Der HVD in der Bundeswehr?

heinrichs_thomas.jpg

Dr. Thomas Heinrichs
Dr. Thomas Heinrichs, Foto: © Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Dr. Thomas Heinrichs plädiert dafür, dass der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) Soldaten der Bundeswehr humanistisch beraten sollte. Dafür sollte sich der HVD aber nicht von der Bundeswehr bezahlen lassen.

I Die politische Frage

Die Frage, ob der Humanistische Verband humanistische Soldatenberater als Mitarbeiter der Bundeswehr stellen soll, ist eine politische Frage, denn es geht bei dieser Frage nicht darum, ob man für Soldaten, die einen Bedarf an einer humanistischen Beratung haben, eine solche anbietet, sondern es geht um die Frage, ob Berater des Verbandes sich von der Institution Bundeswehr anstellen lassen. Die zentrale Frage lautet: Wie halten es die Humanisten mit dem Krieg? Wie sieht eine humanistische Friedenspolitik aus?

Wenn man den Einsatz militärischer Mittel und damit den Krieg für ein normales Mittel der Politik hält – wie es inzwischen seit der Regierung Schröder/Fischer die offizielle Position der BRD ist –, welches mit einer humanistischen Weltanschauung, die den Menschen und seine Würde und seine psychische und physische Integrität in das Zentrum stellt, vereinbar ist, dann kann man auch humanistische Soldatenberater von der Bundeswehr als Mitarbeiter anstellen lassen.

Wenn man den Einsatz militärischer Mittel und damit den Krieg nicht für ein Mittel der Politik hält, welches, von extremen Ausnahmesituationen abgesehen, mit einer humanistischen Weltanschauung vereinbar ist, dann kann man keine humanistischen Soldatenberater von der Bundeswehr als Mitarbeiter anstellen lassen.

Ich gehe davon aus, dass es mit einer humanistischen Weltanschauung unvereinbar ist, den Einsatz des Militärs und damit den Krieg für ein normales Mittel der Politik zu halten. Damit ist klar, dass auch Soldatenberater als Mitarbeiter der Bundeswehr keine Handlungsoption für einen humanistischen Verband sind.

I.a Wie halten es die Humanisten mit dem Krieg?

Der Humanistische Verband hat sich in dem von ihm verfassten, humanistischen Selbstverständnis auch zur Frage des Kriegs positioniert. Unter Nummer 9 der praktischen Orientierungen heißt es: “Krieg, Produktion von Massenvernichtungsmitteln und Handel mit Kriegsmaterial sind inhuman bzw. immer ein Ergebnis inhumaner Verhältnisse und Verhaltensweisen. Humanistinnen und Humanisten setzen sich weltweit dafür ein, auf allen gesellschaftlichen Ebenen friedliche Konfliktlösungen zu finden. Die Verwirklichung einer menschlichen Gesellschaft setzt eine Politik voraus, die den Frieden sichert. Humanistinnen und Humanisten unterstützen aktiv eine Politik, welche jede Kriegswaffenproduktion beendet, Abrüstung verwirklicht und einen dauerhaften Frieden zwischen den Völkern der Welt schafft. Der Humanistische Verband Deutschlands unterstützt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung und fordert zugleich das Recht ein, konfessionsfreie Soldaten in Lebensfragen zu beraten.”

Damit formuliert der Verband, auch unter Rückbezug auf die Weltkriegskatastrophen des 20. Jh’s, eine klar antimilitaristische Politik. Wenn man unter Pazifismus die Ablehnung bewaffneter Konfliktlösungen versteht, ist auch der Humanismus ein Pazifismus (Vgl. Horst Groschopp, Humanismus und Pazifismus. Facetten einer Kontinuität, in: fowid textarchiv 2007). Mit dieser Position ist die Stellung von Verbandsfunktionären als angestellte Mitarbeiter der Bundeswehr nicht vereinbar.

Den Ausführungen im humanistischen Selbstverständnis zur Beratung von Soldaten liegt aber ein Missverständnis zugrunde. Es ist nicht erkannt worden, dass der Verband bereits das Recht hat, Soldaten zu beraten, die sich seiner humanistischen Weltanschauung verbunden fühlen. Art. 140 GG i.V.m. Art. 141 WRV gewährt Funktionären von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften das Recht, Einrichtungen der Armee jederzeit und überall zu betreten, um ihre Mitglieder zu betreuen (s.u.). Daraus ergibt sich, dass humanistische Berater schon immer jederzeit Soldaten in und außerhalb militärischer Einrichtungen beraten konnten und können, sofern ein humanistisch orientierter Soldat eine solche Beratung wünscht. Es geht also nicht um die Frage, will, kann, darf der HVD Soldaten beraten – eindeutig kann und darf er das –, sondern es geht nur um die Frage, lässt der HVD seine humanistischen Berater von der Bundeswehr anstellen und sich damit von der Bundeswehr für die Beratung ihrer Soldaten bezahlen.

Zu der Frage, ob der HVD in die Bundeswehr gehen soll, gibt es einen alten, noch vor dem Umbau der Bundeswehr in eine Einsatzarmee getroffenen Beschluss, der schon damals sehr umstritten war. Unabhängig von diesem Beschluss gibt es in großen Teilen des Verbandes noch immer kein Verständnis dafür, dass Teile der Verbandsleitung mit humanistischen Beratern in die Bundeswehr gehen wollen. Es erscheint daher wesentlich sinnvoller, über diesen Beschluss zu reden und darüber, ob man unter den inzwischen veränderten Bedingungen weiter daran festhalten kann.

Wie sieht heute eine humanistische Friedenspolitik aus und kann der Einsatz der Bundeswehr ein Mittel einer solchen humanistischen Friedenspolitik sein?

Eine humanistische Friedenspolitik beginnt im Inneren mit einer humanistischen Erziehung. Sie müsste im Äußeren darauf hinarbeiten, Konflikte, die ein Kriegspotential entwickeln können, zu verhindern und dafür die Ursachen von Konflikten bekämpfen. Da Kriege immer nur aus ökonomischen Gründen geführt werden, fängt eine humanistische Friedenspolitik mit einer humanistischen Entwicklungspolitik an, die die bestehenden ökonomischen Differenzen auszugleichen sucht und allen Staaten und Völkern die gleichen Chancen eines Lebens in einem angemessenen Wohlstand gewährt.[1] Hierzu gehört heute auch eine ökologische Politik, die die natürlichen Grundlagen des Lebens überall auf dem Globus zu bewahren sucht.[2] Eine humanistische Friedenspolitik muss Mechanismen der friedlichen Konfliktbeilegung fördern. Sie muss sich für Abrüstung und das Ende der Waffenproduktion einsetzen. Großmachtpolitik und die Durchsetzung politischer/ökonomischer Interessen mit militärischen Mitteln müssen geächtet werden, und in Krisensituationen müssen diplomatische Mittel tatsächlich ausgeschöpft werden.

“Es ist eine gefährliche Illusion, mit Militär dort humanitär helfen zu können, wo Menschen systematisch die Lebensgrundlagen entzogen werden, wo sie ihrer fundamentalen Rechte beraubt werden, wo sie ausgebeutet, aus religiösen, ethnischen oder sozialen Gründen diskriminiert oder politisch verfolgt werden. Alle diese Probleme und Bedrohungen haben ihre Wurzeln und Ursachen in gesellschaftlichen Verhältnissen, sind also im weitesten Sinne ›zivilen‹ Ursprungs. Sie können demnach auch nur mit zivilen, nicht-militärischen Mitteln bearbeitet werden. Jede Prävention, jede Form ziviler Konfliktbearbeitung, jeder Einsatz politischer, ökonomischer, soziale und kultureller Mittel ist besser und nachhaltiger als eine militärische Symptombehandlung.”[3].

Wenn man keine radikal pazifistische Position vertritt, ist die Frage, unter welchen besonderen Umständen militärische Mittel zu politischen Zwecken eingesetzt werden könnten, im Einzelfall schwierig zu entscheiden. Ich bin der Auffassung, dass es mit einer humanistischen Weltanschauung vereinbar ist, in begründeten Ausnahmefällen, wenn eine auch eine konsequente humanistische Friedenspolitik nicht zum Erfolg geführt hat, zum Schutz von Menschenleben auch mit militärischen Mitteln einzugreifen, sofern im Einzelfall realistische Erfolgsaussichten für einen solchen Einsatz gegeben sind. Hier wären Kriterien zu entwickeln, anhand derer eine solche Entscheidung begründet werden kann und anhand derer sie nachvollziehbar wird. Ich verweise zu diesem Problemfeld auf die zwei Aufsätze von Frieder Otto Wolf, die dieser zum Libyenkonflikt geschrieben hat (“Fall Libyen” in: humanismus aktuell, Online-Ausgabe Berlin 2011, 2. [14.] Jg., H. 1, sowie dersb., “Retraktationen zu Libyen”, in: humanismus aktuell, Online-Ausgabe Berlin 2011, 2. [14.] Jg., H. 2.). Grundsätzlich ist dabei immer zu bedenken, dass militärische Interventionen ein hohes Risiko in sich tragen– “Nachkriegsgesellschaften sind hochgradig kriegsträchtig”[4] – und das Einsätze in fremden Ländern kulturell und politisch sehr problematisch sind und schon daher häufig mehr schaden als nutzen.

Von einer humanistischen Friedenspolitik und von einem Konzept nachvollziehbar begründeter humanitärer Einsätze in Ausnahmefällen sind die Bundesrepublik und die westlichen Industriestaaten überhaupt weit entfernt. Selbst wenn man zu einer Klärung der Frage käme, unter welchen besonderen Voraussetzungen militärische Mittel eingesetzt werden könnten, wäre eine solche Debatte in Bezug auf die Bundeswehr rein hypothetisch.

Seit dem Ende der Abschwächung des Ost-West-Konflikts, seit dem Ende der bipolaren Konfrontation zwischen “Westen” und “Osten” und speziell auf Deutschland bezogen, seit der Vereinigung von BRD und DDR ist die Außenpolitik der westlichen Staaten und der BRD zunehmend militarisiert worden.[5] Kriege und Bürgerkriege werden seit dem in erweitertem Umfang als Mittel der Politik genutzt. Krieg wurde und wird seit Jahrtausenden nie aus humanitären Zwecken geführt, und es ist nicht abzusehen, dass sich daran auch nur in den nächsten Jahrzehnten etwas ändern wird. Kriege werden immer nur wegen Macht und Geld geführt. Es geht um geostrategische Interessen, Macht-, Einflusssphären, ökonomische Interessen, Rohstoffe, Absatzmärkte usw. Wie Egon Bahr bei einem Besuch einer Schule 2013 zutreffend gesagt hat: “In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten.”[6] Der Krieg war und ist ein Produktionsmittel.

Es wird in den USA, der derzeit international hauptkriegstreibenden Kraft, offen gesagt, dass Kriege geführt werden, um “freien Zugang zu den Auslandsmärkten und zu ‘den notwendigen Ressourcen für die Bedürfnisse unserer Industrie’” zu gewährleisten.[7] Auch die »verteidigungspolitischen Richtlinien« der Bundeswehr sehen dies seit 1992 so vor.[8]

Dies ist eine geradezu irrsinnige Forderung, da sie willkürlich die dauerhafte Besserstellung der Industrienation USA und der anderen westlichen Industrienationen gegenüber allen anderen Ländern fordert und militärische Mittel zu deren Erhaltung für gerechtfertigt erklärt. Es ist daher auch völlig verständlich, dass sich die USA nicht an das Völkerrecht gebunden sehen,[9] weil solche Kriege völkerrechtswidrig sind.

Die von den USA in letzter Zeit geführten Kriege und Militäreinsätze in Grenada, Panama, Nicaragua, Sudan, Afghanistan, Irak, Ex-Jugoslawien und Libyen war entweder völkerrechtswidrig oder völkerrechtlich sehr bedenklich. Es lag entweder schon kein UN-Mandat vor (Grenada, Panama, Nicaragua, Sudan, Afghanistan, Irak, Ex-Jugoslawien ),[10] bestehende Mandate wurden überschritten (Libyen)[11] oder der UN-Sicherheitsrat wurde von seinen führenden Mitgliedern manipuliert (Libyen, Tschad, Libanon). Der UN-Sicherheitsrat hat sich “inzwischen zu einer Art Selbstbedienungsinstitution für Mandatsvergabe entwickelt.”[12]

Die USA beriefen sich für ihre Kriege weitgehend auf das Argument des völkerrechtlich verbotenen Präventivkriegs und rechtfertigten die Kriegseinsätze mit der angesichts der geostrategischen Situation und der politischen, industriellen und militärischen Kräfteverhältnisse völlig absurden Behauptung, einem militärischen Angriff auf die USA zuvorkommen zu müssen.[13] Auch die Förderung von Bürgerkriegen zur Destabilisierung bestimmter Staaten und Regionen, wie im Kosovo, Syrien und jetzt in der Ukraine, gehören ebenso wie der völkerrechtswidrige Einsatz von Drohnen[14] und die Einrichtung von Foltergefängnissen außerhalb der USA – nicht nur in Guantanamo – zu dieser neu militarisierten Außenpolitik der USA.

Selbstverständlich führen nicht nur die USA Kriege, aber für unsere Frage, ob der Einsatz der Bundeswehr ein Mittel einer humanistischen Friedenspolitik sein kann, sind nur die Kriege der USA von Belang. Die Bundeswehr führt alleine keine Kriege. Sämtliche Kriegseinsätze der Bundeswehr, die seit 1990 stattgefunden haben, sind nur im Rahmen von militärischen Aktionen unter Leitung oder doch wesentlicher Beteiligung der USA erfolgt oder im Rahmen der Nato; neuerdings nehmen allerdings die Versuche zu, dass die EU alleine militärische Interventionen unternimmt.

Die Bundeswehr ist seit 1990 von einer auf Landesverteidigung orientierten Armee, für die ein Einsatz außerhalb des Verteidigungsfalles nicht denkbar und auch grundgesetzlich verboten war (vgl. Art 24, 26 und 87a GG), Schritt für Schritt zu einer Interventionsarmee umgebaut worden, die zur Durchsetzung ökonomischer und politischer Interessen der BRD weltweit eingesetzt wird.[15] Dieser Umbau ist unter dem Schlagwort der “Normalisierung” betrieben worden, so als sei Krieg etwas völlig Normales, was jeder anständige Staat führen müsse, und als sei die BRD, die nach dem Zweiten Weltkrieg und der Teilung Deutschlands politisch nicht mehr die Option hatte, außerhalb ihres eigenen Hoheitsgebietes Krieg führen zu können, damit in ihrer staatlichen Souveränität inakzeptabel beschränkt gewesen. Dem liegt eine absolut inhumane und wahnsinnige Vorstellung von staatlicher Souveränität zugrunde. Staatliche Souveränität bedeutet dann, Menschen anderer Staaten und Völker beliebig ermorden zu dürfen, wenn es den eigenen Interessen dient.

Mit dem Normalitätsbegriff korrespondierte in diesem Militarisierungsdiskurs ein Begriff der “Verantwortung”, so als sei Deutschland auch dazu verpflichtet, in anderen Staaten zu morden.

Die deutsche Armee wird nicht mehr zur Verteidigung, sondern zur “Krisenbewältigung” eingesetzt. Ziel militärischer Einsätze im Ausland ist es, Rohstoffinteressen und Handelswege weltweit zu sichern. Dies hat der Bundespräsident Köhler 2010 explizit so geäußert. Die deutsche “Sicherheit” wird nach den verteidigungspolitischen Richtlinien von 2003 überall in der Welt “verteidigt”. Humanitäre Rechtfertigungsversuche, die am Anfang zur Gewöhnung der Öffentlichkeit an diese neue Lage von der Politik propagiert wurden, spart man sich inzwischen. Damit ist die deutsche Außenpolitik einer Militarisierung unterworfen worden.[16] Die 34 Militäreinsätze, an denen sich die Bundeswehr zwischen 1990 und 2010 beteiligt hat, haben in keinem Fall zu einer Verbesserung der humanitären Lage vor Ort geführt, zumeist hat sich die Lage verschlechtert.[17] Die Einsätze wurden daher offensichtlich auch nicht aus humanitären Gründen, sondern aus eigenen politischen Interessen der deutschen Politik durchgeführt.

Allerdings ist durch die Umstellung der Bundeswehr von einer Wehrpflichtigen-Armee zu Verteidigungszwecken zu einer Freiwilligen-Armee zu Interventionszwecken nicht nur eine Militarisierung der deutschen Außenpolitik erfolgt. Auch im Inneren findet mit der Normalisierung des Militärs als Mittel der Politik eine schleichende Militarisierung statt. Dies ist zwangsläufig so. Die Bundeswehr muss sich als “normaler” Arbeitgeber darstellen, um ausreichend Freiwillige zu rekrutieren.

Werbemaßnahmen der Bundeswehr in Schulen und Hochschulen sind inzwischen selbstverständlich. Die Bundeswehr kooperiert bereits mit der Stiftung “Bildung für Thüringen” im Bereich der frühkindlichen Erziehung zu sicherheitspolitischen Fragen. Die “Jugendoffiziere” erreichten 2012 in Schulen, bei Truppenbesuchen, jugendrelevanten Messen und Events 140.000 Schülerinnen und Schüler, mit steigender Tendenz. Die Karriereberater sprachen mit 254.000 Schülerinnen und Schülern. Im vergangenen Jahr gab die Bundeswehr für Personalwerbung über 20 Millionen Euro aus. Auch die militärische Forschung an den Hochschulen nimmt zu.[18] Die Politik fördert mit allen Mitteln diese Normalisierung des Krieges. Die Bevölkerung soll an den Einsatz des Militärs als Mittel der Politik gewöhnt, ihre derzeit noch ganz überwiegend bestehende ablehnende Haltung überwunden werden. Die Beteiligung des humanistischen Verbandes an der Bundeswehr wäre ein weiterer Schritt zu einer solchen Normalisierung von Militär und Krieg und stünde damit in klarem Gegensatz zu seinen humanistischen Prinzipien.

I.b Humanistische Hilfe für Soldaten

Wer wie ich dagegen ist, humanistische Soldatenberater als Angestellte der Bundeswehr zu stellen, will nicht Berufssoldaten, die sich freiwillig zur Bundeswehr verpflichtet haben, mit ihren Problemen alleine lassen. Selbstverständlich sollte der Verband für solche Soldaten eine humanistische Beratungsoption anbieten, die wie jede humanistische Beratung nicht inhaltlich unbestimmt sein kann, sondern humanistischen Zielen verpflichtet sein muss und daher nicht darauf abzielen kann, den Soldaten für seinen Beruf des Tötens und Getötet-Werdens fit zu machen, sondern darauf abzielen muss, ihm eine Ausstiegsoption zu eröffnen. Wenn der Soldat diese Option nutzen will, muss es Aufgabe des Beraters sein, ihn dabei zu unterstützen.

Eine solche Beratung ist praktikabel. Sofern es überhaupt einen Bedarf gib könnte sowohl außerhalb der Bundeswehr wie auch in den Einrichtungen der Bundeswehr ein für die Soldaten wahrnehmbares und leicht erreichbares Angebot gemacht werden.

Außerhalb der Bundeswehr könnte der Verband ein entsprechendes Angebot im Internet machen, wo auf einer Webseite das Beratungsprogramm vorgestellt werden könnte und sowohl eine Online-Beratung wie auch nach Absprache eine persönliche Beratung angeboten würde.

Der Verband könnte, sofern ein relevanter Bedarf besteht, zudem verlangen, dass in den Einrichtungen der Bundeswehr eine regelmäßige Sprechstunde durchgeführt wird, die in einen bestimmten Raum und zu feststehenden Sprechzeiten stattfinden würde. Bei Bedarf müsste die Bundeswehr auch auf ihre Kosten humanistischen Beratern den persönlichen Kontakt mit Soldaten im “Auslandseinsatz” ermöglichen. Eine Zusammenarbeit mit der Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerung, der ökumenischen Initiative zur Abschaffung der Militärseelsorge und ähnlichen Organisationen wäre sinnvoll und leicht herzustellen.

Was man allerdings für eine solche Tätigkeit nicht bekommt, ist Geld. Eine staatliche Förderung für den Aufbau einer unabhängigen humanistischen Soldatenberatung, die im wesentlichen darauf abzielt, den Soldaten eine humanistische Weltanschauung zu vermitteln, die Krieg als Mittel der Politik ablehnt, wird man nicht bekommen.

Es ist dem HVD nicht gelungen, ein klares und auf dem Markt der Lebensberatung erfolgreiches Profil einer humanistischen Beratung zu entwickeln. Ich halte es für die Außendarstellung eines humanistischen Verbandes für verheerend, wenn die von ihm angebotene humanistische Beratung statt dessen unmittelbar und nur mit dem Militär assoziiert wird.

Es ist die traditionelle Aufgabe des Militärseelsorgers, den Soldaten für seinen Beruf des Tötens und Getötet-Werdens fit zu machen. Die christlichen Kirchen, die schon immer die eigenen Kanonen gesegnet haben, üben diese Tätigkeit mit großer Hingabe an den Dienst aus, schließlich ist der Krieg “eine von Gott gesetzte Ordnung”.[19] Die Humanisten sollten ihnen hier keine Konkurrenz machen.

I.c Die rechtliche Stellung des Soldaten und des Militärseelsorgers/humanistischen Soldatenberaters

Was wollen wir der HVD in der Armee? Worum geht es inhaltlich? Was sollen die Ziele einer humanistischen Soldatenberatung sein?

Wenn man die obige Auffassung vertritt, dass, außer von extremen Ausnahmefällen abgesehen, Krieg als Mittel der Politik mit einer humanistischen Weltanschauung unvereinbar ist und dass es bei den derzeitigen politischen Verhältnissen keine Perspektive gibt, dass militärische Mittel tatsächlich aus humanitären Gründen eingesetzt würden, dann wäre es die Aufgabe des humanistische Soldatenberaters, die Soldaten zur Verweigerung des Kriegsdienstes und damit zum Ausstieg aus der Bundeswehr zu bewegen. Ein von der Bundeswehr angestellter humanistischer Berater, der Soldaten generell mit dem Ziel berät, aus der Armee auszusteigen, würde sich jedoch strafbar machen. Die Vorstellung, humanistische Soldatenberater könnten in der Bundeswehr eine humanistische, antimilitaristische Weltanschauung vertreten, ist bestenfalls als politisch naiv zu bezeichnen, schlimmstenfalls ist es geheuchelt und der untaugliche Versuch, sich um die eigene, positive Stellungnahme zum Krieg als Mittel der Politik zu drücken.

Selbstverständlich erwartet die Bundeswehr von ihren Militärseelsorgern eine grundsätzlich positive Einstellung zum “Dienst an der Waffe”. Sie würde dies ebenso und aus ihrer Perspektive auch völlig zu Recht von humanistischen Soldatenberatern erwarten, nicht zuletzt, weil sie diese Leute bezahlt. Jedem Militärseelsorger und auch jedem potentiellen humanistischen Soldatenberater wäre dies völlig klar. Ohne dass dies extra thematisiert werden müsste, wüsste man, dass man nicht nur für den einzelnen Soldaten, sondern auch für die Armee als ganze im “Einsatz” ist.

Um es auf den Punkt zu bringen: Wer sich von der Bundeswehr bezahlen lässt, lässt sich von ihr kaufen. Er kann seine humanistische Weltanschauung nicht mehr frei vertreten, sondern muss innerhalb des vorgegebenen Auftrags der Bundeswehr handeln. Tut er das nicht, sondern handelt er nach humanistischen Prinzipien, so würde er sich, abgesehen davon, dass er sofort entlassen würde, sehr wahrscheinlich auch strafbar machen.

Ralf Schöppner hat in “diesseits” geschrieben, es gehe darum, die Soldaten dafür zu schulen, dass “sie […] selbst verantworten, ob wirklich alle Möglichkeiten gewaltfreier Konfliktlösung ausgeschöpft wurden”.[20] Die Schulung von Soldaten mit diesem Ziel ist strafbar.

Auch eine Beratung oder Schulung der Soldaten mit dem Ziel, dass diese lernen sollen, selber zu entscheiden, “wann angesichts der Wahl zwischen zwei Übeln dasjenige der unterlassenen Hilfeleistung das Schlimmere ist gegenüber der gewalttätigen Aktion” (ebd.) wäre strafbar.

Soldaten sind Befehlsempfänger: “Der Soldat muss seinem Vorgesetzten gehorchen” § 11 SoldatenG. Verweigert der Soldat den Gehorsam, so macht er sich nach § 19, 20 WehrStrG strafbar. Dabei reicht es für die Strafbarkeit schon aus, wenn der Soldat sich mit Worten gegen den Befehl auflehnt – also mit seinem Vorgesetzten darüber diskutiert – oder wenn er den Befehl nach einmaliger Wiederholung immer noch nicht befolgt (§ 20 WehrStrG Gehorsamsverweigerung). Wie man an diesen Normen sieht, ist die Bundeswehr keine Männergruppe, in der Probleme diskutiert werden, sondern selbstverständlich für eine Armee hat der Soldat den Mund zu halten und zu gehorchen!

Weiterhin ist als Meuterei strafbar, wenn der Soldat sich mit anderen zusammentut, um den Gehorsam zu verweigern (§ 27 WehrStrG), also genau das tun würde, was Ralf Schöppner als Ziel des humanistischen Lebenskundeunterrichts in der Bundeswehr definiert hat, nämlich mit seinen “Kameraden” darüber zu diskutieren, ob denn alle nichtmilitärischen Mittel ausgeschöpft seien und der Befehl, Waffen einzusetzen, daher jetzt gerechtfertigt sei.

Für einen “reflektierenden Soldaten” ist hier kein Raum.

Wie sieht es mit der rechtlichen Position des humanistischen Soldatenberaters aus? Der humanistische Soldatenberater würde in der Bundeswehr grundsätzlich das Gleiche tun, wie die Militärseelsorger, er wäre, wie dies Horst Groschopp schon 2007 formuliert hat, ein “atheistischer Politoffizier”.[21] Die Militärseelsorger sind Bundesbeamte und nicht Kirchenbeamte. Sie haben jedoch rechtlich eine Sonderstellung; sie unterstehen in kirchlichen Angelegenheiten dem Militärbischof, der nicht Bundesbeamter ist, und in “Dienstangelegenheiten” der Dienstaufsicht des Militärdekans, der selber wiederum in staatlichen Angelegenheiten dem Bundesminister der Verteidigung untersteht.

Nach § 36 Soldatengesetz hat der Soldat Anspruch auf Seelsorge. Wenn der humanistische Soldatenberater entsprechend den Militärseelsorgern in der Bundeswehr beschäftigt wäre, würde er in der Regel Beamter sein. Die Bundeswehr legt auf diesen Beamtenstatus auch Wert, weil der Militärseelsorger oder humanistische Berater als Beamter Dienstpflichten hat, die ihn stärker disziplinarisch einbinden, als dies bei einem Angestellten der Fall wäre. Der Soldatenberater hätte primär die Aufgabe, seelsorgerisch tätig zu sein, also Soldaten, die sich der humanistischen Weltanschauung zugehörig fühlen, bei psychischen Problemen, Sinnkrisen und anderen Lebensproblemen zu beraten.

Wenn unser Berater den Soldaten im Sinne einer humanistischen Weltanschauung beraten würde und ihm klar machen würde, dass das, was er als Soldat macht, mit einer solchen Weltanschauung nicht vereinbar ist, dann geht er ein erhebliches Risiko ein, dass er sich der Anstiftung oder Beihilfe zur Befehls- oder Gehorsamsverweigerung strafbar macht.

Zwar kann sich der humanistische Soldatenberater ebenso wie ein Militärseelsorger in einem gewissen Umfang auf sein Weltanschauungsprivileg und seine Gewissensfreiheit berufen, so dass es im Einzelfall durchaus möglich ist, einem Soldaten, bei dem auch ein vom Militär grundsätzlich überzeugter Militärseelsorger den Eindruck hat, er sei für die Tätigkeit als Soldat generell nicht geeignet, zu raten, den “Dienst” zu quittieren und notfalls auch zu verweigern. Täte er dies jedoch als Beamter oder Angestellter der Bundeswehr systematisch, so wäre dies nicht mehr durch sein Weltanschauungsprivileg gedeckt. Jemand, der eine solche Position vertritt, kann nicht Angestellter oder Beamter der Bundeswehr sein.

Verletzt der Militärseelsorger seine dienstlichen Pflichten, so kann er jederzeit durch Einleitung eines Disziplinarverfahrens entlassen werden. Würde er systematisch Soldaten dahingehend beraten, die Arbeit bei der Armee zu beenden, so würde er gegen seine Beamtenpflichten verstoßen und damit ein Dienstvergehen begehen, welches mit Sicherheit zur Eröffnung eines Disziplinarverfahrens und zur Entfernung aus dem Dienst führen würde. Die Situation wäre für einen auf Honorarbasis oder in einem Angestelltenverhältnis beschäftigten humanistischen Soldatenberater nicht anders.

I.d Der sogenannte “lebenskundliche Unterricht”

Neben seiner individuellen Beratungstätigkeit würde der humanistische Soldatenberater, wenn er denn genau so eingesetzt würde wie die Militärseelsorger, den sogenannten “lebenskundlichen Unterricht” erteilen.

Während die Aufgabe der weltanschaulichen Beratung von Mitgliedern seiner Konfession eine genuin weltanschauliche Aufgabe ist, auf die ein humanistisch orientierter Soldat einen Anspruch hat, ist der “lebenskundliche Unterricht”, nach der erneuerten Dienstvorschrift dazu, keine irgendwie geartete seelsorgerische Tätigkeit, sondern ein allgemeiner politisch- moralischer Bildungsunterricht (Abs. 104, 105 ZDv 10/4), der nur in der Regel von Pfarrern unterrichtet wird und ausnahmsweise von anderen, dafür qualifizierten und die Gewähr der Qualität bietenden Lehrkräften (Abs. 104 Fußnote ZDv 10/4).

Der humanistische Soldatenberater darf also seine spezielle humanistische Weltanschauung in diesen Unterricht gar nicht einbringen, sondern muss sich an den Zielen, die die Bundeswehr vorgibt, orientieren. Der humanistische Soldatenberater als Lehrer des lebenskundlichen Unterrichts untersteht der Dienstaufsicht und kann sich nicht auf das Privileg seiner Weltanschauungsfreiheit berufen. Wenn man sich die Themenhefte, die das Amt für katholische Militärseelsorge herausgibt,[22] – und den entsprechenden Themenkatalog bei der evangelischen Militärseelsorge[23] – ansieht, so kann man erkennen, dass der Unterricht zum einen eine Art Sozialkunde ist und zum anderen eine Art Gruppentherapie. Informative Einheiten z.B. zum Islam, zur Demokratie und zur Menschenwürde wechseln mit Themen wie Schuld, Partnerschaft und ähnlichen, die Soldaten persönlich betreffenden Problemen.

Was ist das Ziel dieses Unterrichts nach der neuen Dienstvorschrift? Er soll die Entwicklung einer berufsethischen Kompetenz fördern, also die Ausbildung einer speziellen Soldatenethik. Er soll dem soldatischen Tun einen “Sinn” (Abs. 106 ZDv) vermitteln und das “Pflichtbewußtsein” der Soldaten (Abs. 108 ZDv) stärken. Er soll die staatliche Gemeinschaft in den Vordergrund stellen und den Soldaten klar machen, dass diese zu verteidigen ist.

Mit dem Umbau des lebenskundlichen Unterrichts und mit der reformierten Dienstvorschrift reagiert die Bundeswehr auf die neuen Anforderungen, die an sie als Einsatzarmee gestellt werden. Hier ergeben sich zwei Probleme. Zum einen sollen sich die Soldaten im Einsatz in fremden, besetzten Ländern angemessen verhalten. Es ist den Einsatzzielen nicht förderlich, wenn christliche Soldaten in islamischen Ländern Koranverbrennungen vornehmen[24] oder mit auf verlassenen Friedhöfen vorgefundenen Totenschädeln Fußball spielen.[25] Ein gewisser Respekt vor der Kultur der unterworfenen Bevölkerung wird erwartet. Dies soll der lebenskundliche Unterricht den Soldaten beibringen. Andererseits aber wird auch die Überlegenheit des westlichen Wertesystems und damit eine Sinnstiftung für die Auslandseinsätze vermittelt. Es gelte dieses Wertesystem zu schützen. Zum anderen leiden immer mehr deutsche Soldaten, die im Auslandseinsatz waren, danach an posttraumatischen Belastungsstörungen.[26] Daher ist eine bessere, psychisch stabilisierende Vorbereitung von Bedeutung. Der neu gefasste lebenskundliche Unterricht gehört zu diesem Vorbereitungsprogramm.

Für den »reflektierenden Soldaten« oder gar eine humanistische Friedenspolitik ist hier nirgendwo Platz. Es ist daher aus humanistischer Perspektive inakzeptabel, nur weil der Humanistische Verband im Rahmen der schulischen Lebenskunde über Erfahrung in einem Werteunterricht verfügt, sich als Anbieter eines militärischen Ausbildungsunterrichtes bei der Bundeswehr anzupreisen. Es kann nicht Aufgabe von Humanisten sein, Soldaten für ihr mörderisches Handwerk zu schulen.

II Die juristische Frage

II.a Das heutige System der Militärseelsorge verstößt gegen den Trennungsgrundsatz und ist verfassungswidrig.

Das Grundgesetz postuliert über die in es aufgenommenen Artikel der WRV eine klare institutionelle und organisatorische Trennung von Staat und Kirche (Art. 140 i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV). Ausnahmen von diesem Trennungsprinzip müssen daher grundgesetzlich festgelegt sein. Nur sofern es im Grundgesetz selber speziellere Regelungen zum Verhältnis von Staat und Kirche gibt, gehen diese dem allgemeinen Trennungsgrundsatz vor und sind, wie z.B. der in Art. 7 Abs. 3 GG geregelte Religionsunterricht, zulässig. Eine im Grundgesetz nicht geregelte, institutionelle Kooperation von Staat und Kirche ist dagegen verfassungswidrig.

Im Grundgesetz wird die Militär- und Anstaltsseelsorge in Art. 140 GG i.V.m. Art. 141 WRV garantiert. Art. 141 WRV lautet in der jetzt noch im GG geltenden Fassung: “Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist.”

Da nach Art. 140 GG i.V.m. 137 Abs. 7 WRV die Weltanschauungsvereinigungen den Religionsgesellschaften gleichgestellt sind, haben auch erstere das Recht, in der Armee zur Betreuung ihrer Mitglieder zugelassen zu werden.

Nach Art. 141 WRV trifft den Staat die Pflicht, den Funktionsträgern der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften Zutritt zu gewähren, soweit Einzelne oder Gruppen einen Bedarf nach Betreuung durch diese haben. Die Armee muss dabei auch die Möglichkeit garantieren, dass kultische Handlungen ungestört durchgeführt werden können. Sobald daher ein Soldat einen Bedarf nach jedweder Form von Betreuung durch einen Funktionsträger seiner Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft hat, ist diesem Zugang zu dem Soldaten zu gewähren – egal, wo dieser sich befindet –, und es ist ihm die Möglichkeit zu geben, den Soldaten religiös oder weltanschaulich zu betreuen.

Eine weitergehende Pflicht des Staates oder weitergehende Rechte der Religions-/Weltanschauungsgemeinschaften statuiert das Grundgesetz nicht. Das in Deutschland bestehende und erheblich weitergehende System der Militärseelsorge verstößt daher gegen den Trennungsgrundsatz und ist verfassungswidrig.[27]

Sofern in letzter Zeit in den Standardkommentaren zum Grundgesetz die Kommentierungen zu Art. 140 GG i.V.m. 141 WRV durch neue Bearbeiter erfolgt sind, halten diese durchgängig das derzeitige System der Militärseelsorge für verfassungswidrig, da es dem Grundprinzip des säkularen Staates, der klaren, institutionellen Trennung von Staat und Kirche, widerspricht: so Korioth in Maunz/Düring, Art. 140/141 WRV, RNr. 3, 14ff, Mager in Münch/Kunig Art. 140, RNr. 96 mit weiteren Nachweisen in Fußnote 347, Ehlers in Sachs, Art. 140/141 WRV RNr. 6f, Morlok in Dreier Art. 141 WRV RNr. 16.[28]

II.b Der “lebenskundliche Unterricht” in der Bundeswehr verstößt gegen den Trennungsgrundsatz und ist verfassungswidrig.

Neben der kultischen Betreuung ihrer Mitglieder erteilen die Militärgeistlichen den bereits erwähnten sogenannten “lebenskundlichen Unterricht”. Eine verfassungsrechtliche Grundlage dafür gibt es jedoch nicht. Es existiert noch nicht einmal eine einfachgesetzliche Grundlage. Der Unterricht erfolgt nur aufgrund eines ministeriellen Erlasses, der bereits erwähnten zentralen Dienstvorschrift ZDv 10/4.

Diese Institution ist eindeutig verfassungswidrig.[29] Auch hier wird das im Grundgesetz bestehende Verbot einer institutionellen Verknüpfung von Kirche und Staat durchbrochen, ohne dass es hierfür eine verfassungsrechtliche Grundlage, wie z.B. für den schulischen Religionsunterricht, gäbe.

II.c Juristische Schlussfolgerung

Der HVD strebt zu Recht in vieler Hinsicht eine Gleichstellung mit den Kirchen an. Eine Gleichstellung im Hinblick auf eine verfassungswidrige Kooperation anzustreben, muss jedoch generell abgelehnt werden. In einem solchen Fall ist die Gleichstellung nicht dadurch zu erreichen, dass sich der HVD an verfassungswidrigen Institutionen beteiligt, sondern dadurch, dass diese verfassungswidrige Institution abgeschafft und den Kirchen das verfassungswidrige Privileg einer staatlich institutionalisierten und finanzierten Militärseelsorge entzogen wird.

Es kann nicht Ziel des Verbandes sein, ein verfassungswidriges Kooperationsverhältnis dadurch zu stärken, dass auch Weltanschauungsgemeinschaften nunmehr an einem solchen Verfassungsverstoß teilnehmen. Vielmehr muss es Aufgabe des humanistischen Verbandes sein, dafür zu sorgen, dass der Verfassungsverstoß aufgehoben wird und im Hinblick auf die Stellung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften im Militär verfassungsgemäße Verhältnisse geschaffen werden. Dadurch könnte sich der Verband positiv gegenüber den Kirchen profilieren, anstatt beim Kirchen-Staats-Klüngel unkritisch mitmischen zu wollen.

 

(Der Aufsatz ist die leicht überarbeitete und gekürzte schriftliche Fassung eines auf der Tagung der Humanistischen Akademie Deutschlands »Der reflektierende Soldat« am 18./19. Oktober 2013 gehaltenen Vortrages. Die vollständige Fassung erscheint voraussichtlich noch dieses Jahr in einem die Tagung dokumentierenden Sammelband im Alibri Verlag.)


  1. Derzeit geben die Natomitglieder zusammen eine Billion Dollar für den Militärsektor aus. Deutschland gibt 33 Milliarden unmittelbar für das Militär aus. Hierzu kommen weitere, mittelbare Kosten. Der Gesamtbetrag wird auf über 45 Milliarden geschätzt (Quelle: sipri Jahrbuch 2012, Kurzfassung auf Deutsch S. 9). Der Haushalt des Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung liegt bei rund 6 Milliarden, von denen nur ein kleiner Teil unmittelbar in Entwicklungsprojekte fließt.  ↩

  2. Vgl. Harald Welzer, Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird, Frankfurt/M 2008.  ↩

  3. Maybritt Brehm, Christian Koch, Werner Ruf, Peter Strutynski, Armee im Einsatz. 20 Jahre Auslandseinsätze der Bundeswehr, Hamburg 2012, S. 192f.  ↩

  4. Michael Brzoska, Friedensmissionen: Erfolg und Scheitern, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 1, 2006, S. 1492–1498, hier S. 1495. Bürgerkriege sind mit militärischen Mitteln von außen nur sehr schwer zu begrenzen oder gar zu lösen. In Ruanda z.B. dürfte ein UN-Mandat sinnvoll gewesen sein. Da das Land aber für die Industrienationen des Westens strategisch uninteressant war, unterblieb eine solche in diesem Falle wirklich humanitäre Intervention jedoch.  ↩

  5. Zur Militarisierung der EU-Außenpolitik vgl. Tobias Pflüger/Jürgen Wagner, Europas Kriege der Zukunft, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 6, 2005, S. 715–724.  ↩

  6. http://www.zaronews.com/zaronews-presseberichte/egon-bahr-schockt-die-schueler-es-kann-krieg-geben, Abruf 01.06.2014.  ↩

  7. Norman Paech, Gerhard Stuby, Völkerrecht und Machtpolitik in den internationalen Beziehungen, Hamburg 2013, S. 292; Zitat im Zitat von US-General A. M. Gray, 1991.  ↩

  8. Brehm u.a., S. 18.  ↩

  9. So das Gutachten des damaligen Justizministers der USA, William P. Barr, von 1989, vgl, Paech/Stuby, Völkerrecht, S. 288ff.  ↩

  10. Paech/Stuby Völkerrecht, S. 296. Auch für den ISAF-Einsatz, der den “Endouring freedom” genannten Angriffskrieg der USA gegen die Taliban in Afghanistan unterstützt, gibt es kein UN-Mandat. Man lese das Gutachten von Norman Paech “Afghanistan-Krieg, Bundeswehreinsatz und Völkerrecht”, und den Wortlaut der UN-Resolution Nr. 1368 nach. Zum Irakkrieg vgl. den Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch vom 26.02.2004, auszugsweise abgedruckt in Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 11, 2003, S. 366–373.  ↩

  11. Vgl. Paech/Stuby, Völkerrecht, S. 296.  ↩

  12. Brehm u.a., Armee im Einsatz, S. 26, mit Beispielen solcher Fälle.  ↩

  13. Paech/Stuby, Völkerrecht, S. 301ff.  ↩

  14. Peach/Stuby, Völkerrecht, S. 304f; vgl. den Bericht von Amnesty International über die Drohneneinsätze der USA in Pakistan, zu denen Deutschland aktiv Hilfe leistete.  ↩

  15. Brehm u.a., Armee im Einsatz, S. 27ff., vgl. Wolf-Dieter Narr, Vom Kalten Krieg zur heißen Schlacht, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 11, 2005, 1350–1356.  ↩

  16. Brehm u.a., Armee im Einsatz, S. 71.  ↩

  17. Vgl. die beispielhaften Untersuchungen der Militäreinsätze im Kosovo, Kongo, Libanon, Somalia und Afghanistan bei Brehm u.a., Armee im Einsatz, und das Fazit, S. 187.  ↩

  18. Vgl. den Bericht unter http://www.tagesschau.de/inland/ruestungsforschung–100.html und den Kommentar des Vorsitzenden der “Stiftung Friedensbildung”, Rainer Braun, zu den gesellschaftlichen Gefahren dieser schleichenden Militarisierung unter http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video1354672.html.  ↩

  19. Heinrich v. Treitschke, Politik. Vorlesungen gehalten an der Universität zu Berlin, Band 2, Leipzig 1889, S. 552.  ↩

  20. Ralf Schöppner, Soldaten flechten keine Freundschaftsbändchen, diesseits online, http://www.diesseits.de/aktuelles-heft/1376085600/soldaten-flechten-keine-freundschaftsbaendchen  ↩

  21. Groschopp, Humanismus und Pazifismus, S. 5.  ↩

  22. Siehe: http://www.kmba.militaerseelsorge.bundeswehr.de/portal/a/kmba/!ut/p/c4- /04_SB8K8xLLM9MSSzPy8xBz9CP3I5EyrpHK93Myc4tTUnOL47NykRL2c1KTUvOLsUv2CbEdFABvNfu0!/.  ↩

  23. Siehe: http://www.eka.militaerseelsorge.bundeswehr.de/portal/a/eka/!ut/p/c4/- 04_SB8K8xLLM9MSSzPy8xBz9CP3I5EyrpHK93Myc4tTUnOL41OxEvZzsUv2CbEdFAHiYJjA!/.  ↩

  24. Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Unruhen_nach_Koran-Verbrennungen_in_Afghanistan_im_Februar_2012.  ↩

  25. Siehe: http://www.zeit.de/online/2006/44/afghanistan-bundeswehr-totenschaedel.  ↩

  26. Vgl.: Ulrike Scheffler, Sabine Würich: Operation Heimkehr. Bundeswehrsoldaten über ihr Leben nach dem Auslandseinsatz, Berlin 2014.  ↩

  27. Vgl. Thomas Heinrichs: Sowenig wie möglich und soviel wie nötig. Philosophisch-Juristische Überlegungen zum Verhältnis von Religion/Weltanschauung und Politik, in: Horst Groschopp (Hg.), Humanismus - Laizismus - Geschichtskultur, Aschaffenburg 2013, S. 34–58.  ↩

  28. So auch schon 1964 Erwin Fischer, Trennung von Staat und Kirche, 3. Auflage, Frankfurt/M. 1984, S. 249ff, Gerhard Czermak, Religions- und Weltanschauungsrecht, Berlin, Heidelberg 2008, S. 221f.  ↩

  29. Vgl. Czermak, Religions- und Weltanschauungsrecht, S. 221, Heinrichs, So wenig wie möglich.  ↩