Predigt, Gedenken, Karneval und Demo

BERLIN. (hpd) Der traditionelle Umzug des Christopher Street Days wird von anderen Veranstaltungen ergänzt und begleitet, die von der Öffentlichkeit jedoch weitaus weniger wahrgenommen werden, als das lautstarke und bunte Hauptspektakel auf den Straßen: Vier sehr unterschiedliche Stationen an zwei Tagen.

Erste Station: Freitag, 24. Juni 2011, 18 Uhr "Gottesdienst in St. Marien am Johannistag anläßlich des Christopher-Street-Days", so ist der Titel des 10-seitigen Druckwerks im Klassenheft-Format, es liegt in der Kirche aus und wird gerne von Besuchern und Touristen angenommen, auch die Presse ist dabei. Seit viertel vor sechs läuten die Glocken der evangelischen Kirche bis hinüber zum Roten Rathaus, dem Sitz des Regierenden Bürgermeisters und laden ein zu der Feier, die heute den Lesben und Schwulen gewidmet ist. Ungewöhnliches scheint sich hier in der Marienkirche am Alexanderplatz anzubahnen, die so etwas wie eine Bischofskirche in Berlin darstellt.

Der Gemeindekirchrat erläutert den anscheinend bisher Kirchenfernen in dem Vorwort der Broschüre, die einzelnen Stücke des Gottesdienstes „...sind über Jahrhunderte gewachsen zu einem religiösen Gesamtkunstwerk, das wir 'Liturgie' nennen“.

Das Kirchenschiff ist groß, viele Bänke laden ein, kaum eine ist frei geblieben und durch den langen Mittelgang kommend verteilen sich die für Predigt und Liturgie Zuständigen sowie Kreuzträger, Lektoren und Studenten der Theologie auf ihren Plätzen im Altarraum. Rauschende Orgel, feine Stimmen des KammerEnsembles füllen den Raum, bis Superintendent Bertold Höcker den Gottesdienst mit den Worten eröffnet: "Wir sind alle Gottes Kinder. Ob schul, ob lesbisch oder sonst irgendwie." Die Liturgie nimmt mit Anrufung, Verkündigung, Bekenntnis, Lesung des Römerbriefes, Kapitel 8, Ankündigung des Evangeliums und Liedern ihren Lauf. Für den ersten Teil der Predigt war der "Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit" angekündigt. Tatsächlich steigt er die Treppen zur Kanzel hinauf und spricht mit ernsten Worten über Toleranz und Akzeptanz und stellt sich die Frage, ob der Christopher Street Day als Demonstration dafür noch nötig sein. "Ist es denn nicht schon genug, was erreicht wurde? Nein, es ist noch nicht alles gut! Nicht in Berlin. Nicht in Deutschland."

 

 

Dem Landesverband der Lesben und Schwulen war es wichtig gewesen, den Gedanken der Regenbogenfamilien auch in die evangelische Kirche mit einem CSD-Gottesdienst hineinzutragen. Die evangelische Kirche hatte sich den Regierenden als Redner gewünscht, sie hat ihn bekommen.

Ehrendes und mahnendes Gedenken

Am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen findet, seit der Einweihung der Gedenkstätte im Mai 2008, ein ernstes Gedenken am Vormittag des Christopher Street Days (CSD) statt. Jörg Steinert, Vorsitzender des Berlin-Brandenburgischen Landesverband des Lesben- und Schwulenverbandes Deutschlands (LSVD) erinnert in seiner Begrüßungsansprache daran, dass es bisher noch ausstehe, die auch nach der Verfolgung durch die Nazis, in der Bundesrepublik und auch in der DDR von 1945 bis 1975 diskriminierten und verurteilten Homosexuellen zu rehabilitieren.

Dr. Ulrich Baumann, der stellvertretende Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, zu deren Aufgaben auch die Betreuung des Denkmals für die verfolgten Homosexuellen gehört, erinnert an die Aufgabe der Stiftung, an alle Opfer des Nationalsozialismus zu erinnern. Dazu würden auch die verurteilten „Deserteure“ und „Kriegsverräter“ gehören, ebenso wie die Sinti und Roma und auch die Opfer der NS-Patientenmorde und Zwangssterilisierungen.

Petra Pau, Partei Die Linke und Bundestagsvizepräsidentin, betont die Tradition Berlins als tolerante und weltoffene Metropole. Insofern spreche auch nichts gegen den Papstbesuch im September. Am Denkmal für verfolgte Homosexuelle, für deren Ächtung und Diskriminierung gerade die katholische Kirche einen großen Anteil hat, meint sie, dass Benedikt XVI dann ja auch vielleicht über sieben Brücken springen könnte, wenn er an diesem Denkmal einen Kranz niederlegen würde. Und sie warnt: Je mehr es in einer Gesellschaft kriselt, würden wieder die Ausgegrenzten zu Opfern abgeleiteter Projektionen.

 

 

Kränze des Mahnens und Gedenkens wurden im Auftrage des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, den Fraktionen im Abgeordnetenhaus der Linken und der Bündnis90/Die Grünen niedergelegt, ebenso wie von der SPD-Bundestagsfraktion durch Mechthild Rawert, der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, dem LSVD und dem CSD.