Humanistik und „Humanismuspflege“

BERLIN. (hpd) Unter dem Titel „Humanistik – Beiträge zum Humanismus“ erschien im Alibri Verlag soeben der vierte Band der „Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Deutschland“. 17 Texte nähern sich historisch und aktuell Fragen nach den Aufgaben und Perspektiven der Humanismusforschung, Antihumanismus und Humanismuskritik bis hin zu juristischen und politischen Problemen der „Weltanschauungspflege“.

Der Sammelband enthält auch einen lebensphilophisch-praktischen Artikel von Friederike Habermann, der auffordert, einfach anders zu Wirtschaften, um den homo oeconomicus zu überwinden.

Der hpd sprach mit Herausgeber Horst Groschopp.

 

hpd: Humanistik? Das klingt wie Germanistik oder Urbanistik – bekommen wir mit dem Band eine „Humanismuswissenschaft“?

Groschopp:

Zunächst: Humanismus ist keine „wissenschaftliche Weltanschauung“, sondern eine praktische wie theoretische Kulturbewegung, die etwa so alt ist wie das Christentum. Es gibt auch Autoren, die alles Nachdenken über den Menschen und die Menschlichkeit darunter rechnen, die kommen auf 2.500 Jahre, andere setzen einen noch älteren Anfang, etwa im Hinblick auf Indien und China. Man kann jedenfalls Humanismus wissenschaftlich erforschen. Und warum soll dies nicht „Humanistik“ heißen.

Ist der Begriff eine Erfindung der Akademie?

Nein, aber wir haben uns immer für diese Bezeichnung eingesetzt, weil wir – da es in Deutschland keinen einzigen Lehrstuhl für Humanismus gibt – einen solchen Studiengang befürworten. Dazu haben wir schon 2002 bis 2004 einige öffentliche Tagungen abgehalten, das Konzept mit einem Studienplan vorgestellt und in „humanismus aktuell“ Heft 15 publiziert, das im Internet herunterladbar ist.

Aber wir haben da nichts erfunden, sondern in Holland und Belgien abgekupfert, wo es bereits entsprechende Studienrichtungen gibt. Den belgischen Lehrstuhl stellt in diesem Band die Inhaberin, die Professorin Gily Coene gemeinsam mit Ulrike Dausel, einer Mitarbeiterin und Beauftragten des belgischen Humanistischen Verbandes deMans.nu, vor.

Es gibt ja in der „säkularen Szene“ das Gerücht, der HVD plane so etwas wie einen konfessionellen Lehrstuhl für Humanismus ...

Zum Thema „Humanismus und Konfession“ gibt es viele Gerüchte, gerade auf Texte von mir bezogen. Darauf will ich hier nicht eingehen, das kann man nachlesen, was da wirklich steht. Aber nach der Lektüre des Bandes „Humanistik“ wird vielen klarer sein als vorher, um welche Spannbreite es geht, wenn über Humanismus wissenschaftlich verhandelt wird. Das habe ich schon angedeutet im hpd-Interview „Humanismus ist ein offenes System“.

Der vorliegende Sammelband gewährt einen Zukunftsblick auf das, worüber eine wissenschaftliche Humanistik – ein endlich einzurichtender Lehrstuhl – zu verhandeln hätte und was einige mögliche Gegenstände wären.

Auf das im Buch erstmals publizistisch vorgestellte Projekt einer „Enzyklopädie des Humanismus“ gehe ich noch ein, will zunächst noch einmal auf den belgischen Text und zwei ausgesprochen auf den Humanistischen Verband bezogene Beiträge verweisen. Der Artikel von Coene und Dausel verdeutlicht, dass der dort vorgestellte Humanismus ein weltanschaulicher ist, aber dass es sich um einen – um es in der Sprache der laizistischen Kritiker des HVD zu sagen – sehr „kuschelatheistischen“ Humanismus handelt. Das ist die Konsequenz, wenn man nicht mehr vorwiegend kirchenkritisch ist, sondern eine nichtreligiöse Alternative anbietet, in der Gott oder so etwas einfach nicht vorkommt.

... also ganz und gar nicht „konfessionell“?

Der Reihe nach: Es geht um einen weltanschaulichen Humanismus, der auf moderne Weise selbstverständlich „bekenntnismäßig“ ist, der gelebt wird, der orientieren kann, der auch politisch ist. „Konfessionell“ ist die Sache, weil sie in Deutschland stattfindet auf der Basis eines überkommenden, veralteten, unmodernen Religions- und Weltanschauungsrechts, wo das „Konfessionelle“ sich fortschleppt. Man kann aber – wie die erfolgreiche Geschichte des HVD zeigt – in diesem Rahmen auch einen praktischen und theoretischen Humanismus befördern. Wenn man öffentliches Geld möchte, muss man nach Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 137 Abs. 7 Weimarer Reichsverfassung und damit als Weltanschauungsgemeinschaft handeln. Das nenne ich, um die Konsequenzen zuzuspitzen, die das hat: „konfessionell“ (in Anführungsstrichen). Man kann solcherart Handeln auch ablehnen, dann verzichtet man eben auch auf diese Rechte und dieses Geld.

Gibt es dazu im Buch konkrete Hinweise?

Mehr als das. Ich habe deshalb so ausdrücklich auf das Thema abgehoben, weil ein Beitrag in diesem Band die rechtlichen Möglichkeiten verdeutlicht, die die Gesetze bieten, so zu handeln; und weil eine Praxis beschrieben wird, die das anwendet und zeigt, was es bedeutet, wenn man regional die Gesetze anzuwenden versucht und sie dabei auch verändern hilft. Das ist einmal der streng juristische Text von Christine Mertesdorf „‘Weltanschauungspflege’ – juristisch gesehen“ und der Beitrag von Michael Bauer „Humanistische Weltanschauungspflege – praktisch gesehen“ am Beispiel des Nürnberger HVD. Was da stattfindet, ist für mich „Humanismuspflege“ – in Anwendung von 137,7 WRV.

 

Und das ist dann der neue Humanismus?

Ein kleiner Beitrag dazu ... ist ja schon was in Deutschland. Selbstredend ist aber Humanismus viel mehr, eine mehr als zweitausendjährigen Kulturbewegung und Begriffsdebatte über humanitas und was das jeweils konkreten Menschen bedeutet, die dazu Gedanken vortragen. Enno Rudolph behandelt – sehr aktuell bezogen auf Fragen, die in der Luther-Dekade zu stellen sind – die Grundsatzfrage, ob „Humanismus – ein gescheitertes Projekt“ ist. Antoon De Baets fragt in seinem Text „Ruft Unmenschlichkeit Menschlichkeit hervor?“ Er untersucht das Paradoxon, dass Humanismus immer dann erfolgreich zu sein scheint, wenn Unmenschlichkeit übergroß ist. Die Antwort will ich nicht vorweg nehmen.