Greifswalder Humanisten: Gottlos glücklich

GREIFSWALD. (hpd) Am vergangenen Montag führte die Greifswalder Hochschulgruppe für Humanismus und Aufklärung einen Informationsabend rund um den Jahreswechsel durch. Im Mittelpunkt stand die Aufklärung über die „unchristliche“ Natur populärer Traditionen, erste Ausblicke auf säkulare Philosophien und Ideen zur Gestaltung des Monats Dezember oder auch die kritische Auseinandersetzung mit allgegenwärtigem Konsumwahnsinn.

„Die Kirchen haben den Dezember nicht gepachtet“, erklärt Paula Oppermann. Die 22-jährige Studentin ist Vorsitzende einer im Oktober gegründeten Hochschulgruppe, die kulturelle Angebote rund um säkulare und humanistische Philosophien erarbeitet und im Hochschulumfeld bekannt macht.

Religiöser Rummel, ein massiver Konsum von Waren und vor allem viel Hektik und Stress prägen für viele Menschen den letzten Monat im Kalender. „Das ist schade“, meint Paula Oppermann. Denn eigentlich bietet der Monat viel Anlass für das genaue Gegenteil.

Offenkundig sei zwar einerseits, dass die meisten Menschen keinen Bezug zu den religiösen Deutungen kirchlich organisierter Gruppen für die frühwinterlichen Wochen im Dezember haben. Andererseits, so ist sie überzeugt, schließt die fehlende Plausibilität früherer Traditionen nicht aus, diese Wochen auch als Atheistin sinnstiftend zu gestalten und eine säkulare Feierkultur zu praktizieren, die gleichgesinnte Menschen verbinden kann und sich irrationalen Begleiterscheinungen entzieht. Und das scheint auch bitternötig.

Denn evangelikale Gruppen setzen in der gottlosen Hansestadt neuartige Ideen zur Rechristianisierung der hiesigen Bevölkerung um, damit die Zahl der Gottesanbeter und Jesusjünger recht bald wieder wächst.

So steht erstmals in diesem Jahr prominent platziert ein hölzernes Gotteshaus mitten auf dem Marktplatz der Stadt, umringt vom alljährlichen Mini-Rummel mit Fahrgeschäften, Glühweinständen und Bratwurstbuden. Über allem prangt schließlich das Symbol der monotheistischen Religion rund um die Bibel.

Dabei soll, unterstützt durch Mittel aus dem Steuertopf des klammen Landeshaushalts, der deutlich überwiegend unchristlichen Bevölkerung erneut klar gemacht werden, dass vor allem die Kirchen von den Festen zum Jahresausklang wirklich etwas verstünden.

„Auf diese Weise können wir versuchen, den Menschen nahezubringen, dass die Wurzeln von Weihnachten eben nicht im Kommerz liegen sondern im Christentum“, meinte der Theologieprofessor Roland Rosenstock über das mit Hilfe der Universität entwickelte Konzept im „Nordkurier“.

Der ausufernd wirkende Kommerz wurde auch am Montag von den säkularen Studierenden der Hochschulgruppe kritisch beleuchtet, unter anderem mit Berichten über konsumkritische Aktionen in Berlin oder die Schuldenlast der Menschen im wirtschaftsschwachen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern.

Dass zu den Festen im Dezember zwingend das Schenken gehöre, wurde dabei von einigen als unvernünftig beurteilt. Klüger wäre es doch, Waren zum günstigsten Zeitpunkt zu erwerben oder zum passendsten Zeitpunkt zu verschenken. „Na, wenn die Leute kaufen wollen, sollen sie doch“, setzte Geologiestudent Christian F. dagegen. Über Probleme aufzuklären, beurteilte aber auch er als notwendig.

„Ich glaube aber, in den dunklen Wochen dieses Monats gibt es auch viele andere Wege, die Familie oder sich selber glücklich zu machen“, so schließlich Paula Oppermann.

An den Wänden des großzügigen Raums im Greifswalder Koeppenhaus waren deshalb rund drei Dutzend Folien zu acht Themengebieten installiert, die nicht nur über die Ursprünge der vermeintlich christlichen Feste zur Wintersonnenwende informierten oder über Phänomene in unserer Natur und unserem Planetensystem zur Winterzeit aufklärten.

So wurde auch von den Feiern säkularer Vereinigungen in Nordamerika berichtet, Betrachtungen vom humanistischen Kaplan der Universität Harvard, Greg M. Epstein, zur Weihnachtszeit angeboten oder einfach anhand von Zeitungsartikeln dargestellt, was „kämpferische Atheisten“ wie Richard Dawkins, Sam Harris, Christopher Hitchens oder Michael Schmidt-Salomon unternehmen, um sich und ihren Familien diese Zeit schön zu gestalten.

Auch die Frage, warum tätige Nächstenliebe gegenüber benachteiligten Menschen gerade zum Beginn der kalten Jahreszeit mehr Sinn macht als göttlich motiviertes Geben, wurde ebenso wenig vergessen wie eine Warnung vor den psychologischen Spätschäden eines ganz gedankenlosen Umgangs mit Hirngespinsten wie dem Weihnachtsmann oder Christkind.

Gebäck, Glühwein, leise Musik und – wie für ein Lichterfest typisch - viele Kerzen luden dazu ein, mal vom Alltag eine Pause zu machen um sich gemeinsam über ganz persönliche Auffassungen von den wirklich schönen Dingen im Dezember auszutauschen, die Gedanken treiben zu lassen oder neu zu inspirieren. Auf einer Leinwand konnte man sogar winterliche Fotos aus Stadt und Umland im Wandel der Jahrzehnte betrachten.

Ein Dutzend Gäste fanden schließlich den Weg, worüber Paula Oppermann angesichts der tagelangen Vorbereitungsarbeit zunächst etwas enttäuscht war. Als aber klar wurde, dass dieser Abend wieder einmal in Konkurrenz zu zahllosen weiteren Veranstaltungen in der „kleinen Kulturhauptstadt“ am Bodden stand, gelang auch ihr ein erfreutes Resümee des intensiven Engagements für die erste „große“ Veranstaltung der säkularen Hochschulgruppe an der Uni Greifswald.

Dass es davon in Zukunft mehr geben soll, meinten auch viele neue Gesichter und planten sogar schon gemeinsam manch zukünftige Idee wie aufklärerische Filmvorführungen, Lesungen oder Podiumsdiskussionen. Das durchweg positive Feedback der Gäste tat schließlich das Übrige zur vollen Zufriedenheit.

„Toll, wie viel wir in einem Jahr nun schon erreicht haben“, stellte Paula Oppermann am Ende der dreistündigen Veranstaltung mit einem Blick auf die vergangenen Monate fest. Dass eine säkulare Hochschulgruppe Sinn macht, hat sich für sie anhand der nun schon zehn Mitglieder und ebenso vieler weiterer regelmäßiger Besucher bei Treffen jedenfalls erwiesen.

Vor allem, wenn solche Zusammenkünfte recht unerwartete Folgen haben: Eine vermeintliche Katholikin und ein vermeintlicher Protestant verabredeten sich noch am Abend spontan zum gemeinsamen Gang auf das Standesamt, wo sie tags drauf den überfälligen Kirchenaustritt vollzogen - wonach allerdings jeweils zehn Euro aus den schmalen Studierendengeldbörsen futsch waren. Aber das ist wohl der Preis der Freiheit, sogar im gottlosen Mecklenburg-Vorpommern.

Arik Platzek