Der heilige Schein

 

Jochen Beck, Carsten Werner, Dr. David Berger

In dem anschließenden Dreier-Talk wurde der Theologe mit kritischen Fragen konfrontiert. Warum wolle er einer Religion angehören, die schon von jeher Homosexuelle diskriminiert habe? Die Bibel sei nun mal für Christen von Gott inspirierte Heilige Schrift. Im Alten Testament stehe auf Homosexualität die Todesstrafe. Im Neuen Testament wird sie als schwere Sünde gewertet (siehe oben). Hätte dies sein Gerechtigkeitsempfinden nicht schon immer so verletzten müssen, das die Anerkennung des Christentums als göttliche Offenbarung zur Unmöglichkeit werden musste? Sollte eine göttliche Offenbarung nicht mehr bieten? Immerhin wurde im antiken Heidentum Homosexualität durchaus respektiert, was ja letztlich auch besagte Bibelstelle verdeutliche. Der Philosoph Zenon von Kition (circa 332 bis 262 v.u.Z., Begründer der stoischen Philosophie) lebte mit einem jungen Mann zusammen. Julius Caesar hatte als junger Diplomat eine Affäre mit König Nikomedes IV. von Bithynien, und außer einigen Spottliedern war dies nicht mit Konsequenzen verbunden.

Dr. Berger bekannte, dass er von solchen Bibelstellen erst während des Studiums gehört hatte. Er beharrte aber darauf, dass die historisch-kritische Auslegung diese entschuldigen könne. Die hellenistisch-römische Kultur hat auch nicht unbedingt die heutige Homosexualität anerkannt, sondern eher die Beziehung eines älteren intellektuellen Mentors mit einem jüngeren Mann. Diese war sehr reglementiert. Auch Caesar hatte einen viel älteren Liebhaber. Die katholische Kirche habe schon oft Flexibilität bewiesen, was beispielsweise die Rücknahme des biblisch begründeten Zinsverbotes zeigt. Die Verbalinspiration der heiligen Schriften sei keine Position der katholischen Kirche, sondern eher der Standpunkt Martin Luthers.

Niemand hatte erwartet, dass der Theologe an diesem Abend seinem katholischen Glauben abschwören würde. Er ist zwar aus der katholischen Kirche ausgetreten, empfindet dies aber nur als Austritt aus der Kirchensteuerpflicht. Die jüngst von der deutschen Bischofskonferenz dekretierte Regelung ist seiner Ansicht nach mit dem kanonischen Recht unvereinbar. Die Behauptung der Bischöfe, sie sei mit der römischen Kurie abgesprochen, erklärte er als unwahr. Er wollte die gegenwärtige katholische Kirche nicht finanziell unterstützen und empfiehlt den kritischen Katholiken, ihm darin zu folgen. Die Sakramente empfängt er nach wie vor. Es wird ja nicht nachgeprüft.

Nach der Veranstaltung mit dem sehr eloquenten Gast bot sich wie üblich die Gelegenheit, den Referenten näher kennenzulernen. Ich war früher jahrzehntelang praktizierender Katholik. Ich habe in dieser Zeit mehr als zwanzig katholische Theologen kennengelernt (Priester und Religionslehrer). Unter all diesen gab es – bis auf eine Ausnahme –  keinen Einzigen, der so mit sich im Reinen, innerlich frei, vertrauenswürdig und emphatisch wirkte wie David Berger. Vielleicht sollten noch viele andere sich der Hierarchie widersetzen und ihre sexuelle Orientierung offen ausleben, egal ob hetero- oder homosexuell? Und die Kirchenmitglieder sollten dies ebenso möglich machen, notfalls durch Konstituierung einer von Rom unabhängigen reformkatholischen Kirche. Die Ausnahme war übrigens ein Redemptoristenpater, der zweimal mein Beichtvater war.

Nächstes Monatstreffen der gbs Rhein-Main Säkulare Humanisten: 19.10.2012 - 19.00 Uhr -  im Restaurant des Saalbau Bornheim (Pilsstube), Arnsburger Straße 24, 60385 Frankfurt/Main. Interessierte sind jederzeit willkommen.

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