Schulfrieden – Nichts Neues zu Schulgebeten

Zwar ist nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts die Schule durchaus gehalten, religiös motivierten Konflikten mit erzieherischen Mitteln zu begegnen, möglichst eine gütliche Regelung zu treffen, doch sind hier nicht allzu strenge Anforderungen anzulegen, da „der übergeordnete Zweck der staatlichen Veranstaltung Schule … im Interesse des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule, für alle Schüler einen geordneten Unterrichtsablauf sicherzustellen“ beachtet werden müsse. Diesem eigentlichen Zweck der Schule seien alle Schüler verpflichtet;  der Einzelne müsse um dieses Zweckes willen in einer solchen Lage auch auf ein an sich erlaubtes Verhalten verzichten, ohne das es darauf ankomme, ob ihm der Vorwurf gemacht werden könne, gerade er störe schuldhaft den Schulfrieden.

Folgen für die Schulpraxis: Wollen Schüler religiöse Zeremonien (Gebete u. ä.) in einer öffentlichen Schule veranstalten, so ist dies zwar nicht grundsätzlich unzulässig, doch findet dieses Vorhaben seine Grenze in einer konkret bevorstehenden Gefährdung des Schulfriedens. Welcher Religionszugehörigkeit die betreffenden Schüler sind, ist dabei unerheblich, so dass es sich um Muslime, Christen oder Angehörige anderer religiöser Richtungen handeln kann.

Bestehen in der Schule bereits solche Konflikte, wie sie vom Bundesverwaltungsgericht genannt worden sind, begründet jede geplante Durchführung von schulöffentlich abgehaltenen Gebeten die konkrete Gefahr der Verschärfung dieser Konflikte; die Abhaltung der Gebete ist somit wegen Gefährdung des Schulfriedens zu untersagen. Es ist erfahrungsgemäß davon auszugehen, dass die vom  Gericht genannten herabsetzenden Verhaltensweisen von Schülern untereinander  jedenfalls an Schulen mit  multikultureller Schülerzusammensetzung (mit verschiedenen Religionen und Glaubensrichtungen) in Ballungsgebieten mehr oder weniger massiv vorhanden sind, so dass stets Schulgebete zu untersagen sind.

Darauf, ob die Schüler, die schulöffentlich beten wollen, in irgendeinem Zusammenhang mit den bereits vorhandenen Störungen stehen, kommt es nicht an. Die objektive konkrete Eignung zur Störung des Schulfriedens reicht für eine Untersagung aus; auf subjektive Absichten und Verhaltensweisen des die Gebetsmöglichkeit begehrenden Schülers kommt es nicht an. Dies hatte das Berliner Verwaltungsgericht noch anders gesehen, doch sind die Ausführungen des Berliner OVG und des Bundesverwaltungsgerichts hierzu eindeutig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat dazu ausgeführt: „Das Oberverwaltungsgericht ist dabei zwar nicht ausdrücklich auf den Hinweis des Klägers eingegangen, die geschilderten Konflikte mit religiösem Hintergrund wiesen keinen Bezug zu dem von ihm geübten Gebet auf, er - der Kläger - sei an diesen Konflikten nicht beteiligt gewesen, habe im Gegenteil auf der Schule viele christliche Freunde, die seine streng religiöse Haltung sogar gut fänden. Indes kam es auf diese Umstände nicht entscheidungserheblich an. Das Oberverwaltungsgericht hat der Sache nach festgestellt, dass an dem D.-Gymnasium aufgrund der heterogenen religiösen Zusammensetzung der Schülerschaft ein Klima herrscht, in dem sich an religiösem Verhalten ebenso wie an offener Distanz zu religiösen Geboten aus durchaus geringem Anlass Konflikte entzünden. Von daher kam es nicht darauf an, ob schon bisher die Verrichtung ritueller Gebete in der Schule zu solchen Konflikten geführt hatte. Denn die offene Verrichtung eines rituellen Gebets konnte nach der Würdigung des Oberverwaltungsgerichts in diesem Klima wiederum die Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Einstellungen zum Glauben und ihren Geboten aufbrechen lassen, weil es zum Mitmachen auffordert und geeignet ist, zwischen strengen und weniger strengen Anhängern einer Religion zu scheiden. Ob der Kläger in einer solchen Absicht gehandelt hat oder gar Auseinandersetzungen schüren wollte, war für das Oberverwaltungsgericht unerheblich, weil es aus seiner Sicht nur darauf ankam, dass in dem herrschenden Klima an der Schule die Verrichtung eines rituellen Gebets objektiv geeignet war, weiteren Unfrieden zu stiften.“

Eine Beeinträchtigung des Schulfriedens ist auch dann zu beachten, wenn sich aufgrund der Durchführung des Gebetes Auseinandersetzungen unter den Schülern ergeben, etwa weil betende Schüler oder ihre Gesinnungsgenossen im Umfeld der Gebete andere Schüler und insbesondere Schülerinnen wegen ihres Verhaltens oder ihrer Kleidung versuchen zu maßregeln oder sonst Zeichen einer ehrverletzenden Herablassung gegenüber „nichtgläubigen“ Schülern zeigen.

Sollte es aufgrund des religiös-aufgeheizten Klimas in einer Schule gar zu Missfallenskundgebungen und Widerstandshandlungen der anderen nicht am Beten beteiligten Schüler kommen, die eine Beendigung des Betens fordern, müsste die Schulverwaltung aufgrund der vom Bundesverwaltungsgericht aufgezeigten Grundsätze diesem Begehren letztlich nachkommen.

Fazit: Schulgebete können – und müssen -  untersagt werden

Die vom OVG Berlin und vom Bundesverwaltungsgericht aufgezeigten Verhaltensweisen der den religiösen Kreisen angehörenden Schüler zeigen, dass jedenfalls Toleranz und eine Orientierung auf ein friedliches und gleichberechtigtes Miteinander mit den anderen Schülern nicht zum Weltbild und nicht zum Umgangsstil dieser Personen gehören. Das Verlangen nach Einräumung von Gebetsmöglichkeiten in der Schule und ein Klima des Hasses gegenüber Andersdenkenden werden stets miteinander zusammenhängen, so dass dem religiösen Begehren Einhalt geboten werden kann.

Es zeigt sich bei genauer Betrachtung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts, dass auch nach dieser Entscheidung durchaus gute Möglichkeiten bestehen, öffentliche Gebetsvorstellungen von Schülern in öffentlichen Schulen zu unterbinden. Vorhanden sein muss nur der Wille von Schulleitern und Lehrern, religiöse Spektakel und religiöse Propaganda in der Schule zu unterbinden.

Beten einerseits und Verteufelung des Andersdenkenden andererseits gehen – wie schon so oft in der Weltgeschichte – Hand in Hand. Für die diesem Geist entspringenden Verhaltensweisen darf in einer Gesellschaft, die sich zu den unveräußerlichen Menschenrechten bekennt, niemandem Gelegenheit gegeben werden. Auch nicht aus falsch verstandener „Toleranz“.

Walter Otte