„Benedikt war kein schwacher Papst“

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Rom: Petersdom / Foto: Diliff (CC-BY-SA 3.0)

OBERWESEL. (hpd) Die Nachricht vom Rücktritt des Papstes schlug ein wie eine Bombe. Doch was waren die Gründe für diesen Schritt? Und was wird von dem Pontifikat Benedikts XVI. bleiben? Der hpd fragte nach bei Michael Schmidt-Salomon, der unlängst zur Neuausgabe der „Politik der Päpste“ von Karlheinz Deschner ein umfangreiches Nachwort schrieb, das die Amtszeiten von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. behandelt.

hpd: Herr Schmidt-Salomon, hat Sie der Rücktritt des Papstes überrascht?

Schmidt-Salomon: Ja und nein. Historisch betrachtet war der Rücktritt natürlich überraschend. Immerhin ist es in der Geschichte der katholischen Kirche nur ein einziges Mal vorgekommen, dass ein Papst freiwillig auf das Amt verzichtete. Andererseits: Benedikt XVI. hat immer wieder darauf hingewiesen, dass es nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht des Papstes sei, sein Amt niederzulegen, wenn er es nicht mehr ausfüllen könne. Dieser Punkt war nun offenkundig erreicht.

hpd: Ist Benedikt also aus Altersgründen zurückgetreten?

Schmidt-Salomon: So einfach ist die Sache nicht. Ich bin überzeugt: Ohne die Missbrauchsskandale, die Vatileaks-Affäre, ohne die jüngsten Enthüllungen, dass in der Vatikan-Bank noch immer Mafiagelder gewaschen werden, hätte der Papst seinen Rücktritt noch nicht verkündet. 2012 war ein rabenschwarzes Jahr für Benedikt XVI., so etwas hätte er in seinem Alter nicht noch einmal durchstehen können. Insofern ist sein Rücktritt verständlich. Zugleich ist dieser Rücktritt der wohl revolutionärste Akt seines gesamten Pontifikats – der ungewöhnliche Abgang eines ungewöhnlichen Papstes…

hpd: Das klingt ja fast nach Bewunderung…

Schmidt-Salomon: Keine Sorge, ich bin nicht plötzlich zu einem Papstverehrer geworden! Aber wir sollten fair sein, wenn wir das Pontifikat dieses Papstes bewerten. Tatsächlich war Benedikt XVI. kein „schwacher Papst“, wie so oft behauptet wird. Ich meine sogar, dass er einen nachhaltigeren Einfluss auf die Kirchengeschichte haben wird als die meisten seiner Vorgänger.

hpd: Weshalb?

Schmidt-Salomon: Nun, er hat das katholische Weltbild in einem Umfang geprägt wie kaum ein anderer Theologe der Neuzeit. So trägt der 1992 erschienene „Katechismus der Katholischen Kirche“, der den aus dem Jahr 1566 stammenden „Catechismus Romanus“ ersetzte, unverkennbar seine Handschrift. In 2865 Artikeln wird dem Gläubigen dort detailliert dargelegt, was er wie und warum zu glauben hat und welche „Verirrungen“ er sich als treuer Katholik partout nicht leisten sollte.

hpd: Damals war Ratzinger aber noch nicht Papst, sondern Präfekt der Glaubenskongregation…

Schmidt-Salomon: Richtig, aber schon unter Johannes Paul II. bestimmte Ratzinger maßgeblich, welchen Weg die katholische Kirche in theologischen Fragen einschlug. Dabei verfolgte er eine bemerkenswert klare Linie und bewies auch später als Papst in dogmatischen und strategischen Fragen mehr Durchblick als die meisten seiner Kritiker…

hpd: Was meinen Sie damit?

Schmidt-Salomon: Ratzinger/Benedikt wurde dafür kritisiert, dass er die Kirche nicht modernisieren wollte. Ihm war jedoch klar, dass eine Perestroika-Politik im Vatikan eher zum Zusammenbruch als zu einer Konsolidierung der katholischen Kirche führen würde. Wohlwissend, dass eine Religionsgemeinschaft umso mehr Mitglieder verliert, je liberaler sie sich gibt, hat Ratzinger/Benedikt wie kaum ein anderer zur Festigung des katholischen Dogmengerüsts beigetragen und seine Kirche systematisch auf jenen Zweifrontenkrieg vorbereitet, in dem sie sich künftig bewähren muss…

hpd: Was meinen Sie mit „Zweifrontenkrieg“?

Schmidt-Salomon: Die katholische Kirche wird von zwei sehr unterschiedlichen Strömungen bedrängt, nämlich von evangelikalen Christen auf der einen sowie Säkularisten auf der anderen Seite. Joseph Ratzinger war sich dieser strategisch schwierigen Ausgangslage von Anfang an bewusst. Im Gespräch mit Peter Seewald hat er die Situation folgendermaßen charakterisiert: „In den vergangenen 25 Jahren ging eine große Veränderung der Religionsgeografie vor sich. In Ländern und Landesteilen, die zuvor noch bis zu 90 Prozent oder mehr Katholiken hatten, ist der Anteil auf 60 Prozent gesunken. Es ist eine doppelte Veränderung: zum einen sind es die evangelikalen Sekten, die die Geografie stark umpflügen (…), auf der anderen Seite ist es der Säkularismus, der durch die Massenmedien starken Einfluss gewinnt und bewusstseinsverändernd wirkt.“ Gegen diese beiden so unterschiedlichen Bedrohungen versuchte der Papst seine Kirche zu wappnen – und er machte dies im Grunde recht geschickt, indem er sowohl den Rationalismus der Säkularen als auch den Irrationalismus der Evangelikalen bediente…

hpd: Apropos Rationalismus – stand die Herstellung einer „Einheit von Vernunft und Glaube“ nicht im Zentrum seines Pontifikats?

Schmidt-Salomon: Zumindest sah Benedikt darin seinen besonderen Auftrag. Mehrfach hat er betont, dass der liebe „Gott“ ihn als Professor wohl deshalb auf den Papstthron berufen habe, um diese „Einheit von Vernunft und Glaube“ voranzutreiben.

hpd: Ist ihm das gelungen?

Schmidt-Salomon: Natürlich nicht! Bei Ratzingers Projekt der „Einheit von Vernunft und Glauben“ handelte es sich um die totale Umkehrung des aufklärerischen Programms, das Immanuel Kant vorgelegt hat: Forderte Kant die „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“,  propagierte der deutsche Papst die „Vernunft innerhalb der Grenzen der bloßen (katholischen) Religion“. Überzeugt davon, dass das Religiöse vernünftig und das Vernünftige religiös sei, blendete Ratzinger jede Erkenntnis aus, die seinen Glaubensdogmen widersprach. Übrig blieb eine religiös limitierte Bonsaiversion der Vernunft, mit der man hier in Europa – abgesehen von ein paar Hardcorekatholiken und Habermasianern – niemanden groß beeindrucken kann…

hpd: Ist das der Grund dafür, dass es mit der „Neuevangelisierung Europas“ nicht geklappt hat?

Schmidt-Salomon: Ja. Wer wie Joseph Ratzinger die kulturelle Errungenschaft der Selbstbestimmung als „Diktatur des Relativismus“ oder „Kultur des Todes“ verunglimpft, sollte schon gute Argumente für seine Position im Gepäck haben. Derartige Argumente fehlten ihm aber vollständig. Zudem war und ist seine Kirche nach all den Skandalen der letzten Jahre denkbar schlecht geeignet, um der säkularen Gesellschaft Ratschläge zu erteilen.

hpd: Inwieweit ist Joseph Ratzinger persönlich für diese Skandale verantwortlich? Welche Rolle spielte er beispielsweise bei der Vertuschung der Missbrauchsfälle?

Schmidt-Salomon: Das ist schwer zu sagen. Offenbar war ihm früher als den meisten seiner Kollegen bewusst, dass sich die Kirche in Bezug auf die weltweiten Missbrauchsfälle klarer positionieren müsse. Entsprechende Bemühungen seinerseits wurden jedoch immer wieder torpediert – nicht zuletzt von Johannes Paul II. Ich will es mal so sagen: Joseph Ratzinger war im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch ganz bestimmt kein Held und sein immer wieder geäußertes Mitgefühl mit den Opfern ging niemals so weit, dass er ihnen aus freien Stücken angemessene Entschädigungszahlungen aus dem Kirchenvermögen hätte zukommen lassen wollen. Dennoch sollte man nicht ignorieren, dass er im Unterschied zu anderen Kirchenfunktionären um mehr Transparenz bemüht war – übrigens nicht nur im Umgang mit sexuellem Missbrauch, sondern auch auf dem Gebiet der Kirchenfinanzen. Beides wurde von mächtigen Gegenspielern innerhalb der Kurie (vor allem von den Kardinälen Sodano und Bretone) ausgebremst, was zu erheblichen Konflikten führte, wie wir spätestens seit den Vatileaks-Veröffentlichungen wissen. Letztlich, da bin ich mir sicher, haben diese Konflikte dazu beigetragen, dass Ratzinger sich dazu entschloss, vom Papstamt zurückzutreten…

hpd: Die Bewegung „Kirche von unten“ hofft nun auf einen neuen Papst, der die Rolle der Frau in der Kirche aufwertet, sich für die Gleichberechtigung homosexueller Menschen ausspricht und stärker auf die Protestanten zugeht. Sind diese Hoffnungen begründet?

Schmidt-Salomon: Nein, sie sind etwa so realistisch wie der schiitische Glaube, dass der „verborgene 12. Iman“ in Bälde aus einem vertrockneten Brunnen klettern und die Weltherrschaft übernehmen wird. Das Kardinalskollegium ist mit Männern bestückt, die durch Johannes Paul II. und Benedikt XVI. in ihr Amt kamen. Sie werden die Tradition dieser beiden Päpste fortsetzen. Denkbar ist allenfalls, dass ein Nichteuropäer zum Papst gewählt wird, was aber an der dogmatischen Ausrichtung der Kirche nichts ändern wird. Warum auch? Man muss sich hier vor Augen führen, dass die katholische Kirche keinerlei Vorteile davon hätte, wenn sie sich nun ausgerechnet der langsam dahinsiechenden lutherisch-reformierten Kirche annähern würde. Viel zukunftsfähiger ist es, auf die rasant wachsende evangelikale Bewegung zuzugehen. Und genau das hat Benedikt XVI. in seinem Pontifikat in die Wege geleitet.

hpd: Inwiefern?

Schmidt-Salomon: Nun, der Papst hat erstens die „absolute Glaubwürdigkeit der Bibel“ hervorgehoben und dabei der in evangelikalen Kreisen verhassten historisch-kritischen Theologie ebenso eine Absage erteilt wie der in diesen Kreisen nicht minder verhassten Evolutionstheorie. Er hat zweitens die „Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit des Menschen“ in schillerndsten Farben ausgemalt und – beinahe im Stile eines evangelikalen Predigers – sämtliche Übel der Welt auf die „Todsünde“ der Gottlosigkeit zurückgeführt. Er hat drittens die „Bedeutung der christlichen Gemeinde“ herausgestellt und viertens die Notwendigkeit der „christlichen Mission“ betont, damit die Welt vom „Bösen“ errettet werde. Dies sind, wie man bei dem evangelikalen Theologen Stephan Holthaus nachlesen kann, die vier zentralen Merkmale des evangelikalen Glaubens – und Benedikt XVI. hat sie geradezu mustergültig bedient. Kein Wunder, dass seine Jesus-Bücher in evangelikalen Kreisen so gut ankommen…

hpd: Aber Joseph Ratzinger ist doch kein Evangelikaler!

Schmidt-Salomon: Nein, natürlich nicht! Dennoch war es kein Zufall, dass Benedikt XVI. so häufig Positionen bezog, die gerade bei evangelikalen Christen auf Zustimmung stießen. Ihm war klar, dass nur so die massenhafte Abwanderung von Katholiken ins evangelikale Lager gestoppt werden kann.

hpd: In Europa kam das aber nicht sonderlich gut an.

Schmidt-Salomon: Nein, aber der Papst musste Prioritäten setzen. Anfangs hat er sicherlich noch auf eine Neuevangelisierung Europas gehofft. Doch wahrscheinlich erkannte er recht bald, dass der Kampf um die ideologische Vorherrschaft in Westeuropa momentan nicht zu gewinnen ist. Hier kann es der Kirche in absehbarer Zeit eigentlich nur darum gehen, die alten Besitzstände und Privilegien zu wahren. Außerhalb Europas aber existieren noch expandierende Glaubensmärkte, die es aktiv zu erobern gilt. Benedikt XVI. hat seine Kirche für diesen Feldzug gerüstet. Darin liegt sein Vermächtnis: Er hat die katholische Kirche für den globalen Wettbewerb mit dem evangelikalen Spektrum fit gemacht.

hpd: Was bedeutet das für die Zukunft?

Schmidt-Salomon: Nun, es bedeutet, dass die „Kriminalgeschichte des Christentums“ in die nächste Runde gehen wird. Allerdings wird das einstige Zentrum des frommen Streits um Macht und Ressourcen – das „alte Europa“, das nach Jahrhunderten blutigster Glaubenskriege klüger, sprich: säkularer, geworden ist – in den religiösen Auseinandersetzungen der Zukunft wohl nur noch eine untergeordnete Rolle spielen…

 

hpd: Herr Schmidt-Salomon, vielen Dank für das Gespräch.

Die um ein ca. 50seitiges Nachwort von Michael Schmidt-Salomon ergänzte Neuausgabe von Karlheinz Deschners Monumentalwerk „Politik der Päpste“ (der inoffizielle 11. Band der „Kriminalgeschichte des Christentums“) erscheint Ende März im Alibri Verlag. Der 1.100 Seiten starke Band wird im Buchhandel 59 Euro kosten, kann jedoch zum günstigeren Subskriptionspreis von 49 Euro direkt beim Verlag bestellt werden.