Stärkung der NATO-Strukturen und –aufgaben soll die EU den "europäischen Pfeiler in der NATO" (S.73) stärken.

"Zusammenfassend zeigt das neue Strategiepapier der Bundeswehr vor allem, dass die regierenden Politiker und Militärs nichts aus den bisherigen Interventionen gelernt haben", fasst Buchterkirchen die Kritik zusammen.

Konsequenzen aus dem gescheiterten Militäreinsatz in Afghanistan zieht das Papier nicht: "Scheinbar gibt es bei den Militär-Befürwortern keine Aufarbeitung ihrer Strategie der letzten fünfzehn Jahre", bedauert der DFG-VK-Bundessprecher. Der "Krieg gegen den Terror" und seine Folgeeinsätze hätten lediglich die Gefahr von Anschlägen steigen lassen, so der Friedensaktivist/die Friedensaktivistin. Die DFG-VK fordert ein grundlegendes Umdenken in Fragen der Sicherheitspolitik: Das Militär dürfe nicht mehr im Mittelpunkt stehen, zivile Alternativen müssten in Sicherheitsfragen Vorrang haben.