Heiligenwege im Stuttgarter Wildpark

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Religiöse Generalmobilmachung mitten im Wald / Foto: Erich Dengler

STUTTGART. (hpd) Im Stuttgarter Wildpark um Parkseen und Bärenschlössle wurden jetzt zahlreiche hölzerne Wegschilder mit goldenen Kreuzen an den Bäumen angenagelt. Auf Nachfrage beim dortigen Revierförster S., was das zu bedeuten habe, wusste er, dass die Zeichen den Weg des hl. Martin weisen und dass das von der Diözese Rottenburg ausgehe.

Weiteren Aufschluss über die „neuen Wegweiser“ erhält man im Magazin für die Diözese Rottenburg/Stuttgart, wo es heißt, der neu gewählte Diözesanrat hätte mit dem Konzept „Glaubhaft Kirche leben“ dem „pastoralen Erneuerungsprozess in der Diözese“ zugestimmt und am 15. April hätte der Bischof mit Eröffnung des Hl. Martinsweges durch das Bistum die Erneuerung begonnen. Das war dringend erforderlich, denn die Wundertaten des Heiligen Martin (im 4. Jahrhundert Soldat (!), Missionar und Bischof von Tours/Frankreich) drohten in Vergessenheit zu geraten.

Weiter wird in der Schrift dazu eingeladen, sich mit dem Hl. Martin auf einen „geistlichen Weg zu begeben“ (nach seiner Exhumierung am halben Mantel sofort zu erkennen), und sich „mit seinem Glaubenszeugnis, seinem Leben und seinem Wirken auseinander zu setzen“! So könne der Martinsweg zur „Spurensuche“ werden: „nach den Spuren des Hl. Martin, aber mehr noch, nach den Spuren Gottes in unserem Leben“.

Wieder zurück aus diesen „Schwindelhöhen“ und auf festem Boden gelandet, denkt man vielleicht im gastlichen Bärenschlössle „diesen Spuren“ weiter nach und fragt sich jetzt ganz weltlich, ob denn dieses religiöse Beschildern der Natur überhaupt zulässig ist? Ob da nicht der schöne Wildpark als billige Werbefläche missbraucht wird?

Zulässig ist das nicht, denn eindeutig sagt das Waldgesetz u. a., dass unbefugtes Anbringen von Zeichen, die als Wegweiser dienen, verboten sind und als Ordnungswidrigkeit mit „Bußgeld“ geahndet werden. Wegweiser zu den Spuren Gottes sind in diesem Fall noch nicht privilegiert. Erschwert wird die Sache, weil der rechtswidrige Zustand als fortgesetzte Handlung herbeigeführt wurde. Weiterer Erschwerungsgrund: die Ordnungswidrigkeit wurde im Zusammenhang mit der Ausübung eines Berufes oder Gewerbes begangen.

Wie? Die christliche Kirche sei kein Gewerbe? Obacht, da muss man die Augen öffnen! Wenn die Nachfrage sinkt, wird geworben. Längst sind findige Absatzstrategen und Medienpfarrer am Werk, mittels „heiligen Verpackungen“ verstaubte Ladenhüter unters Volk zu bringen. Wird bald aus dem Erholungswald ein „Gotteswald“? Hängen bald Heiligenbilder an den Bäumen? Finden Andachten mit Posaunenchor an den Schießhäuschen statt, die das Waldfest übertönen?

Mir wird unbehaglich bei dieser „pastoraler Erneuerungsprozess“ genannten religiösen Generalmobilmachung, die sich da und dort zur Zeit deutlich ausbreitet! Der öffentliche Raum sollte neutrales Gebiet bleiben, das nicht dauerhaft durch weltanschauliche Symbole markiert wird – es sollten alle Bürger gleiche Wertschätzung erfahren.

Erich Dengler

 

Erstveröffentlichung in: HUMANISTISCHE RUNDSCHAU, Oktober/November/Dezember 2012, S.9.