Hessen: Wirrer Reformstreit um Feiertagsgesetz

MAINZ. (hpd) Die Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen will das Feiertagsgesetz in Hessen novellieren. Es heißt, das Gesetz entspreche nicht der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Doch nicht nur die CDU sondern auch die SPD hält dagegen. Eine Reform wäre bis 2015 fällig. Für Laizisten könnte das Thema ein gefundenes Fressen sein.

Wirr, aber wahr: Ausgerechnet die Bündnis-Grünen wollen eine Novelle des hessischen Feiertagsgesetzes, die aus einem Schritt vor und zwei Schritten zurück bestünde. Weniger starre Regelungen für Feier- und Sonntage sowie einen besonderen Schutz für religiöse Feiertage soll es geben, sogar wenn diese keine gesetzlichen Feiertage sind. Sogenannten „stillen Feiertagen“ soll ebenfalls ein über den generellen Schutz der gesetzlichen Feiertage hinausgehender Schutz zukommen. Deutlich wird, dass die Hessen von einer nüchternen Debatte über Feiertage ganz weit entfernt sind.

Der Stein des Anstoßes fand sich im letzten Jahr. Obwohl sich jahrelang niemand dafür interessiert hatte, drängte die katholische Kirche in Hessen plötzlich darauf, dass das bislang verankerte Verbot von öffentlichen Tanzveranstaltungen auch eingehalten wird und forderte strengere Kontrollen. Der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen diagnostizierte damals „Verfallserscheinungen einer Gesellschaft, die gar nicht mehr verzichten kann und keine Ehrfurcht vor dem hat, was anderen wichtig ist.“

Schnell regte sich Protest gegen den überraschend rigiden Kurs, eine Demo wurde organisiert und ein stiller Tanz-Flashmob mit mehreren Hundert Teilnehmern zollte dem eingeforderten Verbot auf dem Frankfurter Römerberg am Karfreitag Hohn und Spott. Dabei wurde eine katholische Prozession gestört. Anzeige erging deshalb unter anderem gegen die Grünen-Landtagsabgeordnete Sarah Sorge, welche die Demo unterstützt hatte.

Am vorletzten Montag schlug Sorge auf ihrer letzten Pressekonferenz als Landtagsabgeordnete, mittlerweile als Frankfurter Schuldezernentin tätig, eine Novelle des hessischen Feiertagsgesetzes vor. Die Novelle solle dafür sorgen, dass das Gesetz „in Zukunft, geprägt von Respekt und Toleranz, die gesellschaftlichen Realitäten abbildet.“ Doch Teil der gesellschaftlichen Realität ist, dass Religion privilegiert wird.

Die für viele widersprüchliche bisherige Regelung, dass an einigen Feiertagen zwar kein Verbot für lautes Musikhören und öffentlichen Alkoholgenuss, aber ein Tanzverbot gilt, soll durch eine Aufhebung des Tanzverbotes verbessert werden. Bislang gilt das Tanzverbot in der Zeit von 4 Uhr an Gründonnerstag bis Karsamstag um 24 Uhr sowie am Ostersonntag und Ostermontag jeweils von 4 bis 12 Uhr, wie auch an Neujahr ab 4 Uhr morgens bis 12 Uhr mittags.

„Das generelle Tanzverbot an Sonn- und Feiertagen stammt aus einer Zeit, in der Tanzveranstaltungen als Höchstmaß an Ausgelassenheit galten, die in den Zeiten möglicher Gottesdienste als unangemessen empfunden wurden“, so die Grünen. Als ein weiteres Beispiel für die Antiquiertheit der Regelung verwies Sorge darauf, dass derzeit in allen Nächten von Samstag auf Sonntag ab vier Uhr morgens nicht mehr getanzt werden dürfe, da jeder Sonntag als Feiertag gelte.

Karfreitag, der Volkstrauertag und der Totensonntag sollen hingegen zukünftig als „stille Feiertage“ einen besonderen Schutz erhalten, der über den generellen Schutz als gesetzliche Feiertage noch hinausginge.

„An diesen besonders geschützten Tagen halten wir ein gemeinsames Innehalten der Gesellschaft, ein Nachdenken über Tod und Vergänglichkeit, nicht nur aus einer religiösen Begründung heraus, für ein gesellschaftlich relevantes und daher sehr schützenswertes Ziel“, heißt es im Eckpunktepapier. Vom „Halli-Galli“ und der Schnelllebigkeit der Gesellschaft soll an diesen Tagen Abstand genommen werden, weshalb auch ein Verbot „von öffentlichen Unterhaltungsveranstaltungen, lauter Musik“ sowie „die Einhaltung eines den Tagen angemessenen Fernseh- und Radioprogramms“ dazu gehöre.

Keine Sympathie für jedwede Änderung gab es seitens der CDU. Dort hieß es, dass die bestehenden Regelungen „nicht zur Disposition stehen“. „Die hessischen Regelungen zum Sonn- und Feiertagsschutz sind ausgewogen und berücksichtigen die religiösen Empfindungen der Gläubigen“, sagte der CDU-Abgeordneter Holger Bellino. „Die nach wie vor überwiegend christlich geprägte Gesellschaft hat ein Recht darauf, dass die Kar- und Ostertage auch künftig geschützt werden.“

Günter Rudolph, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, sieht Änderungsmöglichkeiten nur bei einem „breiten gesellschaftlichen Konsens“ und sagte: „An erster Stelle muss dazu das vertrauensvolle Gespräch mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften stehen. Der Zeitgeist ist kein Maßstab im Umgang mit dem Schutz der Feiertage.“ Das Grünen-Papier bedürfe einer erheblichen Konkretisierung.

Wirklich zur Debatte stehen jedenfalls fünf der zwölf gesetzlichen Feiertage in Hessen, zu denen wie auch in anderen Ländern Karfreitag, Ostermontag, Christi Himmelfahrt sowie der Pfingstmontag und Fronleichnam gehören. Dazu kämen auch noch der evangelische Totensonntag sowie der Volkstrauertag. Kein Witz: Die letzteren beiden sind durch die ausdrückliche Bezugnahme des hessischen Feiertagsgesetzes auf Trinitatis geschützt.

Zwischenbilanz: Genau 75 Prozent der vom hessischen Gesetz festgelegten Gedenk- und Feiertage nehmen derzeit einen ausdrücklichen Bezug auf religiöse Inhalte des Christentums. Die Verhältnisse stehen da im Kontrast zur sozialen Realität, wo aber doch immer noch mit 63,5 Prozent die christliche Konfessionsgruppe die zahlenmäßig größte ist. Zudem sollen rund 10 Prozent der Menschen in Hessen Muslime sein, die restliche Bevölkerung besteht aus konfessionellen Minderheiten oder Konfessionsfreien. Klar ist den meisten aber auch, dass gesetzliche Feiertage nicht nach proportionalen Verhältnissen der Konfessionsgruppen ausgerechnet werden können.

Doch wie dann? Der Plan bei den Grünen dazu sieht wie folgt aus: Die Feiertage von „anerkannten und großen Religionsgemeinschaften“ sollen unter dem besonderen Schutz des Staates stehen. Wo die Gläubigen also ihre Festzelte und Altäre aufstellen wollen, müssen nichtreligiöse Gruppen generell abrücken: Es gibt definitiv keinen stillen Tanz-Flashmob an Karfreitag auf dem Römerberg, solange dort Katholiken prozessieren möchten.

Und zahlenmäßig „groß“ muss eine Konfessionsgemeinschaft nicht mal sein. „Anerkannt sind jedenfalls diejenigen, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert sind, unabhängig von der Zahl ihrer Mitglieder“, erklärte der rechtspolitische Sprecher der hessischen Grünen, Andreas Jürgens auf Nachfrage. Dazu gehörten auch die jüdischen Gemeinden, „ansonsten soll der Schutz auch nicht öffentlich-rechtlich organisierten Gemeinschaften wie z.B. den Muslimen zukommen, wenn sie durch die Anzahl ihrer Mitglieder eine gesellschaftlich relevante Größe darstellen und im öffentlichen Leben eine wahrnehmbare Rolle spielen.“ Im öffentlichen Leben eine wahrnehmbare Rolle spielen? Davon können die christlichen Gläubigen in Frankfurt am Main ein Lied singen, nach den Auftritten von Pierre Vogel & Co. im vergangenen Jahr.

Zwar kündigten die Grünen an, „mit vielen gesellschaftlichen Gruppen, selbstverständlich auch mit den Kirchen, diskutieren“ und dabei auch nichtreligiöse Gruppen anhören zu wollen. Doch deutlich wird, dass man in Hessen von einer säkularen und nüchternen Betrachtung des Themas noch weit entfernt ist.

Gewiss wird wohl auch in Zukunft niemand ernsthaft Weihnachten – das tatsächlich einen naturgeschichtlichen Hintergrund hat – abschaffen wollen, aber eine Novellierung, welche den Schutz sowie den Namen der Feiertage nach einem tatsächlichen kulturellen Gehalt und Sinnverständnis bei der Bevölkerung bemisst, ohne dabei ständig explizit auf religiöse Themen abzustellen, ist noch lange nicht in Sicht. Oder glauben die Hessen wirklich noch alle an die Auferstehung und Himmelfahrt des sagenhaften Jesus – warum sollen also 100 Prozent der Menschen in Hessen sich ihre Feiertagskultur vom überholten Glauben einer unaufgeklärten Minderheit bestimmen lassen?

Das Anliegen der Linkspartei hingegen, den Internationalen Frauentag zum gesetzlichen Feiertag zu machen, steht auf jeden Fall ganz hinten an. „Generell sollte man allerdings mit gesetzlichen Feiertagen ‚sparsam umgehen‘, damit der einzelne nicht zu sehr entwertet wird“, erklärte Grünen-Sprecher Andreas Jürgens dazu.

Und zur Frage nach der Ursache dafür, dass bei der Debatte um die hessische Feiertagskultur denn ausgerechnet die Religionen den Ton angeben müssten, verwies Jürgens auf das Grundgesetz. Denn dort steht: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ Das Fliegende Spaghettimonster komme.

Und damit nicht noch mehr Menschen in den kommenden Wochen gefährliche Denkanstöße erhalten, traf man sich in Frankfurt am Main mit den Diskotheken-Betreibern auf halber Strecke. Ordnungsdezernent Markus Frank sagte, dass es in diesem Jahr keine großangelegten Kontrollen geben soll. Vorerst soll nur bei Beschwerden eingegriffen werden.

Arik Platzek

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