„Supergau für den Datenschutz“

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Hauptquartier des Geheimdienstes National Security Agency (NSA) in Fort Meade / Foto: NSA

MARBURG. (hpd/hu) „Lieber ein lausiges Fernsehprogramm, als ein verwanztes Telefon“ – so harmlos lautete 2009 noch einer der Slogans auf der Demonstration gegen die Vorratsdatenspeicherung. Der aktuelle Skandal um die weltweite Abhörtätigkeit der USA mittels NSA sprengt dagegen jede Dimension und sollte in Deutschland Wahlkampfthema werden.

"Das ist der Supergau für den Datenschutz und die Privatsphäre." Mit diesem Vergleich brachte Franz-Josef Hanke am Montag seine Erschütterung über die flächendeckende Ausforschung deutscher Bürger durch die US-amerikanische National Security Agency (NSA) zum Ausdruck. Der Vorsitzende der Humanistischen Union Marburg kündigte an, dass die Bürgerrechtsorganisation den Schutz der Bevölkerung vor Schnüffelei zum Wahlkampfthema bei der Bundestags- und der Hessischen Landtagswahl am Sonntag (22. September) machen will.

500 Millionen Datensätze hat die NSA Presseberichten zufolge jeden Monat aus Deutschland abgezapft. Allein im Dezember 2012 soll der Bundesnachrichtendienst (BND) ihr 180 Millionen Datensätze übermittelt haben.

Aus dem Internet herausfischen konnte der BND diese Daten mit dem - von der NSA entwickelten - Filterprogramm "XKeyScore". Schon der Einsatz dieser Software verstößt nach Hankes Überzeugung eindeutig gegen das Grundgesetz und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung.

Jeden Monat hat die NSA im statistischen Mittel jeden Bundesbürger vom Säugling bis zum Greis sechs Mal ausgespäht. Mehr als eine halbe Million Datensätze aus Marburg wurden monatlich von der NSA ausgewertet.

Darunter waren sowohl Verbindungsdaten von Telefongesprächen als auch Absender- und Empfängeradressen sowie der Betreff von e-Mails. Aber auch Texte von Mails wurden bei der NSA abgespeichert.

Hanke argwöhnt, dass sogar Absender und Empfängeranschriften von Postsendungen in die US-Abhörzentrale gelangt sein könnten. Eigenen Angaben zufolge scannt die Deutsche Post AG diese Angaben von jeder Briefsendung ein. Zumindest die Inlandspost in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) wertet die NSA anhand derartiger Scans lückenlos aus.

Auch auf die deutschen Melderegister hat die NSA seit mehr als 30 Jahren direkten Zugriff. Deswegen fordert die HU die Universitätsstadt Marburg sowie alle anderen Kommunen auf, alle rechtlichen Möglichkeiten zur Verweigerung einer Weitergabe dieser Daten an Geheimdienste voll auszuschöpfen.

Am 22. September sind für die HU Marburg nur solche Kandidaten wählbar, die den Schutz der Bürger vor staatlicher und privater Schnüffelei glaubwürdig vertreten. Nach Auffassung der HU ist ein wirksamer Schutz letztlich nur durch eine Auflösung der Geheimdienste zu erreichen.

"Geheimdienste sind ihrem Wesen nach ein Fremdkörper in der Demokratie", begründet Hanke die gut 20 Jahre alte Forderung der HU. "Bei der NSU-Affäre wie auch beim PRISM-Skandal zeigt sich auf erschreckende Weise, dass derartige Organisationen nicht kontrollierbar sind und eine ernstliche Gefahr für die freiheitliche Demokratie darstellen."

Dragan Pavlovic