Der zensierte Luther

Im letzten Drittel des Buches mündet dann der theologisch begründete Judenhass in weltliche Ratschläge, wie mit den Juden umzugehen sei: Er ruft auf zum Niederbrennen ihrer Synagogen, sie unter ein Dach oder Stall zu tun, ihnen ihre Religion zu verbieten, ihren Besitz abzunehmen und die jungen Juden und Jüdinnen als Zwangsarbeiter einzusetzen (siehe Infokasten).
___________________________________________________________________________
 

Aus: Von den Jüden und iren Lügen (Wittenberg, 1543)

„Ich will meinen treuen Rat geben:
Erstlich, dass man ihre Synagoga oder Schule mit Feuer anstecke und was nicht verbrennen will, mit Erden überhäufe und beschütte, dass kein Mensch ein Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich. Und solches soll man tun unserem Herrn und der Christenheit zu Ehren, damit Gott sehe, dass wir Christen seien.
Zum anderen, dass man auch ihre Häuser desgleichen zerbreche und zerstöre. Denn sie treiben eben dasselbige drinnen, das sie in ihren Schulen treiben. Dafür mag man sie etwa unter ein Dach oder Stall tun, wie die Zigeuner, auf dass sie wissen, sie seien nicht Herrn in unserem Lande.
Zum dritten, dass man ihnen nehme alle ihre Betbüchlein und Thalmudisten, darin solche Abgötterei, Lügen, Fluch und Lesterung gelehret wird.
Zum vierten, dass man ihren Rabinern bei Leib und Leben verbiete, hinfort zu lehren.
Zum fünften, dass man den Juden das Geleit und Straße ganz und gar aufhebe. Denn sie haben nichts auf dem Lande zu schaffen, weil sie nicht Herrn noch
Amtleute noch Händler oder desgleichen sind. Sie sollen daheim bleiben ...
Zum sechsten, dass man ihnen den Wucher verbiete, der ihnen von Mose verboten ist ... und nehme ihnen alle Barschaft und Kleinod an Silber und Gold und lege es beiseit zu verwahren.
Zum siebten, dass man den jungen starken Juden und Jüdinnen in die Hand gebe Flegel, Axt, Karst, Spaten, Rocken, Spindel und lasse sie ihr Brot verdienen im Schweiß der Nasen ...
... Drum immer weg mit ihnen.“

__________________________________________________________________________

Dieses „Sieben-Punkte-Programm“ der „scharfen Barmherzigkeit“ zur „Entlastung von der Judenlast“ liest sich wie die Anleitung zum Holocaust, dem 400 Jahre später sechs Millionen Juden zum Opfer fielen. Im Erscheinungsjahr dieses Buches wurde auch Luthers Schrift „Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi" (1543 veröffentlicht), worin er unter Verwendung des Begriffs „Judensau“ die Juden auf das massivste beleidigte und der Lächerlichkeit preisgab (3).

Am 15. Februar 1546, drei Tage vor seinem Tod, warnte Luther ein letztes Mal in einer „Vermahnung wider die Juden“ (2) vor denen, die „unsern Herrn Jesum nur teglich lestern und schenden“ und bezeichnete sie, sofern sie nicht damit aufhörten, als „unsere öffentlichen Feinde“. Die Hoffnung, einzelne Juden doch noch zu bekehren, klingt in seiner Bemerkung an: „Wo sie sich aber bekeren, iren Wucher lassen und Christum annemen, so wollen wir sie gerne als unsere Brüder halten.“ Zu der Obrigkeit gerichtet mahnt er aber für den Fall, dass die Juden das „Lestern“ und den „Wucher“ nicht lassen: „darum solt ir Herrn sie nicht leiden, sondern sie weg treiben.“

Das Verhältnis des sogenannten „späten Luther“ zu den Juden kam 400 Jahre später den Nazis als Rechtfertigungspotential für die Judenverfolgung im Dritten Reich sehr entgegen: „Luther war ein großer Mann, ein Riese. Mit einem Ruck durchbrach er die Dämmerung, sah den Juden, wie wir ihn erst heute zu sehen beginnen“ (Adolf Hitler, 1923) (4). Kurz nach der Machtergreifung der NSDAP 1933 vereinigten sich 28 evangelische Landeskirchen in der „Deutschen Evangelischen Kirche“ (DEK), die nach der Kirchenwahl am 23.07.1933 von den der Rassenideologie der Nazis nahestehenden Deutschen Christen (DC) beherrscht wurde. Ab 1938 nannten sich die „Deutschen Christen“ in „Lutherdeutsche“ um.

Reichspogromnacht, Luther und Evangelische Kirche

In der Nacht vom 09. zum 10. November 1938 brannten in Deutschland die Synagogen. Der offizielle Auslöser dieser nationalsozialistischen Verbrechen war die Ermordung des deutschen Botschaftsangehörigen in Paris, Ernst Eduard vom Rath, durch den siebzehnjährigen polnischen Juden Herschel Grynszpan.

Logistisch war dieses Pogrom von den Nazis schon länger vorbereitet (5). Auch jüdische Geschäfte, Wohnungen und Friedhöfe blieben nicht verschont. Die jüdische Bevölkerung wurde fortan verstärkt in die Konzentrationslager deportiert. Reichspogromnacht und die Verschleppung der Juden in die Konzentrationslager erinnern frappierend an die beiden ersten Ratschläge Luthers, ihre „Synagoga mit Feuer anzustecken“ und „sie etwa unter ein Dach oder Stall zu tun, wie die Zigeuner“, die ebenfalls in die Lager deportiert wurden.

Der den Deutschen Christen angehörige evangelisch-lutherische Landesbischof aus Eisenach Martin Sasse veröffentlichte kurz nach der „Reichskristallnacht“ eine Schrift mit dem Titel: „Martin Luther über die Juden: Weg mit ihnen!“. Im Vorwort schreibt er: „Am 10. November 1938, an Luthers Geburtstag, brennen in Deutschland die Synagogen. Vom deutschen Volk wird ... die Macht der Juden auf wirtschaftlichem Gebiet im neuen Deutschland endgültig gebrochen und damit der gottgesegnete Kampf des Führers zur völligen Befreiung unseres Volkes gekrönt. In dieser Stunde muß die Stimme des Mannes gehört werden, der als der Deutschen Prophet im 16. Jahrhundert einst als Freund der Juden begann, der getrieben von seinem Gewissen, getrieben von den Erfahrungen und der Wirklichkeit, der Größte Antisemit seiner Zeit geworden ist, der Warner seines Volkes wider die Juden.“

Im Grunde wurde der treue Rat Luthers von den Nazis de facto Punkt für Punkt umgesetzt: „man nehme alle ihre Betbüchlein und Thalmudisten“ erinnert an die öffentliche Verbrennung „undeutschen Schrifttums“, an die Bücherverbrennung 1933. „Und nehme ihnen alle Barschaft und Kleinod an Silber und Gold“ erinnert sofort an die Zwangsarisierung jüdischen Besitzes. „Und lasse sie ihr Brot verdienen im Schweiß der Nasen“ erinnert spontan an den Einsatz arbeitsfähiger Juden als Zwangsarbeiter in der deutschen (Rüstungs-)Industrie.

1934 gründete sich die „Bekennende Kirche“ (BK), die sich als Gegenposition zu den Deutschen Christen (DC) der Gleichschaltung von Lehre und Organisation der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) durch den Nationalsozialismus widersetzte (Kirchenkampf). Eine klare Gegenposition zur Judenverfolgung hatte aber auch diese Bewegung nicht.

Neben Dietrich Bonhoeffer, der als einer der ganz wenigen im aktiven Widerstand gegen die Nazis agierte und dabei sein Leben verlor, waren auch Persönlichkeiten wie Martin Niemöller, Friedrich von Bodelschwingh, Heinrich Albertz, Helmut Gollwitzer, Gerhard Ebeling, Rudolf Bultmann, Walter Künneth und Theophil Wurm Mitglieder der Bekennenden Kirche. Nach Kriegsende 1945 formierten sich die deutschen Protestanten in der „Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)“ neu. Der Landesbischof der evangelischen Landeskirche in Württemberg, Theophil Wurm, der noch vor 1945 im Hitlerstaat die „von Gott gesetzte Ordnung“ erblickte (6), wurde der erste Ratsvorsitzende der EKD. Nach 1945 wies er die Schuld am Krieg und Völkermord der „Gottlosigkeit des NS-Regimes“ und seiner „Abkehr von Gott und seinen Lebensordnungen“ zu (6). Luther wurde erwartungsgemäß in keiner Äußerung der EKD zum nationalsozialistischen Terrorregime, auch nicht im „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ erwähnt. Im Juli 1948 schlossen sich acht lutherische Landeskirchen zu der „Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands“ (VELKD) zusammen.