Der Glaube an die Menschheit

BERLIN. (hpd) Mit “Hoffnung Mensch” hat Michael Schmidt-Salomon seinen Zyklus über die Philosophie des evolutionären Humanismus abgeschlossen. Im Gespräch mit dem hpd erklärt er, warum er sich in dem “großen Finale” seiner Werkreihe zum “Glauben an die Menschheit” bekennt und weshalb er Bücher dieser Art nicht mehr schreiben wird.

hpd: Am Ende deines neuen Buchs weist du darauf hin, dass deine Monographien zum evolutionären Humanismus dem Muster einer viersätzigen Sinfonie gefolgt sind: Das “Manifest des evolutionären Humanismus” war der Auftaktsatz, der die zentralen Themen vorstellte, “Jenseits von Gut und Böse” das getragene Adagio, das von einem einzigen weitgespannten Thema getragen wurde, nämlich der Frage, wie wir ein entspannteres Verhältnis zu uns selbst und den anderen entwickeln können, “Keine Macht den Doofen” war ein Scherzo, das einige Kernthemen des ersten Satzes in ironisch-überspitzer Form aufgriff, und “Hoffnung Mensch” das Finale, das die Themenstränge der vorangegangenen Sätze in einer großangelegten humanistischen Coda zusammenführt. Hast du diesen Aufbau von Anfang an im Kopf gehabt oder hat sich das allmählich entwickelt?

Schmidt-Salomon: Die Idee dazu kam mir tatsächlich erst nach “Jenseits von Gut und Böse”. Das “Manifest” war ja ursprünglich nicht für eine größere Öffentlichkeit gedacht, sondern als Grundlagenschrift der Giordano-Bruno-Stiftung, die möglichst prägnant die Unterschiede zwischen einer evolutionär-humanistischen und einer religiösen Sichtweise darstellen sollte.

Nach dem unerwarteten Erfolg des Buchs bot sich mir die Gelegenheit, mit “Jenseits von Gut und Böse” der Frage nach dem Sinn und Unsinn des Schuld- und Sühnedenkens nachzugehen, mit der ich mich schon als Student intensiv auseinandergesetzt hatte. Als ich mit diesem Buch fertig war, dachte ich zunächst, alles gesagt zu haben, was ich zum Thema “evolutionärer Humanismus” zu sagen hatte.

Doch irgendwie ließ mich die Spannung nicht in Ruhe, die zwischen dem kämpferischen “Manifest” und dem abgeklärten “Jenseits von Gut und Böse” besteht. Mir wurde klar, dass diese Spannung daher rührte, dass ich im ersten Buch die Missstände der Welt mit meinen Idealvorstellungen unvermittelt konfrontiert hatte, während ich im zweiten Buch die Übel der Welt aus dem Ursachengeflecht ihrer Entstehung heraus erklärte.

Je mehr ich darüber nachdachte, umso stärker wurde mir bewusst, dass ich das Wesentliche zum evolutionären Humanismus noch gar nicht gesagt hatte. Ich hatte zwar einen munteren Auftaktsatz und ein getragenes Adagio geschrieben, doch das große Finale, das die Spannung aufhebt, fehlte noch.

 

Michael Schmidt-Salomon, Foto: Andreas Schütt
Michael Schmidt-Salomon, Foto: Andreas Schütt

Wie in einer Beethoven-Sinfonie hast du zwischen Adagio und Finale noch ein Scherzo, nämlich “Keine Macht den Doofen”, eingeschoben. Warum?

Ich hatte den Eindruck, dass ich die Spannung vor der Auflösung im Finale noch einmal erhöhen und meine Wut, Verbitterung und Enttäuschung über den katastrophalen Irrsinn in der Menschheitsgeschichte ungefiltert zum Ausdruck bringen musste.

“Keine Macht den Doofen” verschärfte daher den galligen, polemischen Ton, der schon im Manifest an einigen Stellen angeklungen war. Dramaturgisch schien mir das stringent zu sein: Das Buch hat innerhalb des Zyklus die Funktion eines “reinigenden Gewitters”. Erst nach diesem kräftigen Donnern war es mir möglich, die “Sonnenseite der Menschheit” gebührend zu würdigen.

 

Du hast eben davon gesprochen, dass du vor “Hoffnung Mensch” das Wesentliche zum evolutionären Humanismus noch nicht gesagt hattest. Worin besteht dieses “Wesentliche”?

Das Wesentliche ist der Glaube an die Menschheit, genauer: der Glaube an die Entwicklungsfähigkeit der Menschheit. Ein Humanist muss daran glauben können, dass wir potentiell in der Lage sind, bessere, gerechtere Lebensbedingungen zu schaffen. Andernfalls mutiert er schnell zum Zyniker, der vorauseilend vor der Irrationalität der Welt kapituliert.

 

Beißt sich diese Betonung des “Glaubens an die Menschheit” nicht mit der Losung “Wissen statt glauben” der Giordano-Bruno-Stiftung?

Nein. Der Slogan “Wissen statt glauben” richtet sich gegen eine spezifische Form des Glaubens, nämlich das “Unbedingte-Für-Wahr-Halten-Wollen” von Aussagen – selbst, wenn diese längst widerlegt sind. Gläubige dieser Art sind an einer kritischen Prüfung ihrer Überzeugungen nicht interessiert, was fatale Konsequenzen hat.

Allerdings gibt es auch eine rationale Form des “Glaubens”: Da wir, wie Karl Popper zeigte, nichts mit absoluter Sicherheit wissen können, müssen gerade skeptische Rationalisten “glauben”, nämlich im Sinne von “vermuten”. Der Unterschied zwischen diesen beiden Grundformen besteht darin, dass der rationale Glaube notwendigerweise auf Belegen gründet, der irrationale Glaube jedoch alle Belege ignoriert, die im Widerspruch zu Glaubensdogmen stehen.

Unterschiedlich ist auch das Niveau der Selbstreflexion, denn Rationalisten wissen, dass sie etwas bloß glauben, während Irrationalisten bloß glauben, dass sie etwas wissen. Neben diesen beiden grundverschiedenen Varianten des “Glaubens” kennen wir allerdings noch eine dritte Verwendungsform des Wortes, nämlich “Glauben” im Sinne eines “hoffnungsvollen Vertrauens auf irgendetwas oder irgendjemanden”. Dieses “hoffnungsvolle Vertrauen” kann sowohl rational als auch irrational sein, je nachdem worauf es gerichtet ist. Hier müssen wir uns fragen: Gibt es Fakten, die eine Hoffnung stützen, oder beruht sie letztlich auf Illusionen, die einer kritischen Prüfung niemals standhalten würden?

 

Du hältst den “Glauben an die Entwicklungsfähigkeit des Menschen” also für eine evidenzbasierte, rationale Hoffnung?

Ja. Die Entwicklungsfähigkeit unserer Spezies ist, wie ich in “Hoffnung Mensch” zeige, eine Tatsache, die man bei unvoreingenommener Betrachtung der biologischen und kulturellen Evolution schwerlich bestreiten kann. Leider übersehen wir häufig, welch fantastische Leistungen die Menschheit über die Jahrtausende hinweg in der Wissenschaft, der Philosophie, Kunst, Medizin und Technik erbracht hat, wie aufopferungsvoll sich viele unserer Artgenossen darum mühten, diese Welt zu einem besseren, gerechteren Ort zu machen, und mit wie viel Anstand, Würde und Tapferkeit die meisten von uns ihr Leben über die Runden bringen.

 

Du schreibst im Buch, dass das alles andere als selbstverständlich sei, da das Universum, in das wir hineingeboren werden, nicht darauf ausgelegt ist, uns besonders angenehme Rahmenbedingungen zu bescheren…

So ist es, leider! Wir sind nicht nur – wie alle “höheren” Lebensformen auf der Erde – mit allen erdenklichen Arten des physischen und psychischen Leids konfrontiert, wir wissen zudem auch noch, dass wir diesen Übeln nicht entgehen können – sosehr wir uns auch immer anstrengen mögen. Diese Ausweglosigkeit zu ertragen, ohne zu verzweifeln, ist keine Lappalie – und es grenzt fast schon an ein Wunder, dass die meisten von uns ihr Leben so tapfer meistern, ohne dem Irrsinn zu verfallen.

 

Diese existentiellen Nöte sind, wie du darlegst, auch ein Grund dafür, warum sich so viele Menschen ein Leben ohne Religion nicht vorstellen können…

Richtig. Konfrontiert mit der “Erfahrung des Absurden”, den “Widrigkeiten des Lebens” und der verstörenden “Ungerechtigkeit der Welt”, der wir nahezu überall begegnen, klammern sich Abermillionen von Menschen weltweit noch immer an die Rettungsringe des Glaubens – auch wenn aus ihnen, objektiv betrachtet, längst alle Luft entwichen ist. Wohl ahnen es viele, dass sie sich mithilfe dieser Rettungsringe nicht über Wasser halten können, doch nur wenige gestehen es sich ein. Zu groß ist die Angst, loslassen zu müssen und im Existenzstrudel ganz auf sich alleine gestellt zu sein.

 

Warum sollten wir uns damit beschäftigen?

Weil wir nur so begreifen können, was Menschen dazu bringt, entgegen aller Evidenz an traditionellen Glaubensvorstellungen festzuhalten. Denn nur die allerwenigsten Menschen sind bereit, “trostlose Wahrheiten” an die Stelle “hoffnungsvoller Illusionen” zu setzen.

Ein Leben jenseits der althergebrachten Irrtümer wird den meisten erst dann attraktiv erscheinen, wenn es mehr verspricht als bloße Vernünftigkeit, nämlich Hoffnung und Geborgenheit. Und eben hier liegt der große Vorzug des evolutionären Humanismus: Er bietet Hoffnung jenseits der Illusionen, zeigt alternative Möglichkeiten auf, um mit den existentiellen Nöten des Lebens fertig zu werden, und liefert darüber hinaus auch noch ein sinnvolles Rahmenkonzept, mit dessen Hilfe wir, wie ich in “Hoffnung Mensch” darlege, die großen ökologischen, ökonomischen, kulturellen, sozialen und politischen Probleme unserer Zeit besser in den Griff bekommen könnten.

 

Eine universelle Heilslehre also?

Eben nicht! Heilslehren sind geschlossene Denksysteme, die auf einem festen Dogmengerüst beruhen.

Der evolutionäre Humanismus hingegen ist ein offenes Denksystem, das darauf angelegt ist, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln. Deshalb ist es auch kein Widerspruch, sondern vielmehr eine innere Notwendigkeit, dass ich zentrale Sachverhalte anders darstelle, als es Julian Huxley, der Namensgeber des evolutionären Humanismus, getan hat. Sofern sich nachkommende Generationen noch mit dem evolutionären Humanismus beschäftigen sollten, wird ihre Version selbstverständlich anders ausfallen als meine – und das ist auch gut so.

 

Buchcover

Dein Buch ist erst seit kurzem auf dem Markt, doch im humanistischen Spektrum gab es bereits sehr unterschiedliche Reaktionen. Helmut Fink, der Vorsitzende des KORSO und einer der Vordenker des Humanistischen Verbands Deutschland (HVD), lobte das Buch auf hpd.de als “leicht lesbares, unterschiedliche Wissensgebiete vereinendes, aufklärerisches Grundlagenwerk mit positiver Botschaft und starkem Begeisterungspotenzial”. Mit einem Augenzwinkern meinte er, ein “Anflug von Weisheit wird spürbar”…

Ja, das war doch mal ein nettes Kompliment… (lacht)

 

Im Gegensatz dazu lieferte Joachim Kahl, ein im HVD ebenfalls geschätzter Autor, auf diesseits.de einen gnadenlosen Verriss von “Hoffnung Mensch” ab. Er meinte, du seist in Wirklichkeit kein “Humanist”, sondern “Animalist”, und dein Ziel sei weniger die Förderung der Aufklärung als die Gründung einer neuen humanistischen Religion. Was hältst du von Kahls Kritik?

Joachim versteht es, seine Gedanken elegant zum Ausdruck zu bringen. Das Problem ist aber, dass er seit einiger Zeit offenkundig meint, sich dadurch profilieren zu müssen, dass er Autoren wie Deschner, Dawkins und mich in Grund und Boden kritisiert. Das hat ihn zu einem gern gesehenen Gast in Theologischen Akademien gemacht, was ja nicht verwerflich ist, unangenehm ist aber, dass er uns a) Dinge vorwirft, die wir nie geschrieben haben, und uns b) mit Argumenten belehrt, die sehr viel klarer schon in den kritisierten Büchern stehen.

Eine solche Form der Kritik ist kein Geschenk, das die Kritisierten weiterbringt, sondern ein Ärgernis, für das man kostbare Zeit aufbringen muss, um die Missverständnisse zu korrigieren. Ich weiß nicht, mit welchem Ziel Joachim die Werke anderer religionskritischer Autoren liest, auf jeden Fall haben seine Interpretationen mit den eigentlichen Inhalten dieser Bücher wenig zu tun, was ihn immer wieder zu kuriosen Schlussfolgerung bringt. In der Rezension von “Hoffnung Mensch” beispielsweise wirft er mir vor, den Menschen gleichzeitig zu erniedrigen und (!) zu überhöhen, was nicht nur im höchsten Maße widersprüchlich ist, sondern auch belegt, dass er die eigentliche Pointe des Buchs nicht begriffen hat.

 

Worin liegt diese Pointe?

Die Pointe ist, dass man den Menschen sehr wohl als das mitfühlendste, klügste, fantasiebegabteste, humorvollste Lebewesen auf dem Planeten darstellen kann, ohne ihn deshalb aus dem Naturzusammenhang, der Tierwelt, herauslösen zu müssen. Joachims Vorstellung, dass die “Würde des Menschen” nur in scharfer Abgrenzung zum Tierreich begründet werden könnte, ist ein zentraler Gedanke des alten, klassischen Humanismus, den wir vor dem Hintergrund der Forschungsergebnisse der letzten Jahrzehnte, für die sich Joachim leider kaum interessiert, nicht mehr aufrechterhalten können.

 

Wenn das stimmt, was spricht dann dagegen, den evolutionären Humanismus als “Animalismus” zu interpretieren? Schließlich ordnest du den Menschen konsequent ins Tierreich ein und willst mit deinem Ansatz nicht zuletzt auch den sogenannten “Speziesismus” überwinden, also die Nichtbeachtung der Interessen all jener Lebewesen, die nicht zu unserer Art gehören.

Richtig, doch wir dürfen die Argumentationsebenen nicht durcheinander werfen! Selbstverständlich sollten wir die Interessen nichtmenschlicher Lebewesen in einer fairen Güterabwägung berücksichtigen, aber – und das ist der entscheidende Punkt: Niemand erwartet von einem Schimpansen, einem Tiger, einem Sperling oder einem Regenwurm, dass er das “Prinzip der gleichen Berücksichtigung gleicher Interessen” beachtet!

Ich bin deshalb Humanist, weil ich an die Entwicklungsfähigkeit des Menschen glaube und darauf vertraue, dass wir dank der besonderen biologischen und kulturellen Evolution unserer Spezies für bessere Lebensverhältnisse auf diesem Planeten sorgen können. Aus dem gleichen Grund bin ich selbstverständlich kein “Animalist”, denn es wäre absurd, im gleichen Sinne “an das Tierreich zu glauben” und darauf zu hoffen, dass Löwen, Kühe, Spinnen oder Kartoffelkäfer in absehbarer Zeit eine “Allgemeine Erklärung der Tierrechte” verabschieden und in ihrer Lebenspraxis berücksichtigen werden.

 

In Ordnung! Wie aber steht es um Kahls zweiten Vorwurf? Er meint, du hättest dich vom “hämischen Religionsverächter” zum “Lobredner von Religion und Religiosität” gewandelt, was er unter anderem damit begründet, dass du die Religionen als “kulturelle Schatzkammern der Menschheit” bezeichnest?

Dieser Vorwurf ist wirklich derart unter aller Kritik, dass es sich kaum lohnt, näher darauf einzugehen. Daher nur kurz: Es kommt natürlich darauf an, was mit den Begriffen “Religion” bzw. “Religiosität” bezeichnet werden soll.

Versteht man darunter mit Schleiermacher den “Sinn und Geschmack fürs Unendliche”, oder wie Richard Dawkins sagen würde: “Religiosität im Einsteinischen Sinne”, gibt es aus evolutionär-humanistischer Sicht keinen vernünftigen Grund, sich kritisch dazu zu positionieren. Völlig anders sieht es jedoch aus, wenn mit “Religion” ein “institutionell verankertes Weltanschauungssystem” gemeint ist, das aus unüberprüfbaren oder offenkundig fehlerhaften Seins-Aussagen über die Struktur des Universums ethisch problematische Sollens-Sätze ableitet. In diesem Fall ist Kritik, auch scharfe Kritik, die empfindlichere Gemüter als “hämisch” empfinden mögen, dringend erforderlich.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass gerade die rationale Beschäftigung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, etwa der Kosmologie und Evolutionsbiologie, den “Sinn und Geschmack fürs Unendliche” nährt, während religiöse Überlieferungen diesen “Sinn und Geschmack” eher verderben, weil sie das Universum sehr viel kleiner machen, als es in Wirklichkeit ist. All diese Zusammenhänge habe ich seit dem “Manifest des evolutionären Humanismus” in all meinen Büchern beschrieben – nicht nur in “Hoffnung Mensch”, sondern auch in “Keine Macht den Doofen”, wo ich die Lächerlichkeit “religiotischer” Weltdeutungen sehr viel schärfer herausgearbeitet habe als jemals zuvor.

Den Wandel, den Joachim Kahl in seiner Besprechung herbeihalluzinierte, hat es nie gegeben.

 

Und was ist mit den “kulturellen Schatzkammern”?

Ach ja, die hätte ich ja fast vergessen… (lacht) Ich habe diesen Begriff in exakt dem gleichen Sinne bereits im “Manifest des evolutionären Humanismus” verwendet (auf Seite 162) und danach auch noch in zahlreichen anderen Veröffentlichungen.

Es sollte klar sein: Wären die Religionen nichts weiter als Unterdrückungsideologien, die ausschließlich Menschenverachtendes und Sinnloses enthielten, hätten sie sich in der Geschichte nicht so lange halten können. Auf diesen Punkt hat ja schon Franz Buggle in seinem Buch “Denn sie wissen nicht, was sie glauben” hingewiesen: Die große Stärke und zugleich die große Gefahr der Religionen besteht darin, dass sie Nächstenliebe mit Fernstenhass, Barmherzigkeit mit Grausamkeit, Zuckerbrot mit Peitsche verbinden. Unsere Aufgabe ist es daher, das Unsinnige und Lebensfeindliche, das sich in religiösen wie nichtreligiösen Traditionen ausgebildet hat, vom Sinnvollen und Lebensförderlichen zu trennen. Eben das meint der Begriff der “großen Konversion”, den ich im letzten Kapitel von “Hoffnung Mensch” erläutere.

 

Ist es eigentlich ein Zufall, dass “Hoffnung Mensch” zum 10-Jahresjubiläum der Giordano-Bruno-Stiftung erscheint?

Nein, das war so geplant. Das Buch enthält, wenn man so will, unseren zweiten “10-Jahres-Plan”, tritt also die Nachfolge des “Manifests” an, das die Arbeit der gbs in den ersten Jahren prägte. Wir haben schon längere Zeit darüber nachgedacht, der Stiftung ein etwas anderes Profil zu geben.

Zwar ist es völlig klar, dass wir auch in Zukunft Religionskritik betreiben müssen, aber zum einen haben wir auf diesem Gebiet in den letzten Jahren schon vieles erreicht, was wir nicht noch einmal wiederholen müssen, und zum anderen ist es auch nicht besonders hilfreich, bloß sagen zu können, wogegen man ist, wenn man nicht ebenso deutlich artikulieren kann, wofür man eintritt. Deshalb finden sich in “Hoffnung Mensch” viele positive Aussagen zu unterschiedlichsten Themen, die irgendwann sicherlich auch zu entsprechenden Kampagnen der Stiftung führen werden.

 

Das Themenspektrum des Buchs ist wirklich beeindruckend. Es dürften nur sehr wenige Bücher geschrieben worden sein, die die Erkenntnisse so vieler unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen zusammenführen. Das erklärt sicherlich auch, warum du im Dankeswort von “Hoffnung Mensch” schreibst, dass dich kein Buch je so viel Mühe gekostet habe.

Ja, das Schwierige war allerdings nicht, das ganze Material zusammenzutragen, sondern aus diesem reichhaltigen Material das Wesentliche auszuwählen und in eine ansprechende Form zu bringen. Ich hätte sicherlich weit mehr als tausend Seiten über die vielfältigen Fortschritte der Menschheit in der Wissenschaft, der Technik, Medizin, Kunst, Ethik und Politik schreiben und auch die gegenwärtigen Weltprobleme sehr viel ausführlicher noch analysieren können, aber ein solches Mammutwerk hätte wohl niemand lesen wollen.

 

Ganz am Schluss des Buchs heißt es, die “Zeit der Tortur” sei nun endlich vorbei. Das klingt ziemlich endgültig…

Ist auch so gemeint. Ich werde definitiv kein weiteres Grundlagenbuch mehr zum evolutionären Humanismus schreiben. Mit “Hoffnung Mensch” ist dieses Kapitel für mich abgeschlossen. Es ist in meinen Augen ein perfektes Finale, das den Zyklus genau so abrundet, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen.

 

Würdest du sagen, dass “Hoffnung Mensch” dein bestes Buch ist? Das Buch, das man unbedingt gelesen haben sollte?

“Unbedingt” muss niemand meine Bücher lesen, wäre ja noch schöner! (lacht) Aber es ist schon wahr: Wenn eines meiner Bücher, dann am besten “Hoffnung Mensch”! Es ist das Buch, das die meisten Gedanken zusammenführt und auch am ehesten für sich alleine stehen kann. Das gilt mit leichten Abstrichen wohl auch für “Jenseits von Gut und Böse”. Das “Manifest” und “Keine Macht den Doofen” sind mir zwar ebenfalls lieb und teuer (gerade weil sie streckenweise so unverschämt frech sind), aber sie könnten, wenn man sie losgelöst vom Kontext liest, sehr viel eher missverstanden werden – insbesondere von Leuten, die mit der literarischen Gattung der “Streitschrift” nicht viel anfangen können.

 

Was machst du denn jetzt – abgesehen von der Stiftungsarbeit, die ja weitergehen wird –, wenn du von nun an keine neuen Bücher zum evolutionären Humanismus mehr schreiben willst?

Wahrscheinlich werde ich mich intensiver mit Detailproblemen beschäftigen, etwa der Bioethik oder der Sterbehilfe. Ich habe auch schon ein paar Ideen für Kinderbücher, die interessant sein könnten. Zudem will ich nun endlich einen schon lange geplanten Science-fiction-Roman schreiben.

Selbstverständlich werden auch diese Projekte vom Geist des evolutionären Humanismus getragen sein, aber etwas wirklich Grundlegendes zu diesem Thema wird von mir nicht mehr kommen. Ich habe dazu gesagt, was ich sagen wollte. Alles Weitere wäre bloße Wiederholung und das will ich weder mir noch meinen Leserinnen und Lesern zumuten.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch!

 

Das Interview für den hpd führte Frank Nicolai