Der Glaube an die Menschheit

Worin liegt diese Pointe?

Die Pointe ist, dass man den Menschen sehr wohl als das mitfühlendste, klügste, fantasiebegabteste, humorvollste Lebewesen auf dem Planeten darstellen kann, ohne ihn deshalb aus dem Naturzusammenhang, der Tierwelt, herauslösen zu müssen. Joachims Vorstellung, dass die “Würde des Menschen” nur in scharfer Abgrenzung zum Tierreich begründet werden könnte, ist ein zentraler Gedanke des alten, klassischen Humanismus, den wir vor dem Hintergrund der Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte, für die sich Joachim leider kaum interessiert, nicht mehr aufrechterhalten können.

 

Wenn das stimmt, was spricht dann dagegen, den evolutionären Humanismus als “Animalismus” zu interpretieren? Schließlich ordnest du den Menschen konsequent ins Tierreich ein und willst mit deinem Ansatz nicht zuletzt auch den sogenannten “Speziesismus” überwinden, also die Nichtbeachtung der Interessen all jener Lebewesen, die nicht zu unserer Art gehören.

Richtig, doch wir dürfen die Argumentationsebenen nicht durcheinander werfen! Selbstverständlich sollten wir die Interessen nichtmenschlicher Lebewesen in einer fairen Güterabwägung berücksichtigen, aber – und das ist der entscheidende Punkt: Niemand erwartet von einem Schimpansen, einem Tiger, einem Sperling oder einem Regenwurm, dass er das “Prinzip der gleichen Berücksichtigung gleicher Interessen” beachtet!

Ich bin deshalb Humanist, weil ich an die Entwicklungsfähigkeit des Menschen glaube und darauf vertraue, dass wir dank der besonderen biologischen und kulturellen Evolution unserer Spezies für bessere Lebensverhältnisse auf diesem Planeten sorgen können. Aus dem gleichen Grund bin ich selbstverständlich kein “Animalist”, denn es wäre absurd, im gleichen Sinne “an das Tierreich zu glauben” und darauf zu hoffen, dass Löwen, Kühe, Spinnen oder Kartoffelkäfer in absehbarer Zeit eine “Allgemeine Erklärung der Tierrechte” verabschieden und in ihrer Lebenspraxis berücksichtigen werden.

 

In Ordnung! Wie aber steht es um Kahls zweiten Vorwurf? Er meint, du hättest dich vom “hämischen Religionsverächter” zum “Lobredner von Religion und Religiosität” gewandelt, was er unter anderem damit begründet, dass du die Religionen als “kulturelle Schatzkammern der Menschheit” bezeichnest?

Dieser Vorwurf ist wirklich derart unter aller Kritik, dass es sich kaum lohnt, näher darauf einzugehen. Daher nur kurz: Es kommt natürlich darauf an, was mit den Begriffen “Religion” bzw. “Religiosität” bezeichnet werden soll.

Versteht man darunter mit Schleiermacher den “Sinn und Geschmack fürs Unendliche”, oder wie Richard Dawkins sagen würde: “Religiosität im Einsteinischen Sinne”, gibt es aus evolutionär-humanistischer Sicht keinen vernünftigen Grund, sich kritisch dazu zu positionieren. Völlig anders sieht es jedoch aus, wenn mit “Religion” ein “institutionell verankertes Weltanschauungssystem” gemeint ist, das aus unüberprüfbaren oder offenkundig fehlerhaften Seins-Aussagen über die Struktur des Universums ethisch problematische Sollens-Sätze ableitet. In diesem Fall ist Kritik, auch scharfe Kritik, die empfindlichere Gemüter als “hämisch” empfinden mögen, dringend erforderlich.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass gerade die rationale Beschäftigung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, etwa der Kosmologie und Evolutionsbiologie, den “Sinn und Geschmack fürs Unendliche” nährt, während religiöse Überlieferungen diesen “Sinn und Geschmack” eher verderben, weil sie das Universum sehr viel kleiner machen, als es in Wirklichkeit ist. All diese Zusammenhänge habe ich seit dem “Manifest des evolutionären Humanismus” in all meinen Büchern beschrieben – nicht nur in “Hoffnung Mensch”, sondern auch in “Keine Macht den Doofen”, wo ich die Lächerlichkeit “religiotischer” Weltdeutungen sehr viel schärfer herausgearbeitet habe als jemals zuvor.

Den Wandel, den Joachim Kahl in seiner Besprechung herbeihalluzinierte, hat es nie gegeben.

 

Und was ist mit den “kulturellen Schatzkammern”?

Ach ja, die hätte ich ja fast vergessen… (lacht) Ich habe diesen Begriff in exakt dem gleichen Sinne bereits im “Manifest des evolutionären Humanismus” verwendet (auf Seite 162) und danach auch noch in zahlreichen anderen Veröffentlichungen.

Es sollte klar sein: Wären die Religionen nichts weiter als Unterdrückungsideologien, die ausschließlich Menschenverachtendes und Sinnloses enthielten, hätten sie sich in der Geschichte nicht so lange halten können. Auf diesen Punkt hat ja schon Franz Buggle in seinem Buch “Denn sie wissen nicht, was sie glauben” hingewiesen: Die große Stärke und zugleich die große Gefahr der Religionen besteht darin, dass sie Nächstenliebe mit Fernstenhass, Barmherzigkeit mit Grausamkeit, Zuckerbrot mit Peitsche verbinden. Unsere Aufgabe ist es daher, das Unsinnige und Lebensfeindliche, das sich in religiösen wie nichtreligiösen Traditionen ausgebildet hat, vom Sinnvollen und Lebensförderlichen zu trennen. Eben das meint der Begriff der “großen Konversion”, den ich im letzten Kapitel von “Hoffnung Mensch” erläutere.

 

Ist es eigentlich ein Zufall, dass “Hoffnung Mensch” zum 10-Jahresjubiläum der Giordano-Bruno-Stiftung erscheint?

Nein, das war so geplant. Das Buch enthält, wenn man so will, unseren zweiten “10-Jahres-Plan”, tritt also die Nachfolge des “Manifests” an, das die Arbeit der gbs in den ersten Jahren prägte. Wir haben schon längere Zeit darüber nachgedacht, der Stiftung ein etwas anderes Profil zu geben.

Zwar ist es völlig klar, dass wir auch in Zukunft Religionskritik betreiben müssen, aber zum einen haben wir auf diesem Gebiet in den letzten Jahren schon vieles erreicht, was wir nicht noch einmal wiederholen müssen, und zum anderen ist es auch nicht besonders hilfreich, bloß sagen zu können, wogegen man ist, wenn man nicht ebenso deutlich artikulieren kann, wofür man eintritt. Deshalb finden sich in “Hoffnung Mensch” viele positive Aussagen zu unterschiedlichsten Themen, die irgendwann sicherlich auch zu entsprechenden Kampagnen der Stiftung führen werden.

 

Das Themenspektrum des Buchs ist wirklich beeindruckend. Es dürften nur sehr wenige Bücher geschrieben worden sein, die die Erkenntnisse so vieler unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen zusammenführen. Das erklärt sicherlich auch, warum du im Dankeswort von “Hoffnung Mensch” schreibst, dass dich kein Buch je so viel Mühe gekostet habe.

Ja, das Schwierige war allerdings nicht, das ganze Material zusammenzutragen, sondern aus diesem reichhaltigen Material das Wesentliche auszuwählen und in eine ansprechende Form zu bringen. Ich hätte sicherlich weit mehr als tausend Seiten über die vielfältigen Fortschritte der Menschheit in der Wissenschaft, der Technik, Medizin, Kunst, Ethik und Politik schreiben und auch die gegenwärtigen Weltprobleme sehr viel ausführlicher noch analysieren können, aber ein solches Mammutwerk hätte wohl niemand lesen wollen.

 

Ganz am Schluss des Buchs heißt es, die “Zeit der Tortur” sei nun endlich vorbei. Das klingt ziemlich endgültig…

Ist auch so gemeint. Ich werde definitiv kein weiteres Grundlagenbuch mehr zum evolutionären Humanismus schreiben. Mit “Hoffnung Mensch” ist dieses Kapitel für mich abgeschlossen. Es ist in meinen Augen ein perfektes Finale, das den Zyklus genau so abrundet, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen.

 

Würdest du sagen, dass “Hoffnung Mensch” dein bestes Buch ist? Das Buch, das man unbedingt gelesen haben sollte?

“Unbedingt” muss niemand meine Bücher lesen, wäre ja noch schöner! (lacht) Aber es ist schon wahr: Wenn eines meiner Bücher, dann am besten “Hoffnung Mensch”! Es ist das Buch, das die meisten Gedanken zusammenführt und auch am ehesten für sich alleine stehen kann. Das gilt mit leichten Abstrichen wohl auch für “Jenseits von Gut und Böse”. Das “Manifest” und “Keine Macht den Doofen” sind mir zwar ebenfalls lieb und teuer (gerade weil sie streckenweise so unverschämt frech sind), aber sie könnten, wenn man sie losgelöst vom Kontext liest, sehr viel eher missverstanden werden – insbesondere von Leuten, die mit der literarischen Gattung der “Streitschrift” nicht viel anfangen können.

 

Was machst du denn jetzt – abgesehen von der Stiftungsarbeit, die ja weitergehen wird –, wenn du von nun an keine neuen Bücher zum evolutionären Humanismus mehr schreiben willst?

Wahrscheinlich werde ich mich intensiver mit Detailproblemen beschäftigen, etwa der Bioethik oder der Sterbehilfe. Ich habe auch schon ein paar Ideen für Kinderbücher, die interessant sein könnten. Zudem will ich nun endlich einen schon lange geplanten Science-fiction-Roman schreiben.

Selbstverständlich werden auch diese Projekte vom Geist des evolutionären Humanismus getragen sein, aber etwas wirklich Grundlegendes zu diesem Thema wird von mir nicht mehr kommen. Ich habe dazu gesagt, was ich sagen wollte. Alles Weitere wäre bloße Wiederholung und das will ich weder mir noch meinen Leserinnen und Lesern zumuten.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Das Interview für den hpd führte Frank Nicolai