„Über das Mittelalter senkte sich die Finsternis“

In Ihrem Buch verweisen Sie darauf, dass durch den Kulturbruch die Entwicklung Europas für Jahrhunderte blockiert gewesen sei. Woraus schließen Sie, dass ohne das Christentum, sagen wir, die Sklaverei schneller abgeschafft worden wäre oder die Stellung der Frau sich früher verbessert hätte?

Rolf Bergmeier: Für die Frage der Sklaverei dürfte es unerheblich gewesen sein, ob die Gesellschaft christlich verankert gewesen ist oder nicht. In dieser Frage haben sich weltliche und christlich-kirchliche Auffassungen nicht grundsätzlich unterschieden. Paulus und Augustinus haben die Sklavenordnung aus dem göttlichen Verständnis heraus verteidigt. Klöster wie weltliche Herren zeigen kein grundsätzlich unterschiedliches Verständnis von der Sklaverei, beide profitieren im weiteren Verlauf von der neuen mittelalterlichen Frondienstordnung und der Leibeigenschaft der ländlichen Bevölkerung, die sich später in blutigen Bauernaufständen, auch gegen die Kirche, entladen wird.

Nur die riesigen sozialen Unterschiede, nur die billige, häufig kostenlose Arbeitskraft der Masse erlaubte den Bau himmelhoher Kathedralen und beeindruckender Klosterbibliotheken, die ja irgendwie finanziert werden mussten. Die Menschen duldeten diese Verhältnisse, akzeptierten den Gegensatz von Pomp und bitterster Armut, weil er Ihnen als gottgegeben und als einziger Weg zum ewigen Heil gepredigt wurde. Einen Ausweg gab es unter Drohung schlimmster Strafen und ewiger Verdammnis nicht. Es ist die schlimmste Gehirnwäsche aller Zeiten, der Tod der Bergpredigt.

Die Stellung der Frau dürfte sich spätestens mit der Gründung der Staatskirche zunehmend verschlechtert haben. Die ursprüngliche paulinische Forderung „Juden und Griechen, Sklaven und Freie, Mann und Frau“ seien als „Christen“ gleich (Gal 3,27) ist als Definition der „Gemeinde“ zu verstehen, jedoch ohne Bedeutung für den gesellschaftlichen Rang der Frau. Denn derselbe Paulus fordert, Frauen sollten nicht über den Mann herrschen und in der Kirche schweigen (1 Kor 11,3 und 14,34). Es verwundert daher nicht, dass Frauen aus allen einflussreichen kirchlichen Ämtern ausgeschlossen wurden, in der Kirche getrennt sitzen mussten, praktisch nicht in gesellschaftlich bedeutende Positionen aufsteigen konnten und im hohen Mittelalter unter dem Schutz der Kirche als Hexen diskriminiert wurden. Im christlichen Mitteleuropa war es zwischen 400 und 1200 völlig ausgeschlossen, dass eine Frau – wie noch im vierten antiken Jahrhundert – Mathematikerin werden konnte (Hypatia von Alexandria) oder als Priesterin (Vestalin) hohes Ansehen genoss.

Erlauben Sie mir noch einen abschließenden methodischen Hinweis: „Schatten über Europa“ erhält seine besondere argumentative Durchschlagskraft durch das methodische Mittel des Vergleichs: Zum einen wird die kulturelle und zivilisatorische Leistung der „heidnischen“ Antike mit den Verhältnissen des christlichen Mitteleuropas des 5. bis 12. Jahrhunderts verglichen und zum zweiten wird die neue christliche Kirchenkultur der benachbarten Parallelkultur des islamisch-maurischen Spaniens und der von Damaskus, Alexandria und Bagdad gegenübergestellt.

Diese Parallel-Vergleiche quer durch die Territorien des ehemaligen Imperium Romanum fallen für das Christentum so ungünstig aus, dass es sich verbietet, vom Christentum als dem Träger abendländischer Kultur zu sprechen. Noch nicht einmal die Floskel, das Christentum habe Europa geeint, stimmt: Unter der Dominanz des Christentums wurden die Juden aus Europa verjagt, spaltete sich das griechisch-orthodoxe Christentum ab, entschied sich Mohammed zur Gründung einer eigenen Religion und nahm dabei Dreiviertel des einst geschlossenen Mittelmeerraumes mit.

„Einig“ war Europa unter römischer Herrschaft gewesen. Und das lag nicht nur an den Legionen. Rom wusste, dass Religionen trennend und friedensgefährdend wirken und erlaubte auch noch dem letzten Fruchtbarkeitsgott seine Heimstatt auf dem forum romanum aufzuschlagen. Danach zerfleischten sich Europa und der Mittelmeerraum in Religionskriegen und in Kämpfen des Klerus und der weltlichen Herrscher um die Macht. Sachsenkriege, Reconquista, Canossa, Kreuzzüge, Krieg den Katharern, Verfolgung der Juden, Zwangstaufen, Krieg den Andersdenkenden, jedermann kann sich das selbst erarbeiten. Welcher Mangel an Mitgefühl für die Geschändeten, den obersten Vertreter dieser Kirche vor den Bundestag zu bitten.

Ich danke für das Gespräch.

Die Fragen stellte Martin Bauer.

 

Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.