„70 % der Bundesbürger religiös"? Nein.

HAMBURG/BERLIN. (hpd) In der Samstagsausgabe der WELT konnte man unter der Überschrift: „Gott bewegt die Deutschen

und die Welt“ lesen: „Eine umfassende Studie zur Religiosität widerlegt die Annahme, dass der Glauben in Deutschland in die Bedeutungslosigkeit abrutscht.“ Parallel dazu wurde berichtet: „Religion in Deutschland – fünf populäre Irrtümer“ – eine andere Zitierung der Inhalte der ersten Meldung in der gleichen Zeitung.

 

Beide Artikel beruhen auf der zusammengefassten Pressemitteilung der Bertelsmann-Stiftung, die diese Meldung als Hauptartikel auf ihrer Internetseite stehen hat: „Im Fokus: Jeder fünfte Bundesbürger ist ein hochreligiöser Mensch. Neuer Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung ermittelt Verbreitung von Religiosität. In der deutschen Bevölkerung sind Glauben und Religiosität noch weit stärker verbreitet, als dies zumeist vermutet wird. So können rund 70 Prozent der Menschen hierzulande als religiös eingestuft werden und nahezu jeder Fünfte sogar als hochreligiös. Lediglich 28 Prozent weisen in ihrer persönlichen Identität keinerlei religiöse Dimensionen auf. Auch im zeitlichen Trend kann keine anhaltende Säkularisierung breiter Bevölkerungsschichten festgestellt werden."

In der längeren Pressemitteilung, (die auf eine Pressekonferenz am kommenden Dienstag in Berlin hinweisen soll) und in den beigefügten Materialien, insbesondere dem umfangreichen „Kurzbericht zu ersten Ergebnissen des Religionsmonitor" wird bald deutlich: Alles schon bekannt.

Terminologische Trickkiste

Auch die Anfragenden beim Humanistischen Pressedienst – ob die Ergebnisse dieser Studie denn stimmen würden –, können sich wieder zurücklehnen. Die Darstellung der Ergebnisse ist nur ein verbaler Trick der Öffentlichkeitsarbeit der Bertelsmanns-Stiftung.

In der Studie werden für die Religiosität der Befragten drei Gruppen unterschieden: Nicht-Religiös - Religiös - Hoch Religiös. Nennt man diese drei Gruppen weniger spektakulär: Nicht religiös - Religiös indifferent/unentschieden - Religiös, dann entspricht das dem Sprachgebrauch und den Ergebnissen, die in der empirischen Sozialforschung schon seit Jahren vorliegen.

Zur Methode

Die Forscher des „Religionsmonitors" der Bertelsmann-Stiftung haben den Befragten fünf Fragen als Indikatoren zur Messung der Zentralität der Religiosität gestellt:

  • Intellekt: Wie oft denken Sie über religiöse Themen nach?
  • Ideologie: Wie stark glauben Sie daran, dass es Gott oder etwas Göttliches gibt?
  • Öffentliche Praxis: Wie häufig nehmen Sie an /Gottesdiensten /Synagogengottesdiensten /Gemeinschaftsgebeten / Tempel (gehen) /spirituellen Ritualen oder religiösen Handlungen /teil?
  • Private Praxis: Wie häufig beten Sie? / Wie häufig meditieren Sie?
  • Erfahrung: Wie oft erleben Sie Situationen, in denen Sie das Gefühl haben, dass Gott oder etwas Göttliches in Ihr Leben eingreift? / Wie oft erleben Sie Situationen, in denen Sie das Gefühl haben, mit Allem Eins zu sein?

Die Antworten auf die fünf Fragen wurden von 1 bis 5 kodiert (1 = nie / gar nicht; 2 = selten / wenig; 3 = gelegentlich / mittel; 4 = oft / ziemlich; 5 = sehr oft / sehr). Dem entsprechend erstreckt sich der Zentralitätsindex von 5 bis 25 Punkten. 5 Punkte haben die Befragten, die alle fünf Fragen mit „nie / gar nicht" beantwortet haben, 25 Punkte diejenigen, die auf alle fünf Fragen mit „sehr oft / sehr" geantwortet haben.

Wer 5 - 10 Punkte hatte, wurde als „nicht religiös" eingestuft, von 11 - 19 Punkten wurde man als „religiös" bewertet und von 20 - 25 Punkten ist der Befragte „hoch religiös".

Schon allein diese Zuordnungen zeigen die Schieflage der Bewertung, da alle im breiten mittleren Häufigkeitsbereich, die ein „selten" oder „gelegentlich" angaben, als „religiös" vereinnahmt wurden. Wenn man also 75 % des möglichen Antwortvolumens (5-10 bzw. die 11-25 Punkte) als „religiös" einstuft, dann ist es nicht überraschend, dass 70 % als „religiös" eingestuft werden - eigentlich hätten es mehr sein müssen.

Die drei Gruppen des Religionsmonitors sind 28 % „nicht religiös", 52 % „religiös" und 18 % „hoch religiös".

Religiositätsindex der Selbsteinstufung.

Zu den traditionellen eindimensionalen Indikatoren der Religiosität gehört entweder die Häufigkeit des Gottesdienstbesuches oder die Selbsteinstufung auf einer 10er-Skala, die von „nicht-religiös" (1) bis „religiös" (10) reicht.

Nach den Ergebnissen, beispielsweise der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (ALLBUS) 2002 stufen sich 48 % der Befragten als überwiegend „nicht religiös" ein (Skala 1-5) und 52 % der Befragten als überwiegend „religiös" (Skala 6-10).

Unterteilt man diese Skala in vier Gruppen sind 26 % der Befragten „nicht religiös" (Skala 1-2), 22 % „eher nicht/weniger religiös" (Skala 3-5), 34 % „eher/mehr religiös" (Skala 6-8) und 18 % sind „religiös" (Skala 9-10).

In einer Zusammenfassung analog der Dreiteilung des Religionsmonitors sind dann 26 % „nicht religiös", 56 % „minder oder mehr religiös" und 18 % „religiös".

Um es noch einmal zusammenzufassen: Religionsmonitor (2007): 28 - 52 - 18, ALLBUS (2002): 26 - 56 - 18. Das gleiche Ergebnis - nur anders benannt.

In der Religiosität also nichts Neues

Auch die weiteren in den ALLBUS-Daten bereits festgestellten Verteilungen, nach Religionszugehörigkeiten (Katholiken sind religiöser als Evangelische) und nach Alter (Ältere sind religiöser als Jüngere) oder nach Geschlecht (Frauen sind religiöser als Männer) sind hinlänglich bekannt.

Fazit: Man merkt die Absicht der Bertelsmann-Stiftung und ist amüsiert.

CF.