Gesetzentwurf à la carte religieuse

Religionsvertreter ermöglichen Geschäftemacherei mit Vorhäuten

Nebenfolgen der vorgesehenen Regelung sind zu bedenken: gewissen­losen Eltern wird es in Zukunft – dank der massiven Kampagne muslimischer und jüdischer Religions­vertreter und der eil­fertigen Botmäßigkeit der Bundes­regierung sowie der Parlamentarier – möglich sein, mit der Vorhaut ihres Sohnes ein Geschäft zu machen: amputierte Knaben­vorhäute sind stark begehrtes Roh­material für die Herstellung von Kunst­haut­produkten, die für die Behandlung schwer­heilender chronischer Wunden (aufgrund Blutgefäß­erkrankungen, Druck­einwirkungen oder Diabetes) von Bedeutung sind. Eine Verwendung solcher Produkte entlastet die Kranken­kassen finanziell und hilft, manchen Diabetikerfuß vor der Amputation zu bewahren. Zwar wäre die Amputation einer Knaben­vorhaut zu diesem Zweck ein Verstoß gegen das Kindeswohl, doch käme es nur zu Konsequenzen rechtlicher Art, wenn das elterliche Motiv bekannt würde.

Sonderregelung für jüdische Beschneidungsriten

Der vorgesehene § 1631 d Abs. 2 BGB stellt sicher, dass Beschneidungen nach jüdischem Ritual (lediglich durch einen Mohel in der Synagoge oder der elterlichen Wohnung vorgenommen) innerhalb der ersten sechs Monate nach der Geburt zulässig sind. Zwar fallen formell sämtliche Beschneidungen im ersten Lebens­halbjahr unter diese Regelung, doch werden Knaben in muslimischen Familien üblicherweise erst in späterem Lebens­alter beschnitten.

Zwar wird im Gesetz­entwurf verlangt, dass die Mohel für die Beschneidung besonders ausgebildet und „ohne Arzt zu sein, für die Durch­führung der Beschneidung vergleichbar befähigt“ sein müssen, doch lässt die vorgesehene gesetzliche Regelung der Religions­gemeinschaft einen weiten Spiel­raum bei der Aus­gestaltung der Beschneidungen. Eine Schmerz­freiheit des Eingriffs bei den gerade erst acht Tage alten Babys ist überhaupt nicht gesichert, da ein Nicht­mediziner aus rechtlichen Gründen keine (für diese Alters­gruppe ohnehin als problematisch angesehene) Voll­narkose vornehmen darf und eine zur wirksamen Schmerz­bekämpfung anstelle einer Voll­narkose durchzu­führende vollständige Nerven­blockade im Bereich des Penis unbedingt einen speziell ausgebildeten Anästhesisten erfordert. Darüber hinaus fehlt es an einer Klärung, an welchem Ort und unter welchen hygienischen Bedingungen beschnitten werden darf. Den (jüdischen) Knaben unter sechs Monaten, die in besonderem Maße schutz­bedürftig sind, werden erheblich größere Risiken aufgebürdet als den älteren (muslimischen) Knaben und es steht zu befürchten, dass weiterhin keine wirksame Schmerz­bekämpfung vorgenommen, den Säuglingen somit bei vollem Bewusst­sein ohne wirksame Betäubung die Vorhaut entfernt wird.

Es ist nicht auszuschließen, dass es – aufgrund des zu erwartenden Gesetzes - wohl bei dem barbarischen Vorgehen gegen Säuglinge bleiben wird, wie es Prof. Dr. Feurle anhand seiner Beobachtungen in einem Krankenhaus in New Jersey beschrieben hat: „Nach örtlicher Desinfektion musste zunächst die Vorhaut mit der gezähnten Pinzette gefasst und von der Glans gelöst werden. Schon dabei schrien die Kinder erbärmlich. Als die Vorhaut dann mit der gebogenen Schere in mehreren Etappen rings abgeschnitten wurde, schrien die Kinder dermaßen, dass ihnen manchmal der Atem stockte und sie blau im Gesicht wurden. Mit aller Kraft versuchten sie, sich von ihren Fesseln zu lösen.“

Ausgeschlossen dürften allerdings Beschneidungs­praktiken sein, bei denen der Mohel mit dem Finger­nagel das innere Vorhaut­blatt einritzt oder bei denen er mit seinem Mund das Blut vom Penis des soeben beschnittenen Säuglings absaugt; derartige Praktiken entsprechen nicht den Vorgaben des Gesetzes­entwurfs zur medizinisch fachgerechten Durch­führung der Beschneidung.

Wille der Betroffenen bleibt unbeachtlich

Keinen Niederschlag hat in dem Gesetzes­entwurf die Forderung des Deutschen Ethikrats gefunden, eine die Beschneidung ablehnende Äußerung des betroffenen Knaben zu berück­sichtigen. Weder ist ein solches Vetorecht im Gesetzes­entwurf erwähnt, noch ergibt sich aus der Konstruktion der Vorschrift, dass ein Vetorecht zu berück­sichtigen sein wird. Zwar verweist die Begründung auf den im Rahmen der Kindes­wohl­gefährdung zu berück­sichtigenden Willen des männlichen Kindes, doch mangels einer entsprechenden Absicherung des Veto­rechts wird eine Ablehnung der Vorhaut­amputation durch den davon betroffenen Knaben keine praktische Relevanz erlangen, nur in einzelnen absoluten Ausnahme­fällen eine Rolle spielen.

Bisherige Beschneidungspraxis kann fortgesetzt werden

Der vorgelegte Entwurf berücksichtigt das vom Bundestag der Bundes­regierung vorgegebene Ziel einer umstands­losen Weiter­ermöglichung der bisherigen Bescheidungs­praktiken in Deutschland, regelt ausdrücklich, dass die von den Eltern getroffene Beschneidungs­entscheidung regelmäßig dem Kindes­wohl entspricht und macht damit diese Entscheidung unangreifbar, schließt den Knaben von jeder wirksamen Einfluss­nahme auf die Amputation seiner eigenen Vorhaut aus und nimmt ihm auch für das Erwachsenen­alter jegliche Möglichkeit zum Schadens­ersatz und Schmerzens­geld. Eine zulässige Beschneidung kann aus rechtlichen Gründen keine Schaden­ersatzpflicht begründen.

Die wiederholt von medizinischen und psychologischen Fach­leuten beschriebenen tatsächlichen und möglichen Folgen von Vorhaut­entfernungen bleiben vollständig unberück­sichtigt; die Begründung zum Gesetz­entwurf verweist lapidar immer wieder darauf, dass es weltweit unterschiedliche Auf­fassungen zu möglichen Folgen gebe, so dass selbst einhellige Bewertungen von Medizinern und Ärzte­verbänden in Deutschland unbeachtlich seien.

Bundeskabinett negiert Menschenrechte der Knaben

Die im Grundgesetz garantierten Menschenrechte (auch) des Kindes auf körperliche Unver­sehrtheit, auf Selbst­bestimmung sowie auf Religions­freiheit spielen bei den Erwägungen der Bundes­regierung überhaupt keine Rolle. Menschen­rechte des Kindes sind nach den Erläuterungen zum Gesetzes­entwurf dem als vorrangig angesehenen Eltern­recht vollständig unter­geordnet. Die Begründung des Gesetz­entwurfs erörtert zwar ausführlich die Bedeutung des Eltern­rechts im Verhältnis zu staatlichen Eingriffs­befugnissen in die Erziehung von Kindern, die Menschen­rechte der Kinder werden lediglich in einigen Zeilen aufgelistet, nicht einmal erörtert und haben nach der Vorstellung der Bundes­regierung offenbar nur die Bedeutung, den über­geordneten Eltern­rechten allenfalls (weite) Grenzen zu ziehen. Allerdings: Es gibt eben auch keine Argumente, jedenfalls keine verfassungs­konformen, für die Position der Bundes­regierung, auf Biegen und Brechen die alten Rituale weiter zu ermöglichen.

Das Kind als eigenständiger Träger von Menschen­rechte, als Inhaber von Menschen­würde, erscheint weder im Gesetzes­entwurf noch in dessen Begründung. Der Wille der politischen Klasse, den Forderungen der Religions­vertreter nach Erlaubnis ihrer archaischen Rituale schnellst­möglich und vollständig nach­zukommen, lässt Kinder und ihren Schutz völlig aus dem Blick­feld geraten. Kinder haben in Deutschland offen­bar doch keine starke Lobby, wie manch einer dies noch vor Jahres­frist angenommen hatte. Unbeachtlich ist für die Politiker hinsichtlich Beschneidungen die in vergangenen Debatten von allen im Bundes­tag vertretenen Fraktionen beschworene Stärkung des Schutzes von Kindern, unbeachtlich ist plötzlich auch, dass sich in den letzten Jahr­zehnten immer umfassender (auch im Zusammen­hang mit gesetz­lichen Regelungen) die Inter­pretation der Eltern­rechte als lediglich treu­händerische Wahr­nehmung der Rechte der Kinder durch­gesetzt hatte. Das spielt beim Eifer zur Wahrung von religiösen Ritualen keine Rolle mehr.

Die vorgesehene gesetzliche Regelung stellt einen Rück­fall in vergangene Zeiten dar, in denen den Kindern keine oder nur minimale eigenen Rechte zugestanden worden sind, während die Erwachsenen die Kinder in jeder Hinsicht, auch mittels Gewalt und mittels entwürdigender Maßnahmen prägen - „erziehen“ - durften. Zeiten, in denen dies alles weitgehend möglich war, wurden mit dem „Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung“ im Jahr 2000 als vergangen angesehen. Dass diese positive Entwicklung in Deutschland von Seiten zweier religiöser Gruppen in einer derartigen Massivität angegriffen werden würden, wie dies im Jahr 2012 mitzuerleben ist, hat wohl niemand vorher­gesehen. Vorher­sehen konnte man auch nicht, dass Religions­vertreter die Menschen­rechte der hilf­losesten Mit­glieder einer Gesell­schaft ignorieren und den Rechts­staat heraus­fordern, indem sie verkünden, wenn nötig, offen Gesetzes­bruch zu begehen.

Haben Kinder keine Menschenwürde?

Abgehandelt wird die Beschneidungs­problematik, wie die Begründung des Gesetzes­entwurfs zeigt, als Auseinander­setzung von Eltern­rechten und staatlichen Befugnissen. Von den Grund­rechten der Knaben wird keine Notiz genommen. Von ihrer Menschen­würde ebenso wenig, ja sie wird gewisser­maßen für unbeachtlich erklärt, obwohl nach Artikel 1 des Grund­gesetzes die Würde des Menschen unantast­bar ist und ihre Achtung und ihr Schutz vornehmste Aufgabe aller staatlicher Gewalt.

Claudia Wiesemann, Professorin für Medizin­ethik und Mitglied des Deutschen Ethik­rates hat jüngst in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung eindringlich darauf hingewiesen, dass die Würde des betroffenen Kindes im Mittel­punkt aller Erörterungen stehen und dass (auch beim Beschneidungs­gesetz) der Wille des betroffenen Knabens berück­sichtigt werden müsse. Sie fordert eine „Ethik des Kindes“, „die aufzeigt, wie das Kind als moralisches Wesen berück­sichtigt werden kann. Denn bisher hat die Ethik ihre Konzepte für Erwachsene entwickelt und Kinder galten allenfalls als Sonderfall“.

Gemessen daran, wie Claudia Wiesemann schreibt, Kinder als das zu berücksichtigen, „was sie sind: verletzbare, um Integrität ringende, nach vertrauens­vollen Beziehungen strebende Wesen mit eigener Würde“, vermag man das Vorgehen der Politiker in puncto Beschneidungen nur so zu werten, dass sie Kinder nicht als „vollständige Menschen“ mit eigener Würde begreifen. Die in den letzten Jahr­zehnten gesell­schaftlich gestiegene Bereit­schaft, „Kinder als moralisch Gleiche unter Gleichen anzuerkennen“ stößt gegen­wärtig an Grenzen – da, wo das Ritual wichtiger ist als der lebendige Mensch.

Verfassungswidrigkeit der vorgesehenen Gesetzesregelung

Der Gesetzesentwurf der Bundes­regierung stellt sich bereits bei erster Betrachtung als gegen die Menschen­rechte der betroffenen Knaben verstoßend dar. Deren im Grund­gesetz garantierten Menschen­rechte, insbesondere auf körperliche Unversehrt­heit und auf Selbst­bestimmung werden nicht berück­sichtigt, sie werden nicht einmal gegen die Eltern­rechte abgewogen. Die Verfassungs­widrigkeit einer solchen Gesetzes­regelung ist offen­kundig ebenso wie der Verstoß gegen die inner­deutsches staat­liches Recht gewordenen Regelungen der Kinder­rechts­konvention der UN.

Das allerdings ficht die Bundes­regierung nicht (mehr) an; sie hat ihren Gesetzes­entwurf vorgelegt und damit ist die Angelegen­heit für sie erledigt. Jetzt ist der Bundestag am Zug. Ob es dabei bleibt, wie der vormalige Vize­präsident des Bundes­verfassungs­gerichts Winfried Hassemer, zur Juli-Debatte im Deutschen Bundestag mit Blick auf die Abgeordneten ausgeführt hat: „Sie wollen nicht wissen, was sie regeln wollen.“ oder ob sie sich mit der Sache (und damit mit den Menschen­rechten der Kinder) selbst befassen wollen, bleibt abzu­warten. Gute Aussichten gibt es aber nicht.

Gesetzesentwurf der Bundesregierung mit Begründung

Prof. Dr. Claudia Wiesemann, Hört auf die Kinder

Zu Prof. Dr. Winfried Hassemer

Zur Verwendung von Vorhäuten von Babys

Geschäftsumsatz mit Beschneidungen in den USA

Prof. Dr. Gerhard  E. Feurle: Berichte Betroffener