Fukushima ist nicht Tschernobyl

TOKYO. (hpd) Einer der Kuratoren der Giordano Bruno Stiftung ist Shiro Sonoda. In Japan geboren, ist er in Deutschland aufgewachsen. Er lebt nun wieder in Japan und hpd hat ihn gebeten, aus seiner Sicht vor Ort etwas zu den Problemen mit den Atomkraftreaktoren in Fukushima zu schreiben. Hier sein persönlicher Bericht.

Ich werde versuchen aus meinem Blickwinkel die Lage in Japan zu beschreiben. Zuerst möchte ich einige Fakten darstellen.

Die japanische Situation mit den AKWs ist sicherlich Besorgnis erregend, aber man darf die Situation nicht dramatischer darstellen als sie wirklich ist. Die AKWs in Fukushima sind unmittelbar nach dem Erdbebenbeginn automatisch heruntergefahren worden. Deshalb ist die Gefahr nicht mit Tschernobyl zu vergleichen.

Im Fall von Tschernobyl handelte es sich um die Katastrophe eines wochenlang unkontrolliert in aktiver Kernspaltungsreaktion befindlichen AKWs und daraus entstandener Neutronenstrahlung, die fast alles durchdringt, wodurch die Löscharbeit vor Ort so viele Opfer gefordert hat. Die in großen Mengen ausgetretenen langlebigen radioaktiven Stoffe, die damals durch den Wind in alle Richtungen verbreitet wurden, die Informationssperre und unterlassene Hilfe für die Bevölkerung, haben der Katastrophe ein Ausmaß gegeben, die man als Supergau bezeichnen konnte.

Im Falle von Fukushima, wo die Kernspaltungsreaktion unmittelbar nach dem Erdbebenbeginn gestoppt wurde, gibt es gar keine Neutronenstrahlung, sondern nur Gammastrahlung, die mit relativ dünnen Metallplatten bzw. Betonwänden aufgehalten werden kann. Deswegen hat bis heute niemand so viel Radioaktivität abbekommen, dass man dadurch schwer erkrankt oder gar stirbt. An den Zahlen von Toten gemessen kann man sagen, dass zurzeit die Folgen der Tsunamis, die mindestens 20.000 Opfer gefordert haben, bei weitem viel schlimmer sind als die AKWs in Fukushima.

Ich persönlich habe nicht den Eindruck, dass kritische Informationen mit Absicht zurückgehalten werden. Die japanische Regierung übt enormen Druck auf TEPCO (Tokyo Electric Power Company) aus, um die sofortige Offenlegung der kritischen Informationen zu erreichen. Trotzdem sickern einige Informationen durch inoffizielle Quellen früher durch und bevor der TEPCO Sprecher sich zu Wort meldet. Ich glaube, es hat nichts mit der Gesichtswahrung bzw. Vertuschungsversuchen zu tun, sondern TEPCO ist einfach überfordert durch die außerordentliche Situation. Denn man muss gleichzeitig mit vier AKWs, die sich in verschiedenen kritischen Zuständen befinden, versuchen die Lage zu stabilisieren.

Es ist hier im Lande deutlich zu erkennen, dass zurzeit das Militär, das in den Krisengebieten einschließlich der AKWs in Fukushima eingesetzt wird, beste zeitnahe Videobilder für die Öffentlichkeit zu Verfügung stellt. Diejenigen, die auf die Informationen in englischer Sprache angewiesen sind, mögen einen anderen Eindruck bekommen haben, weil man zurzeit nicht unbedingt für die Presse auf Englisch Prioritäten setzt.

Die Größenordnung der Explosionen, die durch die enorme Hitze verursacht wurden, haben auch ganz andere Dimensionen. Im Falle von Tschernobyl wurden radioaktive Materien aus dem Kern des aktiven Reaktors bis zur Stratosphäre, also etwa in 9.000 Meter Höhe hinaufgeschleudert, hingegen sind im Falle von Fukushima die abgeschalteten Reaktoren heil geblieben und nur Splitter aus Betonwänden von Außengebäuden max. 500 Meter herausgeschleudert worden, was durch die ausgetretenen Wasserdämpfe und daraus entstandenem Wasserstoff verursacht wurde. Gemessen an der Risikoskala der Internationalen Atom-Energie Agentur (IAEA) wurde Tschernobyl, wobei die Zahl der tödlichen Opfer rigoros manipuliert bzw. vertuscht wurde, in den höchsten Level 7 eingestuft, während Fukushima, wobei die Zahl der tödlichen Opfer bisher Null ist, als Level 5 bewertet wurde.

Die Stadt Tokyo, die etwa 220 km südlich von Fukushima liegt, ist keineswegs gefährdet, egal woher der Wind weht. Bis jetzt betrug die maximale Radioaktivität in der Luft von Tokyo kurzfristig nur 0.8 Mikro Sievert pro Stunde (wenn ich einmal zwischen Tokyo und Frankfurt hin und her fliege, bekomme ich etwa 150 Mikro Sievert ab und auf der Erde bekommt man im Durchschnitt 2.400 Mikro Sievert pro Jahr ab von der Natur.)

Zurzeit geht es hauptsächlich darum, wie man die zwar nicht mehr in Kernspaltungsreaktion befindlichen aber durchaus sehr heißen Brennstäbe abkühlt, bevor die Metallhülsen weg schmelzen.

Die einfachste Methode zum Abkühlen ist es, große Menge Wasser einzusetzen. Doch der Haken liegt gerade beim Abkühlen. Durch die 15 m hohe Tsunamiwelle wurden Notdieselgenerator, Treibstoffbehälter usw. weggefegt und die Stromversorgung von Außen ist auch unterbrochen. Also gibt es keine sofortige Möglichkeit, die Kühlungssysteme der AKWs zu betätigen.