Mark Dions "Widerspenstige Wildnis" im Herforder Marta

Wolfsmobil trifft auf Porzellanhase

BERLIN. (hpd) Über 7000 Fundstücke, gesammelt in 25 Jahren, gestaltete Mark Dion zu seiner Ausstellung “Widerspenstige Wildnis” im Herforder Kunst- und Designmuseum Marta. Wild wuchernd präsentiert sich dabei vor allem die Menschenwelt. Die Natur dagegen eingesperrt, eingeordnet, gezähmt – eine Projektion. Die Schau des Pop-Künstlers handelt von unserem Bild von der Natur und kehrt dabei das Innerste nach außen. Und umgekehrt.

Vielleicht liegt es daran, dass Dion aus New Bedford stammt, jener Hafenstadt in Massachusetts, die Schauplatz in Herman Melvilles Roman “Moby Dick” ist, dass ihn die dialektische Beziehung zwischen Mensch und Natur ein Leben lang gepackt hat. Dabei schwant es dem Betrachter der Ausstellung wohl unweigerlich, dass die Natur dem Menschen immer unerreichbarer wird, je mehr er sich zu nähern versucht. Er selbst verstellt sich den Zugang zu ihr.

“Bibliothek der Vögel” heißt eine Installation, die aus einem übermannshohem runden Vogelkäfig besteht, mit lebenden Vögeln darin – Kanarienvögel, Zebrafinken, Tauben - deren Sitzbaum bestückt ist mit kleinen Bücherregalen, zierlichen Käfigen im Käfig und dekoriert mit alten Fotos. Den Vögeln dürfte dieses Bildungs- und Unterhaltungsangebot einerlei sein.

Foto: © Marta Herford
Blind Jagen 2008, Foto: © Marta Herford

Nach der mittelalterlichen Sitte, Übeltäter zu teeren und zu federn, benennt der Künstler doppeldeutig einen Baum, dessen kahle Äste behängt sind mit in Öl getauchten Schnepfen, Kormoranen, Zwergtauchern und anderem Wassergeflügel. Kopfüber hängt es nun. “Teer und Federn” ist ein fantastischer Vogelgalgen des Anthropozän. Man mag sich beruhigen, Dion sammelt die Fundstücke gern aus dem Abfall der Naturkundemuseen. Auch für diese den Vögeln von Menschenhand bereitete Inszenierung einer Apokalypse.

Mumifizierte Dohlen hüpfen auf Müllbergen, die zu wachsen scheinen wie Korallenriffe. Ein ausgestopfter Wolf posiert auf einem kleinen Autoanhänger. Ein plastinierter Bison duckt sich in einem fahrbaren Glaskasten mit artifizieller Graslandkulisse. Wenn die Natur nicht gleich ganz aus Chemie daherkommt, wie im Pulverschrank eines Kolonialwarenladens, oder als Fake, wie die Porzellanhasen in einer zu einer Installation gewandelten Schießbude.

Gegenstände von Menschenhand sind überzogen von einer Inkrustation aus Algen. - Aber nein, da war doch wieder der Künstler am Werk! Auch das ein Fake. Die Trophäensäcke eines “tropischen Sammlers” türmen sich zu künstlichem Bollwerk, mit dem sich der Mensch den Zugang zur Natur selbst versperrt. Entdecker- und Forschermonturen gleichen der Schutzkleidung von Kammerjägern. Dion präsentiert uns nur die eine erfolgreiche Abwehr des Natürlichen garantierenden Hüllen dieser Eroberer der Natur. Wildnis produzieren wir nun selbst. Doch sie entsteht immer auf der Kehrseite. Dem ersten Blick und dem einfachen Zugriff abgewandt.

“Was soll ich einen Hammer machen, wenn es schon einen Hammer gibt”, gibt der US-amerikanische Bildhauer zur Eröffnung der Ausstellung zum Besten. “Was gibt es Schöneres als einen Vogel in der Natur.” Nachmachen will er nicht. Aber einer “Idee eine Form geben”. Dazu bedient auch er als Künstler sich der Fülle der Natur, beutet sie auf seine Weise aus. Sie erweist sich als unerschöpflicher Vorrat für die artistische Kombinatorik der Fundstücke. Unsere Natur ist auch unsere Fantasie. Die einzige, die uns unmittelbar gegeben ist, ahnt man schließlich.

Marta Herford, Goebenstraße 2, 32052 Herford: “Mark Dion. Widerspenstige Wildnis”, bis 7.2., Guide 78 S., 5 Euro