Hessenpremiere der Dokumentation zu Fritz Bauer

Ergänzungen & Rezeption des Films

Fritz Bauers Verhalten im Fall Eichmann wirft gelegentlich Fragen auf: durfte er das? Wäre er nicht verpflichtet gewesen, den Instanzenweg einzuhalten - selbst wenn absehbar war, daß der SS-Obersturmbannführer Eichmann dann flüchten würde?

Jenseits juristischer Diskussionen ist zu beachten, daß ein auf effizientes Schaffen von Gerechtigkeit orientiertes Verhalten nicht ungewöhnlich ist: Erinnern wir uns nur an den Deutschen Herbst 1977: vier palästinensische Terroristen entführten die Lufthansa-Maschine "Landshut" nach Mogadischu, um RAF-Gefangene freizupressen. Die somalische Polizei verfügte nicht über die nötige Ausrüstung und das Know-how, um die Geiseln zu befreien - das übernahm die Bundesgrenzschutz-Einheit GSG 9. Der "out of area"-Einsatz verlief erfolgreich, dennoch dankte Bundeskanzler Helmut Schmidt der deutschen Justiz, daß sie den Einsatz nicht verfassungsrechtlich untersucht hat. (Das Helmut Schmidt-Zitat steht im Vorspann von Fassbinders schwarzer Komödie "Die dritte Generation"). Auch hier erforderte eine außergewöhnliche Situation außergewöhnliche Maßnahmen. Im Interesse von Staatsraison und Geiseln wurden Überlegungen zu Hoheits- und Einsatzgebiet zurückgestellt. Bauer hatte berechtigen Anlaß zum Zweifel, ob ein deutsches Auslieferungsersuchen von Erfolg gekrönt sein könnte - doch in außergewöhnlicher Situation fand auch er einen außergewöhnlichen Weg, den Massenmörder vor ein ordentliches Gericht (incl. Berufungsverhandlung) zu stellen.

Ilona Zioks Dokumentarfilm "Fritz Bauer- Tod auf Raten" wurde zuerst auf der Berlinale gezeigt - mit Schlangen vor den Kinokassen: an allen drei Terminen mußten Interessenten wegen Überfüllung nach Hause geschickt werden. Dasselbe passierte anläßlich der Deutschland-Premiere am 4. November 2010 im Berliner Zeughaus-Kino: mit dem Film wurde das Festival "Über Mut" der Aktion Mensch zusammen mit der Humanistischen Union als Filmpartner eröffnet - und das Kino war wieder ausverkauft, wieder überfüllt. Zioks Art der Dokumentation kommt beim Publikum an, wie auch die überfüllte Hessenpremiere am 23. November 2010 im Frankfurter Naxos-Kino zeigte.

An Fernseh-Formate gewöhnte Kritiker streiten über den Stil: Ziok arbeitet bei diesem Film ganz bewußt mit "Talking Heads", einer im Kino-Dokumentarfilm bekannten Form. Ilona Ziok hat die Form weiterentwickelt, ihr eine stringente Spielfilmdramaturgie unterlegt: dadurch und dank der aufwendigen Schnittechnik bleiben die Interviews durchgehend spannend. Kurt Zimmermann, Gründer von "Titel, Thesen, Temperamente" ist begeistert: anders als so manches kurzlebige Feature seien Zioks Filme langfristig wertvoll.

Während das SWR-Fernsehen vom Biberacher Filmfestival über "Fritz Bauer - Tod auf Raten" berichtete und Klaus Maria Brandauer darin den Film begeistert kommentierte, glänzte das HR-Fernsehen bei der Hessenpremiere durch Abwesenheit. Der Sender mit Sitz in Frankfurt: der letzten, langjährigen Wirkungsstätte des gebürtigen Schwaben Fritz Bauer, igoriert den Film. Den Verantwortlichen von "kultur aktuell" gefällt er einfach nicht - wie man der Regisseurin und der Produktionsfirma bereits während der Berlinale mitteilte. Tatsächlich gehört "Fritz Bauer - Tod auf Raten" zu den großen Erfolgen des Festivals. Wohin entwickelt sich das hessische Fernsehen, wenn es aufgrund persönlicher Vorlieben politisch relevante und brisante Inhalte unter den Tisch fallen läßt? Wo ist das aufklärerische Interesse geblieben, für das auch Fritz Bauer stand?


Peter Menne