Kommentar

Kölner Kardinal gibt den Düsseldorfer Karneval frei

STEISSLINGEN. (hpd) Der berühmte Karnevalszug in Düsseldorf, der am Rosenmontag wegen einer Sturmwarnung abgesagt werden musste, ist auf den 13. März, einen Sonntag in der sogenannten Fastenzeit, verschoben worden. Medien berichten nun, der Erzbischof von Köln, Kardinal Woelki, habe den neuen Termin bereits “abgesegnet”. Dies empört Horst Herrmann, der das für den hpd kommentiert.

Wir haben das Recht, die Wagen des bedeutendsten deutschen Wagenbauers, des grossen Jacques Tilly, zu sehen. Er ist einer von uns. Und Düsseldorf ist frei genug, seinen Karneval zu feiern, wann und wo und wie es will. Es bedarf keiner bischöflichen Zustimmung, keines Segens eines Kardinals.

Doch wir leben nun einmal unter den Vorgaben einer besonderen Partnerschaft von Staat und Kirche. Die Wirklichkeit heißt: Es besteht ein unmoralisches Verhältnis zwischen zwei angeblichen Partnern, und diese Verbindung hat das Land im Griff. Mag in der Verfassung unserer Demokratie stehen, was will, Staat und Kirche sind überall, wo es konkret wird, so gut wie nicht getrennt.

Ein Beispiel von vielen: Ich finde es weder politisch korrekt noch theologisch fair, wenn Feiertage erhalten und staatlich gestützt werden, die auf historisch dubiosen Ereignissen beruhen. Beispiele, über die diskutiert werden sollte, sind Weihnachten, Dreikönig, Ostern, Christi Himmelfahrt, Pfingsten, Mariä Himmelfahrt.

Wir haben sogar etwas Glück. Was bestimmte Bundesländer noch an so genannten stillen Feiertagen kennen, an denen unter Anderem öffentliches Tanzen behördlich untersagt ist und polizeilich verfolgt wird, sieht nach einem Erbe der österreichischen Monarchie aus. Unter den damaligen Kaisern waren an den “Norma-Tagen”, diesen gesperrten Festtagen mit katholischem Hintergrund, öffentliche Musik- und Theateraufführungen verboten.

Und Norma-Tage gab es zeitweilig zuhauf: Die drei letzten Tage der Karwoche, Fronleichnam, die Vorabende der Frauenfeste, alle Frauentage wie Mariä Himmelfahrt, Mariä Verkündigung, Mariä Empfängnis selbst, Allerheiligen und Allerseelen, alle Tage im Advent vom 15. Dezember an, Heiliger Abend, Weihnachten, alle Freitage und alle Sonntage des Jahres. Da sind wir schon etwas weiter. Solche Häufungen zu Lasten der “Lustbarkeit” sind zu Recht überholt. Den Rest schaffen wir noch.

Viele halten allerdings nichts von der einschlägigen Diskussion. Sie feiern ihre persönlichen Frei-Tage, unabhängig davon, wie der jeweilige Feiertag heißt. Diese Haltung ist mir zu subjektivistisch. Zwar kann jeder die anfallenden freien Tage nach Belieben nutzen. Doch erfüllen offizielle Festlegungen ihren Zweck: Sie weisen sichtbar darauf hin, welche Ereignisse einem Gemeinwesen einer Erinnerung wert sind. Feiertage wie Rituale gehören zu einer jeweiligen Kultur. Auf ihrem Humus wachsen sie.

Eine Verrohung der Sitten oder eine Verletzung des religiösen und sittlichen Empfindens, wie sie in die Argumentation der Verteidiger des Status quo eingegangen sind, ist nicht zu befürchten. Ich halte ohnedies den Versuch kirchlicher und weltlicher Obrigkeiten, ausgerechnet mithilfe von Verboten die so genannte Sittlichkeit zu schützen oder zu heben, in aller Regel für verdächtig.

Dabei ist das so genannte Glaubensleben in seinen praktischen Äußerungen weithin zu einer folkloristisch geprägten Beschäftigungstherapie herabgesunken. So gibt es noch im 21. Jahrhundert Orte in Deutschland, wo mehrmals im Jahr Prozessionen mit unechten Reliquien abgehalten werden. Mit Schädelreliquien übrigens, die auch andernorts vorgezeigt werden. Offenbar hatte der gefeierte Heilige mehrere Köpfe.

Und es gibt Orte, wo dreimal pro Tag Kirchenglocken läuten, um an den Besuch des Engels bei Maria von Nazaret zu erinnern - also an ein erdachtes Ereignis.

Das Volk will es so? Oder Religionsdiener wollen es? Das Volk feiert schon lange anders. Die Kenntnis beispielsweise der Inhalte von Ostern ist dahin. Und Ersatz stünde bereit. Es muss nicht unbedingt ein “Hasenfest” sein. Und Weihnachten muss nicht schon “Geschenketag” heißen.

Festtage sollen den kulturellen Reichtum sichtbar machen, der eine Gesellschaft auszeichnet. Wie wäre es mit einem Tag der Menschenrechte? Mit einem Evolutionstag, einem Tag des Welthumanismus, einem Tag des Weltfriedens, einem Fest der Aufklärung? Immerhin erinnern uns solche Zusammenhänge nicht an ausgedachte, sondern an nachgewiesene Geschehnisse. Freilich wird es Zeit brauchen, den Menschen den Sinn ihrer Befreiung zu erklären. Bisher hat sich kein Kleriker um derlei gekümmert. Wozu auch? Noch hat er seine Schäfchen im Trockenen. Mit der Tatsache, dass sein Christentum nur noch eine traditionelle Bedeutung hat und christliche Gläubige schon bald nur noch eine Minderheit ausmachen werden, hat er sich nicht auseinandergesetzt. Das wird sich schneller rächen, als er denkt. Da können Kardinäle Karnevalszüge absegnen, so viel sie wollen. Jedenfalls stimmt die Relation zwischen christlichen und säkularen Feiertagen längst nicht mehr: Neujahr, Tag der Arbeit, Tag der Einheit sind ganze drei säkulare Feste. Ihnen steht ein Dutzend christlicher Feiertage gegenüber. Wo leben wir?

Wo bleibt die Neutralität unseres Gemeinwesens, wenn Feiertage, die an wesentliche Ereignisse erinnern wie ein Tag der Menschenrechte, noch immer keine Chance eingeräumt bekommen? Hat denn die Proklamation der Menschenrechte weniger zum Fortschritt der Welt beigetragen als Christi Himmelfahrt? Die Aufklärung weniger als das legendäre Ereignis von “Dreikönig”?

Das Projekt der Aufklärung im 21. Jahrhundert hat noch einen weiten Weg vor sich. Und solange Medien vom “Absegnen” eines Karnevalszugs durch einen Kardinal berichten, stillschweigend jubelnd zumal, als sei dieser Vorgang das Normalste von der Welt, wissen wir, wie steinig dieser Weg sein wird. Steinig ja, aber unverzichtbar.