Sonntagsruhe – oder auch nicht

NORDRHEIN-WESTFALEN: „Die rechte und die linke Hand der Kirchen.“

Ein Bericht und Kommentar

von Thomas Häntsch.


Die Nordrhein Westfälische Landesregierung hat am 16.11.2006 das <Gesetz zur Regelung der Ladenöffnungszeiten> beschlossen. Nach Ausfertigung und Verkündung tritt das Gesetz heute (21.11.2006) in Kraft.

 

Wichtigste Neuerung ist, dass an Werktagen die Ladenöffnungszeiten vollständig freigegeben werden. Jedes Geschäft in NRW kann von Montag bis Samstag 24 Stunden geöffnet bleiben. Gleichzeitig hat die Landesregierung den Sonntag weitgehend „geschützt“, so dass es nur 4 verkaufsoffene Sonntage im Jahr geben wird, einer davon darf ein Adventssonntag sein. Der Verkauf an diesen Tagen wird auf höchstens fünf Stunden beschränkt, um den Sonn- und Feiertagsschutz weiterhin sicherzustellen.

Ausgenommen sind (§ 5,1) „Verkaufsstellen, deren Angebot überwiegend aus den Warengruppen Blumen und Pflanzen, Zeitungen und Zeitschriften oder Back- und Konditorwaren besteht, für die Dauer von fünf Stunden“ sowie Waren zum sofortigen Verzehr bei Kultur- oder Sportveranstaltungen und Hofläden landwirtschaftlicher Betriebe - bis zu fünf Stunden.

 

Möglich wurde die neue Regelung durch die Föderalismusreform, mit der die Gesetzgebungskompetenz auf die Länder überging. Die Folge: <Zehn Bundesländer> werden die Ladenschlusszeiten abschaffen. Berlin ist der Vorreiter. Dort dürfen die Geschäfte bereits von Montag bis Sonnabend rund um die Uhr öffnen. Und es gibt zehn verkaufsoffene Sonntage.

Festgelegt werden in NRW die vier verkaufsoffenen Sonn- und Feiertage durch die Kommunen, dabei ist (§ 6, 4, 3. Satz) auf die Zeit der Hauptgottesdienste Rücksicht zu nehmen. Ausgenommen von dieser Regelung sind jedoch der 1. und 2. Weihnachtstag, Ostersonntag, Pfingstsonntag sowie die so genannten stillen Feiertage (Karfreitag, Allerheiligen, Totensonntag, Volkstrauertag), an denen die Geschäfte auf jeden Fall geschlossen bleiben müssen.

 

Trotz dieser Rücksichtnahmen und den konkreten Hinweis auf den Schutz der Zeiten für christliche Gottesdienste hatten die Kirchen heftig gegen dieses Gesetz <protestiert>. In einem gemeinsamen Brief an alle Landtagsabgeordneten beklagten die katholischen Bischöfe und evangelischen Präsides Anfang November einen unzureichenden Schutz der Sonntagsruhe und warnten vor unzumutbaren Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im Handel.

Unter dem Motto: „Schutz des Sonntags beginnt am Vorabend“ protestierte der <KKV-Diözesanverband Köln> , Verband der Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung gegen die Einbeziehung des Samstages in die Ladenöffnungszeiten.

Wenn Läden am Samstag bis Mitternacht geöffnet seien und die Beschäftigten erst spät in der Nacht nach Hause kämen, sei auch der Sonntag für sie gelaufen, befürchten die Offiziellen der beiden Kirchen in Deutschland.

 

Warum? Haben die Kirchenmitglieder dann nicht die Zeit und den Antrieb, die sonntäglichen Gottesdienste und Messen zu besuchen? Zwei weitere Fragen: Schützen die Bischöfe eine Mehrheit oder möchten sie verhindern, dass eine Minderheit noch kleiner wird? Können Ladenöffnungszeiten einen gläubigen Christen vom Gottesdienst abhalten?


Die Antworten auf diese beiden Fragen erhält man bei Betrachtung der Teilnehmerzahlen an den Gottesdiensten. Die Katholische Bischofskonferenz gibt für 2005 eine <Gottesdienstbeteiligung>
von 14,2 % der registrierten Katholiken an. Die Evangelische Kirche beziffert die Teilnahme an den sonntäglichen Gottesdiensten (am <Zählsonntag „Invokavit“> ) mit 4 % (Erhebung von 2004).


Bei diesen Zahlen wird klar, wen oder besser was die Amtskirchen schützen wollen. Es geht nicht darum im Volk verankerten Glauben und christliche Traditionen vor allzu viel Marktwirtschaft zu schützen. Denn einen gläubigen Christen werden veränderte Öffnungszeiten von Geschäften nicht davon abhalten, den Gottesdienst zu besuchen. Es ist eher die Rolle des traditionellen „Sonntagsschützers“ Kirche - auch wenn die Kirchenmitglieder dann nur ausschlafen.

 

Doch wie immer ist sich jeder selbst der Nächste. Das trifft in hohem Maße auch für die katholische Kirche zu. Wenn es um ihre Belange geht, dann wird auch der Sonntag zum Arbeitstag.

 

Denn, wie heißt es im neuen Gesetz: „§ 6. Weitere Verkaufssonntage und -feiertage. (1) An jährlich höchstens 4 Sonn- oder Feiertagen dürfen Verkaufsstellen bis zur Dauer von fünf Stunden geöffnet sein. (2) Verkaufsstellen in Kurorten, Ausflugs-, Erholungs- und Wallfahrtsorten mit besonders starkem Tourismus dürfen an jährlich höchstens 40 Sonn- oder Feiertagen bis zur Dauer von acht Stunden geöffnet sein. Neben den Waren, die für diese Orte kennzeichnend sind, dürfen Waren zum sofortigen Verzehr, frische Früchte, Tabakwaren, Blumen und Zeitungen verkauft werden.“

 

Bei den „höchstens 40 Sonn- und Feiertagen“ handelt es sich tatsächlich um rund 9 Monate, also eher die Regel – vom Frühjahr bis zum Herbst – als die Ausnahme. Und was an Wallfahrtsorten Waren sind, „die für diese Orte kennzeichnend sind“ - Devotionalien - ist ein weites Feld. Und die dritte Bedingung, des „besonders starken Tourismus“ - wo gibt es die?

 

Vor Ort

Die Pilgerzeit in Kevelaer - nach Altötting zweitgrößter Marienwallfahrtsort in Deutschland - beginnt alljährlich mit der Öffnung des Pilgerportals der Basilika am 1. Mai und schließt am 1. November. Im Schnitt besuchen ca. 800.000 bis 1 Million Pilger die Stadt, um das unscheinbare Wallfahrtsbild mit dem Titel der „Trösterin der Betrübten“ zu verehren.

Diese Menschenmassen bergen neben der Wirkung als Aushängeschild für die Kirche ein Potential für Handel und Gewerbe des Ortes: <“Wohlstand durch Wallfahrt“> . Ein volles Programm: „Sonntags in der Basilika: 07.15 Uhr Heilige Messe, 08.30 Uhr Heilige Messe, 10.00 Uhr Hochamt mit Chor und Orchester, 11.30 Uhr Heilige Messe, 15.00 Uhr Pilgerpredigt und Andacht, 19.30 Uhr Heilige Messe“ „Beichtgelegenheit ist täglich (außer von 12-14 Uhr) in den Sprachen Deutsch, Niederländisch und Englisch.“ Zwei Dutzend Pauschalprogramme vom Wallfahrtstag in Kevelaer bis zur Freizeit im Fahrradsattel können über das Verkehrsbüro gebucht werden. Tendenz steigend!“

 

Also ist die Verknüpfung von Politik und Kirche hier besonders eng. In Kevelaer befinden sich die Mitglieder der <Wallfahrtsleitung> in guter <Gemeinschaft> mit der Kevelaerer Wirtschaftsförderung.

So beschwerte sich der Wallfahrtsdirektor, Pfarrer Stefan Zekorn, dass der Platz auf der Hauptsstrasse für die durchziehenden Pilgergruppen nicht optimal sei, weil die Tische der vielen Cafes und Gaststätten den Weg einengen. Es bleibt abzuwarten, welche Maßnahmen die Stadt ergreifen wird, um diesen „Missstand“ abzustellen.

 

Die Folge dieser „heiligen“ Allianz ist, dass man in Kevelaer von Mai bis November an Sonntagen bis 18:00 Uhr fast alles kaufen kann. Am Sonntag einzukaufen - in Kevelaer kein Problem: fast alle Geschäfte haben geöffnet.

 

Alles das – was die Kirche am neuen Ladenschlussgesetz kritisiert – wird in Kevelaer praktiziert.