GIPSYEYE, über Vorurteile hinaus sehen

Don't worry, be Roma!

BERLIN. (hpd) Ionut Stan, Leiter der GIPSYEYE NGO in Rumänien ist eine unverzichtbare Stimme im PEARLS-Projekt, das von der EU gesponsert wird. Es geht um den Schutz jener Romakinder und -jugendlichen, die besonders betroffen von Schulabbruch und ungleichen Bildungschancen sind.

Gipsyeye arbeitet sowohl an der Aufklärung über Roma als auch im Bereich Antirassismus und Menschenrechte. Jedes Jahr ermöglicht sie vielen jungen Menschen, als Freiwillige diese Organisation zu unterstützen und wertvolle Erfahrungen zu machen. Roma, die seit Jahrhunderten Diskriminierung und tief verwurzelten Rassismus in ganz Europa erlebt haben, die die Grauen der Nazizeit in ganzer Härte erlitten, müssen immer noch um die Anerkennung ihrer Würde kämpfen.

Der hpd sprach mit Ionut Stan.
 

hpd: Was brauchen die SchülerInnen mit Roma Hintergrund besonders?

Ionut Stan: Zunächst einmal müssen sie verinnerlichen, dass sie genau so wie alle anderen rumänischen Kinder rumänische StaatsbürgerInnen sind mit genau denselben Rechten. Bedauerlicherweise werden sie an manchen Schulen nach wie vor diskriminiert und die Kinder bekommen den Eindruck, es sei schlecht, Roma zu sein. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es ist eine wunderbare Ergänzung, mehrere kulturelle Einflüsse zur Verfügung zu haben. Wichtig ist, dass Eltern und Kinder ermutigt werden, ihre Bedürfnisse im Bereich Bildung zu erkennen und zu artikulieren. Es darf keine Segregation geben, Roma und Nicht Roma müssen zusammen lernen und sie müssen wissen, dass wir, NGOs, Schulinstitutionen da sind, um sie zu unterstützen.

Wenn wir einen Weg finden, auch unseren Roma Kindern das Gefühl zu geben, dass sie willkommen sind, geschätzt und geliebt werden und ihr Erfolg gewünscht ist, dann sollte einer positiven Entwicklung nichts im Wege stehen.
 

Spielt es für Sie eine Rolle, dass an der Cosmesti Schule zwei LehrerInnen mit Romawurzeln nach dem Universitätsabschluss LehrerInnen wurden?

Ich denke, die Funktion der positiven Rollenvorbilder kann nicht genug betont werden. Es ist heutzutage möglich, in Rumänien die eigene Karriere zu verfolgen und dabei unterstützt zu werden. Wenn du Astronaut werden möchtest, dann kannst du das werden, vorausgesetzt du lernst und bist fleißig. Das ist die Message, die wir haben: es gibt nichts, was dich stoppen kann, wenn du etwas erreichen möchtest. Es wird immer Menschen geben, die dich unterstützen und dir helfen, sei es eine NGO, SozialarbeiterInnen.

Ich habe festgestellt, dass, wenn ein Lehrer mit Romawurzeln im Kollegium ist, sich die Haltung und auch die Sprache der KollegInnen der Mehrheitsgesellschaft ändern.
 

Was meinen Sie, was außerdem LehrerInnen unterstützen kann, ihre Haltung zu verbessern? Was erwarten Sie von den LehrerInnen in Rumänien?

Ich denke wirklich, dass rumänische LehrerInnen das Herz auf dem rechten Fleck haben und wollen, dass die ihnen anvertrauten SchülerInnen erfolgreich sind. Ich glaube auch, dass manchmal genau diese LehrerInnen an dem System und den Umständen verzweifeln. Es sind viele Kinder, die in großer Armut leben. Und wie sollen sie gut lernen können, wenn sie regelmäßig ohne Frühstück zur Schule kommen? Oder wenn sie nicht zur Schule kommen weil es regnet oder zu kalt ist, einfach deshalb, weil sie keine Kleidung für dieses Wetter besitzen.

Es ist wichtig für LehrerInnen zu wissen, dass sie nicht alleine sind. Es gibt Menschen und Institutionen an die sie sich wenden können. Die Rolle der LehrerInnen ändert sich, muss sich ändern, denn auch die Gesellschaft ändert sich, sie wird komplexer und vernetzter.

Ionut Stan mit Kindern
Ionut Stan mit Kindern, Foto: © S. Navissi

Wenn du LehrerIn bist und du siehst dass dein Schüler keine guten Leistungen bringt, nicht, weil er dumm ist, sondern weil die Eltern vielleicht selbst Analphabeten sind, was kannst du tun? Wie kannst du als LehrerIn dieses Kind mit anderen Menschen in Verbindung bringen, die ihm gut tun? Wer kann das Kind zuhause besuchen und eine Beziehung auch zu den Eltern aufbauen? Wer zeigt den Eltern, dass sie, dass ihr Kind wichtig ist? Tatsächlich war es früher so, dass LehrerInnen die Familien zuhause besucht haben.

Sie sind zweifelsohne selbst ein erfolgreicher Mann, ein gelungenes Rollenvorbild, jemand, der seine Ziele verfolgt und erreicht. Gab es in ihrem Leben ein Vorbild oder ein Ereignis, dass sie stark beeinflußt hat? Und dürfen wir erfahren, was oder wer das war?

Ich erinnere mich, dass ich, als ich ca 8 Jahre war, von der Schule nach Hause kam, und gebetet habe: Warum kann ich nicht Rumäne sein? Warum bin ich ein Roma? Warum kann ich nicht sein wie die anderen? Ich fragte mich das über Jahre, suchte nach Antworten. Und eines Tages – ich war noch ein Schüler, ein sehr guter Schüler übrigens – dessen rumänische Mitschüler manches Mal zuhause Schläge bekamen, weil ein Roma bessere Noten bekam als sie, bekam ich meine Antwort. Ich verstand, dass ich nicht benachteiligt war, ich war sogar reicher als die anderen, weil ich eine Gemeinschaft habe, zu der ich gehöre, mehrsprachig bin und Dinge oft differenzierter sehe, durch meine interkulturelle Sensibilisierung.

Ich traf diese Frau, eine Psychologin, die eine offene Schreibwerkstatt an unserer Oberschule anbot. Dort schrieb ich mit anderen jungen Menschen über Dinge, die uns betrafen. Wir öffneten uns und lernten uns selbst kennen. Da wir unter einem anderen Namen schreiben sollten, einem Pseudonym, wählte ich den Namen Mr Gipsy. Das war für mich damals nicht negativ konnotiert, wie etwa das Z-Wort. Später erst habe ich verstanden, dass auch dieses Wort abwertend ist. Damals war es für mich etwas Besonderes, ich dachte, Gipsy wäre in Ländern wie zum Beispiel England etwas Angesehenes.

Ich schrieb und war anerkannt, anerkannt und geschätzt als Gipsy, mit all den Anteilen, die zu meiner Identität gehören. Das war das Besondere und das, was mich gestärkt hat. Das ist es, was ich allen Kindern wünsche, dass sie ihre Möglichkeiten und ihre Würde erkennen! Wir sind froh, dass wir unseren Teil dazu beitragen können, die Situation der Roma und auch Nicht-Roma-Kinder zu verbessern und für eine gerechtere Bildungspolitik stehen. Es gibt immer mehr junge Roma, die diese Entwicklungen fördern, auch in unserer Organisation.
 

Das Interview führte Susan Navissi für den hpd.