„Der Mann verliert seine natürliche Partnerin...“

hpd: Es gibt Stimmen, die bestreiten, dass der Islam für die Lage der Frauen verantwortlich sei, und auf ältere Traditionen verweisen. Wie sieht Ilhan Arsel das?

Arzu Toker: Das hat Arsel auch in den Zeitungen gelesen und war enttäuscht. Er sah, dass es modern wurde, alles Schlechte auf die Tradition zu schieben und den Islam reinzuwaschen. Sicher gibt es auch Traditionen, die gegen die Frau gerichtet sind. Aber die Frage ist, und das wird durch „Frauen sind eure Äcker“ gründlich verständlich, was ist deren Quelle? Solche Traditionen kommen nicht aus dem Nichts. Und die Antwort ist bei Arsel klar und deutlich: Islam. Zu behaupten, es handele sich um Tradition und nicht um den Islam, ist genau die feige Antwort vieler, die entweder keinen Mumm haben, sich grundsätzlich mit Religion auseinanderzusetzen, oder sich einen moderaten Islam erfinden, um Karriere machen zu können. Auch die iranischen sogenannten „Intellektuellen“ glaubten an einen moderaten Islam, mit dem sie gemeinsam gegen den Schah agieren können und sind 1979 in die Falle von Khomeini gegangen, der den Islam entsprechend den Geboten praktizierte.

Abgesehen davon ist die Behauptung, es handele sich um Tradition, besonders für die türkische Frau absoluter Nonsens. Denn sie hatte vor der, übrigens gewaltsamen, Islamisierung ihre volle Freiheit. Das bestätigen sowohl arabische Reiseberichte aus der Zeit vor der Islamisierung als auch Autoren türkischer Nationalisten, die widersinnigerweise sich dennoch als Muslime sehen. Man kann das in der pantürkischen Literatur z.B. bei Ziya Gökalp nachlesen.

hpd: Welche Reaktionen haben Ilhan Arsels Bücher in der Türkei hervorgerufen?

Arzu Toker: Mehrere Klagen, die allesamt zurückgezogen oder einfach unbearbeitet unter den Tisch gekehrt wurden, zumal Arsel auch den Staatsanwalt verklagte. Dieses Buch, das im Original „Scharia und die Frau“ heißt, hat in der Türkei mittlerweile die 18. Auflage erreicht. Es ist einfach ein Grundlagenbuch und nicht wegzudenken oder wegzuklagen, weil alle Aussagen hieb- und stichfest sind.

hpd: Mehrfach werden Schriften des Diyanet als Belege herangezogen. Diyanet ist ja sozusagen die türkische „Muttergesellschaft“ der in Deutschland tätigen Ditib. Diese wird im Allgemeinen als moderat wahrgenommen. Da irritiert es, die von Diyanet herausgegebenen Kommentare zu bestimmten Überlieferungen zu lesen, die fundamentalistische Vorstellungen fördern...

Arzu Toker: Diyanet ist mitnichten moderat. Diyanet wird besonders in Deutschland schön geredet. Arsel hat gegen Diyanet gekämpft. Ein Abgeordneter stellte aufgrund von Arsels Schriften eine parlamentarische Anfrage über die Grundgesetzwidrigkeit von Diyanet-Publikationen. Diyanet hat Arsel sowohl über die Presse verleumdet als auch über Diyanet-nahe Staatsanwälte gegen Arsel prozessiert. Sie, die Staatsanwaltschaft und Diyanet, gingen so weit, dass sie ein Gutachten als Beweis angaben, das sich später als gar nicht existent herausstellte. Im Endeffekt wurde durch diese Prozesse klar, dass die Zitate von Arsel korrekt sind, nicht aber die Aussagen von Diyanet. In der türkischen Ausgabe von „Frauen sind eure Äcker“ gibt es am Schluss eine kleine Zusatzveröffentlichung, die heißt: Die Lügen des Diyanet.

Nach diesen Prozessen hat Diyanet dieselben Bücher, welche sie immer noch für die theologische Schulung einsetzt (Sahihi, Gazali etc.), nicht mehr selbst herausgegeben, sondern im islamischen Umfeld bei verschiedenen Verlagen drucken lassen. Das ändert jedoch nichts, denn damit kaschiert Diyanet nur seine eigentliche Gesinnung und sorgt mit Staatsgeldern für eine blühende rechtsbrechende islamische Verlagslandschaft.

Den politischen Sinn hinter der Schönrederei des Diyanet in Deutschland habe ich bisher noch nicht verstanden. Ganz böse könnte ich interpretieren, dass deutsche Politiker und Politikerinnen mit der demokratischen Ordnung nicht klar kommen und die Religionen oder deren Vertreter herbeireden. Dies gilt auch für andere Religionen wie Judentum und Christentum in Deutschland.

Erst vor einigen Wochen, im Juni 2012, hat Diyanet erklärt, dass eine Mutter kein Recht habe, zu sagen, dass ihr Körper ihr gehört und sie nicht gebären muss, wenn sie nicht will. Darin unterscheidet sich Diyanet nicht von der Katholischen Kirche. Diyanet ist wie eine Schlaf simulierende Pythonschlange. Solange sie sich keine Chance ausmalt, arbeitete sie sich heimtückisch vorwärts. Das können Sie an den aktiven Diyanet-Rentnern sehen, die inzwischen Sektenführer sind wie Fethullah Gülen und Demircan. Beide beziehen noch ihre Rente. Gülens Schleimspuren führen sogar bis in die USA, von wo er seine Organisation weltweit ausgedehnt hat. Auch in Deutschland sind mehrere Gülen-Schulen zugelassen worden. Mittlerweile hat er sogar den türkische Polizeiapparat unterwandert und liefert ein Kämpfchen mit Tayyip Erdogan.

Übrigens war auch Cemalettin Kaplan, der ehemalige Hetzer und Islamistennetzgründer in Köln, ein ehemaliger Diyanet-Mann. Auch er bezog seine Diyanet-Rente zusätzlich zur Sozialhilfe, die er von einer Gesellschaft bekam, die er verachtete und gegen die er Feindschaft predigte. Die deutschen Behörden wussten alles, aber sie duldeten es. Warum? Hatten sie gehofft, dass er ein zweiter Khomeini wird?

hpd: Das Buch war bereits sehr lange angekündigt. Was hat so viel Arbeit gemacht?

Arzu Toker: Zunächst hatte ich das Buch, das im Original über 600 Seiten umfasst, vollständig übersetzt. Mein Verlag beanstandete jedoch die Wiederholungen. Diese Kritik ist übrigens auch in der Türkei am Buch geäußert worden. Also habe ich die meisten Wiederholungen rausgenommen, Umstellungen vorgenommen, Kapitel zusammengefasst, Übergänge neu hinzugefügt und einige Abschnitte noch vertieft. Dadurch entstand eine völlig andere Struktur. Ilhan Arsel hat damals noch gelebt, die Arbeit gespannt verfolgt und der Überarbeitung zugestimmt.

Hinzu kam, dass das Buch in den 80er-Jahren geschrieben worden ist. Der Standard, wie Zitate angegeben werden, war damals ein anderer. Ich habe jedes Zitat kontrollieren, einige alte Bücher ausfindig machen müssen. So habe ich auch Zitate hinzugefügt, andererseits sind einige Quellen unter den Tisch gefallen. Ich fand das sehr schade, aber manche Ausgaben ließen sich leider nicht besorgen. Ich empfehle den Islamistik-Studenten, nach den Zitaten der türkischen Version zu stöbern. Für den größten Teil der Leserschaft ist das aber ohne Bedeutung, da Arsel seine Aussagen zum Teil mit drei, vier Quellen aus verschiedenen Sprachen belegt hatte, so dass es keinen Abbruch tut, wenn die eine oder andere gestrichen wurde.

Und schließlich: Das Buch ist für ein türkisches Publikum geschrieben worden. Viele Namen oder Begriffe, die dort sofort eingeordnet oder verstanden werden, müssen für die deutschen Leser kurz erläutert werden. Auch dieser „Kulturtransfer“ hat seine Zeit gekostet.

hpd: Welche Wirkung wird das Buch in Deutschland haben? Was erwarten Sie?

Arzu Toker: In der Türkei hatte es die Wirkung, dass zum Beispiel ein Mensch wie Turan Dursun, ein Imam und Mufti, den Mut fand, sich öffentlich vom Islam zu distanzieren, sich durch sein tiefes Wissen kritisch mit dem Islam auseinanderzusetzen und darüber zu schreiben. Leider wurde er 1990 ermordet. Ilhan Arsel und Turan Dursun waren befreundet.

Ich denke, dass „Frauen sind eure Äcker“ ein Grundlagenbuch ist. Zugleich ist es ein Buch, das die neueren Generationen, die türkisch nicht gut lesen können mit Wissen statt Glauben versorgen kann. Die Islamisten können nun keine Märchen mehr auftischen.

Die Fragen stellte Martin Bauer.
 

Das Buch ist im denkladen erhältlich.