Kommentar

Wieder Rostock-Lichtenhagen?

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Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen – Ort der Ausschreitungen im Jahre 1992

TRIER. (hpd) Im Jahr 2015 sind bislang mehr Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte verübt worden als in den Jahren zuvor. Momentan wurden rund 200 Fälle registriert: Überwiegend handelt es sich um Brandanschläge, Körperverletzungsdelikte gegenüber Flüchtlingen, sowie rassistisch motivierte Demonstrationen. Doch die Gewalt richtet sich nicht mehr nur gegen Flüchtlinge, sondern auch gegen solche, die sich für sie engagieren. Erst vor wenigen Tagen wurde ein Sprengstoffattentat auf einen Politiker der Linken aus Freital verübt. Daneben wurde ebenso in Halberstadt eine Helferin vom Deutschen Roten Kreuz angegriffen, die unterstützend bei der örtlichen medizinischen Grundversorgung von Flüchtlingen mitwirkte. Es kann mittlerweile offenkundig von Terrorismus gesprochen werden, auch wenn das politische Akteure nicht wahrhaben wollen.

Spiegel-Redakteur Maximilian Popp hat in einem jüngst erschienenen Beitrag von einem vergifteten Klima in unserer Gesellschaft gesprochen und dabei auch vollkommen zutreffend von einer Mitverantwortung der Presse gesprochen. Auch der Spiegel hatte in den vergangenen Jahrzehnten zum großen Teil völlig undifferenzierte Debatten zum Thema Integration und Flüchtlingspolitik geführt und mittels reißerischer Titel – nennenswert wäre an dieser Stelle der Titel aus dem Jahr 1991: „Das Boot ist voll.“- zur Übersteigerung von Ängsten beigetragen, die schließlich in die gegenwärtigen Zustände mündeten. Die Auseinandersetzung mit dem Islam und dessen institutionellen Strukturen wurde ebenfalls keinen journalistischen Kriterien gerecht und wurde auf eine beispiellose Art und Weise emotionalisiert – man erinnere sich etwa an eine Ausgabe, dessen Titelseite von einer „stillen Islamisierung“ sprach. Dabei arbeitete man häufig mit Illustrationen, die äußerst beängstigend und bedrohlich wirkten, sodass dieser Auseinandersetzung jedwede Sachlichkeit genommen wurde. Zum Ende des Jahres 2014 begannen die Demonstrationen von PEGIDA (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes), und das ausgerechnet in Sachsen, mit einem Anteil an Muslimen von lediglich rund 2 Prozent. Die Demonstrationen sind zwar keine direkte Konsequenz der Berichterstattung vergangener Jahre, doch zweifelsohne sind sie davon geprägt.

Während in Teilen der Presselandschaft ein kritisches Reflektieren ihrer Arbeit bemerkbar wird, nimmt man von Seiten der Bundesregierung, aber auch einiger Landesregierungen keine Kehrtwende ihrer gegenwärtigen Politik wahr – im Gegenteil: Die CSU will sich dafür einsetzen, Flüchtlinge noch konsequenter abzuschieben. Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg, fordert, dass weitere Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden. Das neueste SPD-Impulspapier befürwortet die Pflege eines verantwortungsvollen Patriotismus. Viele Angehörige rechtspopulistischer Bewegungen und Initiativen fühlen sich in ihrer Programmatik und ihrer Paranoia bestätigt und die Folgen sind das Wachsen von Rassismus und gewalttätiger Übergriffe auf Flüchtlinge. Dabei tritt ein Phänomen offenkundig zutage: Es sind nicht mehr ausschließlich die Anhänger von NPD und anderen neonazistischen Parteien, die sich aktiv an solchen Übergriffen beteiligen. Lokale Initiativen „besorgter Bürger“ führen in Eigenregie aggressive Kampagnen gegen geplante oder bereits vorhandene Flüchtlingsunterkünfte und sind fest davon überzeugt, dass Flüchtlinge mit Geld überschüttet werden. Tatsächlich bekommen diese lediglich ein mageres Taschengeld, welches sich deutlich unterhalb des Existenzminimums befindet – von Menschenwürde fehlt jede Spur.

Eigentlich sollte die wachsende Gewaltbereitschaft alle Verantwortlichen aus Politik und Gesellschaft alarmieren und diese dazu motivieren, Menschenrechte für Flüchtlinge zu garantieren und um jeden Preis zu schützen, doch der Wille dazu ist nicht ausreichend vorhanden. Hätte dieser existiert, wäre es in den vergangenen Wochen und Monaten gar nicht in einer solchen Intensität zu solchen Gewaltdelikten gekommen. Vielmehr wird weiterhin Öl ins Feuer gegossen, indem sie versuchen mittels repressiverer Flüchtlingspolitik, den Bedürfnissen von Wutbürgern nachzukommen. Eine verschärfte Asylgesetzgebung wird langfristig die Zunahme von Rassismus nicht aufhalten, sondern bedeutet eine klare Absage an die Universalität von Menschenrechten und globaler Solidarität. Die gegenwärtigen Zustände sind das Ergebnis einer jahrzehntelang verfehlten Integrationspolitik. Doch anstatt sich Fehler einzugestehen, wird dieser Kurs noch intensiver fortgeführt, welcher höchstwahrscheinlich in einer humanitären Katastrophe enden wird. Der Sprengstoffanschlag von vergangenem Montag im sächsischen Freital hat gezeigt, wozu „besorgte Bürger“ fähig sein können. Deutschland ist für Flüchtlinge und solche, die sich für sie engagieren, kein sicheres Land mehr.