Reförmchen der Landesverfassung?

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Dirk Imhof / Fotos: © Evelin Frerk

DÜSSELDORF. (hpd) In NRW steht die Ehrfurcht vor Gott als "vornehmstes Ziel der Erziehung" in der Landesverfassung. Diese will die rot-grüne Landesregierung zwar reformieren - aber genau an der Stelle dann vielleicht doch nicht?! Es lohnt sich, genauer hinzuschauen...

 

Sie wird bald 64 Jahre alt, die Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen. Trotz der 20 Änderungen, die es in dieser Zeit gab, blättert jedoch ihr Putz ab. Eine Verfassungsreform, die dieses Landesgesetz fit für das 21. Jahrhundert macht, gab es bislang nicht.

Dabei wäre eine Reform gerade in NRW dringend geboten. Das wird jedem klar, der die 92 Artikel liest. Man trifft dabei auf Sätze, die schon von ihrer Formulierung her aus der Zeit fallen, die lesbar Patina angesetzt haben. Kann man über einige Begriffe noch schmunzeln, reagiert man auf andere irritiert und ist zuweilen schockiert. So heißt es in  Art. 7 (1): "Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken, ist vornehmstes Ziel der Erziehung."

Noch vor allen anderen Zielen der Erziehung steht in der Landesverfassung eines (nach Art. 4 GG) der weltanschaulichen Neutralität verpflichteten Gliedstaates die Ehrfurcht vor Gott. Laut Brockhaus (von 1896) bedeutet Ehrfurcht: "mit Verehrung einhergehende Furcht, höchster Grad der Ehrerbietung, Gefühl der Hingabe an Dasjenige, was man höher schätzt als sich selbst."

Dieses Ziel ist nicht verhandelbar; durch das kleine Wörtchen "ist" bekommt die Aussage eine zusätzliche Verbindlichkeit im Sinne von "muss". Um die Bedeutung noch weiter zu steigern, schließt sich der Superlativ von "vornehm" an und macht die Ehrfurcht vor Gott damit endgültig zum dem Fixstern landesstaatlicher Erziehung.
Die Formulierung in ihrer ganzen Dimension und Wortgewalt lässt nicht viel Platz für Demokratie und Toleranz.

Auch den Kirchen sollte eine solche Formulierung inzwischen zu weit gehen, von der Furcht vor Gott, zu der die landesstaatliche Erziehung führen soll, ganz zu schweigen.

Der 2. Teil "Von den Grundrechten und der Ordnung des Gemeinschaftslebens" bildet den Kern der Verfassung. In Art. 4 bis Art. 29a wird das eigentliche "Wie" des Zusammenlebens der Einwohner Nordrhein-Westfalens geregelt. Über die Hälfte der Artikel dieses elementaren Teils haben einen kirchlich/religiösen Inhalt. Es werden, neben der Ehrfurcht vor Gott als vornehmstes Erziehungsziel, insbesondere Rechte der Kirchen sowie deren Ansprüche auf staatliche Leistungen geregelt.

Was genau ist nicht mehr zeitgemäß?

Nun hat sich die aktuelle rot-grüne Regierung in Düsseldorf des "Patienten" Landesverfassung angenommen. Im November 2013 hat sich eine aus allen Parteien des Landtages bestehende 19-köpfige Verfassungskommission konstituiert.

Besserung scheint also in Sicht. Zumal Bürgerbeteiligung groß geschrieben wird, die Kommission stets öffentlich tagt und das Potential der "neuen Medien" intensiv nutzen möchte.

Nach einer Pressemitteilung des Landtages gehe es nicht um eine "neue" Landesverfassung, sondern darum, "...diese in wesentlichen Punkten zeitgemäßer zu gestalten..." Weiter liest man in derselben Pressemitteilung: "Konkret wird die Verfassungskommission (...) den dritten Teil der Landesverfassung, der sich mit der Staatsorganisation befasst, systematisch überprüfen (…)".
Das heißt, der inhaltliche Kern, also der 2. Teil, der das Zusammenleben mit seinen Rechten und Pflichten regelt, soll nicht angetastet werden.
Die Verfassung kann aber nicht "…in wesentlichen Punkten zeitgemäßer…" gestaltet werden, wenn lediglich das Ordnungsstatut (also die Formvorschriften) Gegenstand der Überprüfung ist.

Dieser entscheidende Fakt ist aber wenig bekannt. Die Rede ist von "der Verfassungskommission", was in Verbindung mit der Formulierung "in wesentlichen Punkten zeitgemäßer" beim Bürger den Eindruck erweckt, dass die gesamte Verfassung modernisiert werden soll. Selbst bei einigen Medien ist dieser Eindruck entstanden, wie die Berichterstattung anlässlich der konstituierenden Sitzung bereits gezeigt hat.

Dirk Imhof
Düsseldorfer Aufklärungsdienst und HVD Düsseldorf

Der Text basiert auf einem Vortrag von Dirk Imhof auf dem Salon "Gottesstaat NRW. Wie religiös ist unsere Landesverfassung?" des Düsseldorfer Aufklärungsdienstes am 4. März 2014 (s. Grafik).