Die Gehsteigsperre

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Fotos: © Christoph Baumgarten

WIEN. (hpd) Ein Riss in einer Wiener Hausfassade führt zur Sperre eines Gehsteigs. Der Vorgang offenbart die innere Logik des Verwaltungsapparats. Der Bürger kann den Beitrag zur Realsatire nur achselzuckend zur Kenntnis nehmen.

 

Vor gut einer Woche wurde ich der Absperrbänder auf einem Gehsteig vor dem Haus Brunnengasse 24 gewahr. An zwei Stellen sperrten sie den Gehsteig auf voller Breite ab. Keine Hinweistafel, kein Schild mit der Information, wie lange man den Gehsteig zu sperren gedenke. Wer den Gehsteig gesperrt hat. Nur ein paar Absperrbänder. Nichts weiter.

Übertrieben ernst gemeint wirkt das nicht. Man mag nicht an einen Faschingsscherz denken, Absperrbänder kann ja jeder kaufen. Selbst solche, auf denen wie hier “Feuerwehr” drauf steht, dürften nicht allzu schwer zu besorgen sein. Aber vertrauen wir der Menschheit: Es wird schon einen Grund haben. Vielleicht sind oben Dachschindeln lose. Oder unterm Gehsteig hat sich wegen irgendwelcher Bauarbeiten was getan. Was weiß ich?

Ein Wochenende geht ins Land, ein Montag und ein Dienstag. Weiter kein Bescheid der Baupolizei oder sonst irgendetwas, das besagt hätte: Diese Sperre ist legal, Ergebnis einer (hoffentlich gut begründeten) Anweisung einer Behörde und nicht der Machtvollkommenheit einer Hausverwaltung.

Hinweisschild: Frühestens am Freitag

Über Umwege finde ich die Nummer der Hausverwaltung heraus. Die erklärt mir: Riss in der Fassade, Feuerwehr und Baupolizei, Gefahr im Verzug, Absperrung. Meine Anregung, vielleicht ein Schild mit dieser Information anzubringen – wenigstens der Hausbewohner wegen, von deren Beiträgen die Hausverwaltung ja lebt – stößt zunächst noch auf Verständnis.

Man könne das frühestens am Freitag bewerkstelligen, sagt mir der Telefonist. Außendienstmitarbeiter habe man keine. Die Schilder müsse man dem Reinigungspersonal mitgeben, das wiederum bei einer anderen Firma angestellt ist. Was weitere drei Tage Gehsteigsperre ohne Information für irgendjemanden bedeutet hätte. Mindestens. Das nennt man privatwirtschaftliche Effizienz.

Zu meiner Beruhigung trägt das wenig bei. Um auch nur einen Parkplatz etwa für einen Übersiedelungs-Lkw für einen Nachmittag zu sperren, muss man dieser Stadt eigene Schilder mieten, auf denen man tunlichst eintragen sollte, wie lange die Sperre dauert. Und einen Gehsteig soll man der ganzen Breite nach einfach so sperren dürfen – nur mit Absperrband? Noch dazu, wo Gefahr droht, dass Vorbeigehenden Teile der Fassade auf den Kopf fallen? Das geht, ohne mit einem Schild auf die Gefahr hinzuweisen?

Behördenstruktur schlägt Logik

Anruf bei der Baupolizei. Ein Riss in der Fassade ist eine Bausache und die MA 37 hat, so sagt mir die Hausverwaltung, festgestellt, dass Gefahr im Verzug sei. Was mich zu der abenteuerlichen Vermutung veranlasst, besagte MA 37 könnte in irgendeiner Weise für die Gehsteigsperre zuständig sein. Und sich vielleicht sogar überzeugen lassen, dass es besser ist, man informiert die Leute mit einem Aushang, was los ist.

Nachdem man mich mehrfach weiterverbunden hat, habe ich einen freundlichen jungen Mitarbeiter am Telefon, der sich mein Anliegen anhört. Seine Ratlosigkeit ist mit Händen zu greifen. Hier ruft jemand an, der ernsthaft davon ausgeht, die Baupolizei sei auch nur im geringsten verantwortlich für Absperrungen in Bauangelegenheiten. Immerhin, er kann sich ein herzhaftes Lachen verkneifen und verweist mich auf die MA 46. Es klingt, als hätte er aufrechtes Mitgefühl für einen armen Irren wie mich, der denkt, mit Logik könne man sich zurechtfinden in einem bürokratischen Apparat.

“Was gibt es da zu lachen?”

Die MA 46 ist in Wien die Abteilung für Verkehrsorganisation und technische Verkehrsangelegenheiten. Aus Bürokratensicht offenbar die logische Anlaufstelle für Sperren, die sich aus der Baufälligkeit von Hausfassaden ergeben.

Auf dieser MA 46 werde ich auch ein paar mal herumverbunden und lande bei der Hotline, deren Nummer ich so gesehen auch gleich selbst hätte wählen können, ohne Umweg über die Vermittlung. Ein Bescheid für die Sperre sei beantragt, sagt mir die Telefonistin. Wie lange das dauere, wisse sie nicht. Bis dahin sei Gefahr im Verzug und die Sperre bleibe aufrecht, so wie sie ist.

Ich versuche der Dame klarzumachen, dass ich die Rechtmäßigkeit der Sperre nicht infrage stelle. Ich bezweifle nur ernsthaft, dass eine Sperre nur mit Absperrbändern und ohne Zusatztafeln irgendjemandem den Eindruck vermittelt, das sei ernst zu nehmen. Oder auch nur behördlich angeordnet. “Gefahr im Verzug”, ist alles, was ich zu hören bekomme. Meine Anregung, doch möglichst schnell irgendein Schild anzubringen, gerade wegen der Gefahr, stößt auf ausgeprägtes Befremden. Es sei doch alles rechtens. Und warum ich jetzt lache, so lustig sei die Sache doch gar nicht.

Ich möge mich an die Feuerwehr wenden

Im Übrigen möge ich mich an die Feuerwehr wenden, die habe den Gehsteig schließlich gesperrt. Das vermittelt mir wirklich den Eindruck, die Behörden machen sich Sorgen darum, ob Bürger überhaupt verstehen, was sie da tun.

Die Feuerwehr übrigens wäre die MA 68, die budgettechnisch wiederum der Buchhaltungsabteilung 3, Kultur und Feuerwehr, zugeordnet ist, wie mir der Amtskalender verrät. Ich verzichte auf einen weiteren Anruf und bin eigentlich schon froh, dass man mich nicht zurück zur Baupolizei geschickt hat. Oder zum Salzamt.

Die Absperrbänder sind abgerissen

Als ich am Abend wieder an der Brunnengasse 24 vorbeigehe, kann ich ein Gefühl der Befriedigung nicht verkneifen. Irgendjemand hat sämtliche Absperrbänder abgerissen. Passanten laufen an der rissigen Fassade vorbei und kommen nicht auf den Gedanken, selbige könnte ihnen auf den Kopf fallen. Ein Scherzbold hat eines der Bänder auf einen Außenspiegel eines Autos gelegt.

Die Absperrung wegen Gefahr im Verzug erfüllt wirklich ihren Zweck, denke ich mir. Ich bin gespannt, wann die Feuerwehr wieder anrückt, um den eigenmächtig entsperrten Gehsteig wieder mit Absperrbänder unzugänglich zu machen. Und wie oft sie das tun muss, bis wenigstens ein Aushang Vorbeikommenden mitteilt, dass es keine so gute Idee ist, da vorbeizugehen. Von wegen Mauer am Kopf und so.

Im Geheimen denke ich mir, ich sollte mir demnächst im nächsten Baumarkt Absperrband kaufen. Und bei Gelegenheit den erstbesten Gehsteig absperren. Einfach so. Mal sehen, wie lange die diversen Magistratsabteilungen brauchen, um herauszufinden, dass das keine Behördenmaßnahme war. Sofern sie sich für derlei überhaupt zuständig fühlen.

Christoph Baumgarten