Islamischer "Papst" findet:

Atheismus: eine größere Bedrohung als der Islam

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Die Bundestagsabgeordneten Frank Heinrich, Niels Annen (Staatsminister im Auswärtigen Amt) und Omid Nouripour (von links) lauschen bei der Veranstaltung "Islam & Europa" im "Hotel Adlon" auf dem Podium der Rede des Kalifen Hadhrat Mirza Masroor Ahmad
Das Podium bei der Veranstaltung "Islam & Europa"

Am 22. Oktober 2019 fand im feinen Berliner "Hotel Adlon" eine Veranstaltung der islamischen Gemeinde Ahmadiyya Muslim Jamaat statt. Nach Grußworten von Bundestagsabgeordneten und einem Staatsminister bezeichnete deren "Papst" den Atheismus als größte Bedrohung für die westliche Kultur. Das ließ das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) aufhorchen. Es stellte eine Anfrage ans Auswärtige Amt, die Antwort wurde nun veröffentlicht.

"Wenn in den westlichen Ländern Statistiken erhoben werden, wird deutlich, dass die Menschen der Religion oder dem Glauben an Gott immer weniger zugeneigt sind. Angesichts dessen glaube ich, dass der enorme Zuwachs an Atheismus eine weitaus größere Bedrohung für die westliche Kultur darstellt als der Islam", verkündete Kalif Hadhrat Mirza Masroor Ahmad, Vorsitzender der weltweiten Gemeinde Ahmadiyya Muslim Jamaat, in seiner Rede anlässlich der Veranstaltung "Islam und Europa: Ein Kampf der Kulturen?". "Als muslimischer Religionsführer bin ich der Überzeugung, dass Sie Ihr Erbe und Ihre Kultur schützen sollten, indem Sie Ihre Bemühungen darauf konzentrieren, den Niedergang der Religion aufzuhalten und die Menschen zum Glauben und zur Religion zurückzubringen – sei es zum Christentum, zum Judentum oder zu einem anderen Glauben. Es darf nicht sein, dass im Namen des Fortschritts Werte und moralische Standards, die seit vielen Jahrhunderten Teil der Gesellschaft sind, plötzlich aufgegeben werden", empfahl er der deutschen Politik, wie in einer Pressemitteilung hervorgehoben wurde. Erstere war an diesem Abend durch drei Personen vertreten: Die Bundestagsabgeordneten Frank Heinrich (CDU), Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen) und Niels Annen (SPD) waren der Einladung gefolgt; letzterer ist zusätzlich Staatsminister im Auswärtigen Amt.

Die in Indien gegründete Ahmadiyya Muslim Jamaat bezeichnet sich auf ihrer Website als "weltweit (...) größte Gemeinschaft unter den organisierten Muslimen" und als islamische Reformbewegung, die gleichzeitig die "am meisten verfolgte islamische Gemeinde der Welt" sei. Ihr gewählter Kalif sei das wichtigste muslimische Oberhaupt der Welt und wird – wie der katholische Papst – mit "Seine Heiligkeit" angesprochen. Nach eigener Aussage tritt die Gemeinschaft unter anderem für die Gleichwertigkeit von Mann und Frau, die Trennung von Religion und Staat sowie "die Menschenrechte, wie sie im Koran festgelegt worden sind" ein. In Deutschland hat die Ahmadiyya Muslim Jamaat nach eigenen Angaben circa 40.000 Mitglieder und betreibt über 50 Moscheen. In Hessen und Hamburg ist sie Körperschaft des öffentlichen Rechts (KdöR) und damit den Kirchen gleichgestellt, ist an der Ausbildung von Imamen ebenso beteiligt wie am bekenntnisorientierten Religionsunterricht.

Am 22. November 2019 stellte das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz ans Auswärtige Amt und seinen Staatsminister und bat um Offenlegung sowohl des Texts seiner Rede im "Hotel Adlon", als auch von Reaktionen auf die Aussagen des religiösen Oberhaupts in Form von Stellungnahmen, Gesprächsnotizen oder Verwaltungsakten. Auf eine vorherige, direkte Anfrage an das Auswärtige Amt und Staatsminister Niels Annen hatten sie nicht reagiert. Ein Anspruch auf Informationszugang bestehe nicht, antwortete die Behörde am 12. Dezember 2019 und verwies lediglich auf folgendes Video, das vom hauseigenen TV-Sender der Ahmadiyya Muslim Jamaat auf YouTube veröffentlicht wurde:

In der Aussage des Amtes, man habe keine amtlichen Informationen über die Rede Annens, sieht das ifw die Pflicht zur ordnungsgemäßen Aktenführung verletzt. Da bei ihr außenpolitische, menschenrechtspolitische und religionspolitische Aspekte seines Amtes als Staatsminister im Vordergrund gestanden hätten, abgeschlossen mit der staatspolitischen Zusage "Sie können sich darauf verlassen, dass Deutschland eine verlässliche und starke Stimme sein wird", kritisiert das ifw den in der Antwort der Behörde behaupteten Wahlkreisbezug. Annen versprach "unseren Freunden von der Ahmadiyya", die Bundesregierung werde sich für ihre Interessen einsetzen. "Es ist eine politisch und administrativ untragbare Praxis, dass die Bevölkerung Informationen über die Position des Staatsministers und der Bundesregierung über einen privaten Medienanbieter wie "Muslim TV" beziehen soll, und zudem gezwungen wird, bei einem religiös nicht neutralen Anbieter wie "Muslim TV" für Klickzahlen, Reichweite und Monetarisierung zu sorgen", heißt es dazu in einem Kommentar des ifw auf dessen Internetseite.

Darüber hinaus wendet es sich gegen die inhaltlichen Aussagen des Kalifen der Ahmadiyya Muslim Jamaat, in denen er "die große Gruppe der nichtreligiösen, konfessionsfreien Menschen in Deutschland als Kulturbedrohung oder Kulturzerstörer in Deutschland und Europa bezeichnet und gewissermaßen als Feinde der Gesellschaft brandmarkt". Das ifw verweist auf den Journalisten und Islamkenner Constantin Schreiber, der über islamistische und demokratiefeindliche Inhalte berichtete, die in einer Berliner Ahmadiyya-Moschee gepredigt wurden. Necla Kelek sieht die Religionsgemeinschaft als islamische Sekte und bezeichnet sie als fundamentalistisch und missionarisch. Zwar lehnten sie den Jihad ab, dennoch sei der Islam für sie die einzig wahre Religion und sie hätten eine politische Agenda. Auch in anderen Medien steht man der Gemeinde mitunter vorsichtig skeptisch gegenüber. Der NDR schreibt gar, es werde dort vom "Endsieg des Islam" gesprochen.

Auf ihrer Website bezeichnet die Ahmadiyya Muslim Jamaat den Glauben "an den Heiligen Koran als das letzte gesetzbringende Buch" als festen Glaubensbestandteil und den Koran als "Wort Gottes, das die Menschen führt und leitet", "den Heiligen Propheten Muhammad als vollkommene Verkörperung der islamischen Lehren, dessen Beispiel (Sunna) jeder Muslim nacheifern soll". In ihrem Selbstverständnis repräsentiert die Gemeinschaft den "wahren Islam" und sie will "die wahren Lehren des Islam und die Botschaft des Friedens und der Toleranz" verbreiten. "Die AMJ zeichnet aus, dass sie zwischen Glaube und Vernunft keinen Widerspruch sieht. Demnach lehrt der Koran nichts, was der Vernunft widerspricht. Auch darf zwischen Religion und Wissenschaft kein Widerspruch bestehen", heißt es dort weiter. Gewalt und Zwang in Glaubensdingen schließe sie kategorisch aus. Die Auffassung, jemand der aus dem Islam austrete, müsse getötet werden, sei falsch und stehe im Widerspruch zum Koran. Ein Muslim sei außerdem einer nicht-muslimischen Regierung gegenüber zur Loyalität verpflichtet.

Damit können sie das ifw jedoch nicht überzeugen: Vordergründig versöhnliche Aussagen seien im Kontext des Scharia-Islams immer relativ zu sehen, denn: "Fundamentalismus und Gewalt [sind] entsprechend der einschlägigen Suren dogmatisch inhärent. Ebenso die Unterteilung der Menschheit in Gläubige und Ungläubige." Auf der anderen Seite falle auf, dass Staatsminister Annen in seinen Grußworten "die virulente Frage der Menschenrechte der religionsfreien Bevölkerungsgruppe nicht nur hinten anstellt, sondern gar nicht erwähnt." Der Rede des Kalifen hatte er jedoch applaudiert. Über eine nachträgliche Distanzierung ist nichts bekannt: "Da sich laut Aktenlage des Auswärtigen Amtes die Reaktion in diesem Applaus für die Worte des Kalifen erschöpft hat, bewertet das ifw die Reaktion des Staatsministers und des Auswärtigen Amtes als unangemessen distanzlos, unzureichend und nachbesserungsbedürftig", beendet das ifw sein Statement.

Der vollständige Kommentar des ifw kann auf dessen Website nachgelesen werden.

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