Humanismus und Humanisierung

Praktizierte Menschenwürde

Horst Junginger, ein Religionswissenschaftler, hat einen Artikel zum Thema “Zivilreligion” beigesteuert und fragt ob eine Zivilreligion mögliche Erträge für den Humanismus liefern könne. Ein auf den ersten Blick kritischer Blick, auf dem zweiten jedoch liest sich das Ganze doch nur wie eine Apologie auf das Kirchenchristentum und die Notwendigkeit des Klerus für Staat und Gesellschaft. Wenn schon die Menschen sich von den Kirchen abwenden, dann muss eben eine Zivilreligion her, vor allem eine, die auf dem Christentum basiert…

Zuzustimmen ist Junginger aber, wenn er schreibt: “Die Idee der Zivilreligion basiert auf der Opposition gegenüber dem Säkularismus und Weltanschauungen laizistischer oder atheistischer Prägung. Dass die Religion für Politik und Gesellschaft von zentraler Bedeutung sei und deshalb gerade nicht zur Privatsache erklärt und auf die Ebene der individuellen Religionsausübung abgeschoben werden dürfe, kann als das eigentliche Credo der Zivilreligion bezeichnet werden (…) und dient vor allem dem Zweck, die Ansprüche der Kirche unter weniger günstigen Bedingungen fortzuschreiben.” (S. 129)

Aha, aber wer bestimmt, dass die Religion für Politik und Gesellschaft von zentraler Bedeutung ist? Das behauptet und bestimmt doch nur die Priesterkaste, der es einzig und allein um deren Macht und eigenes Wohlleben auf Kosten anderer geht!

Der Literaturwissenschaftler Heinz-Bernd Wohlfahrt macht auf das voraussichtlich 2015 erscheinende Handbuch “Humanismus: Grundbegriffe” aufmerksam. Er hat für dieses Handbuch das Stichwort “Humanistarismus” übernommen und fragt darauf bezugnehmend, was dein philosophisches Artikelkonzept leisten könne.

Einen hochphilosophischen, und nicht immer leichtlesbaren/-verständlichen Text zu diesem Sammelband hat der Philosoph Ralf Schöppner beigesteuert: “Humanisierung durch das Altern der Anderen”.

Abschließend geht Horst Groschopp auf den Humanismus im Berlin um 1900 ein: “Die drei berühmten Foersters und die ethische Kultur”. Hierin streift er mit Blick auf Wilhelm Foerster (1832 - 1921), den Begründer der Sternwarte und der URANIA, sechs Themen: Programm der ethischen Kulturgesellschaft; ihr Verhältnis zu Religion und Kirche; die weltliche Versammlungskultur der Humanistengemeinde; deren Bildungsarbeit, die Frage der ‘weltlichen Seelsorge’ und die ‘Rassenfrage’. Bei seinem Sohn Friedrich Wilhelm Foerster (1869 - 1966) sind es diese vier Themen: Lebenskunde und Religionsunterricht; Sexualmoral; Verhältnis zur Demokratie und Verhältnis zum Frieden.

Groschopp fragt: “Was können die Biographien der Foersters lehren?” Und er gibt auch gleich eine Antwort: “Unsere Gesellschaft beginnt erneut, Gesinnungen zu verhandeln. Es geht um Evolutionstheorie versus Kreationismus, Ethik bzw. Lebenskunde versus Religionsunterricht, um Autonomie kontra Seelsorge. Zu allen aktuellen Themen hatten die Foersters etwas zu sagen. So neu können also die Themen gar nicht sein.” (S. 172)

Dem ist nichts hinzuzufügen!

Auch wenn die Verständlichkeit in einigen Beiträgen nicht immer gegeben ist, so schmälert das keinesfalls den Wert dieses Sammelbandes. Denn diese Publikation richtet sich ja zuvörderst an akademisch gebildete Multiplikatoren des organisierten Humanismus. Lobenswert ist, und das muss angesichts bundesdeutscher Gepflogenheiten besonders betont werden, dass die Autoren ihre Themen nicht abgehoben abstrakt aus Elfenbeinturm-Perspektive abhandeln, sondern diese im Kontext mit den sozio-ökonomischen Verhältnissen betrachten.

Siegfried R. Krebs

 

Horst Groschopp (Hrsg.): Humanismus und Humanisierung. 178 S. kart. Schriftenreihe der Humanistischen Akademie Berlin-Brandenburg, Bd. 7. Alibri-Verlag. Aschaffenburg 2014. Euro. ISBN 978–3–86569–167–5

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