Darwins Kosmos

Individueller Lebenssinn und Weltveränderung

Konsequent negiert Wuketits absolute Werte und einen objektiven Lebenssinn: „in einer sich wandelnden Welt kann es keine für alle Zeiten und alle Gesellschaften verbindliche Moral geben. Anders gesagt: Wir sind angehalten, stets aufs Neue darüber nachzudenken, was als moralisch gut oder schlecht gelten kann“ (S. 116). Wuketits betont den moralischen Relativismus nachdrücklich, weil gerade darüber der Wert des Individuums anerkannt werde. Andererseits unterläuft Wuketits den eigenen Relativismus mit moralischen Minimalforderungen: „Da jeder Mensch physische und seelische Schmerzen empfinden kann, sollen ihm solche auch nicht zugefügt werden“ (S. 117). Wuketits differenziert diese moralischen Minima, verwahrt sich aber gegen eine Prinzipienethik mit Absolutheitsanspruch.

Ähnlich verfährt Wuketits mit Sinn, der „ein menschliches Konstrukt und nicht die Wesenseigenschaft irgendeiner 'Sache' – oder des ganzen Universums – ist“ (S. 121). Eindringlich warnt Wuketits vor „selbsternannten Propheten, Weltverbesserern und Politikern, die glauben, von Gott inspiriert zu sein“ (S. 121). Was an freundlichen Empfehlungen folgt, ist „lebenspraktisch ... auf Nahziele beschränkt“ (S. 121):
- im Kleinen positiv wirken (S. 123),
- Kindern oder Erwachsenen mit Geschenken Freude bereiten (S. 124),
- insgesamt die „kleinen Freuden unseres Alltags“ (S. 127) pflegen, sei’s sich „am geselligen Leben erfreuen, am Gespräch mit interessanten Artgenossen, an der Lektüre von Büchern, an artfremden Hausgenossen wie Hunden, Katzen oder Kanarienvögeln ... und uns nicht blenden lassen von all jenen Finsterlingen in den Kirchen, in Politik und Wirtschaft, die meinen, dass unser Sinn – in ihrem Sinne – vorgegeben sei“ (S. 127).

Wenn es einen absoluten, objektiven Sinn nicht gibt, ist es völlig richtig zu fragen, ob jemand, der einen solchen absoluten Sinn predigt, damit nicht eigene Machtinteressen verfolgt. Gegenüber großen Visionen bleibt Wuketits skeptisch: „Groß angelegte Versuche, die ganze Welt zu verändern, führen – Geschichte und Gegenwart demonstrieren es – ohnehin nur zu Katastrophen.“ (S. 123). Insofern scheint es konsequent, wenn Wuketits das „kleine“ Wirken im näheren Umfeld anrät.

Allerdings ist dieses nähere Umfeld nicht voraussetzungslos – vielmehr Ergebnis einer langen kulturellen Entwicklung in Mitteleuropa. Lobend zitiert Wuketits Kant, schätzt das mündige Individuum: daß ein Individuum überhaupt einen Wert hat oder mündig sein sollte, war und ist keineswegs selbstverständlich – sondern hochspezielles Ergebnis (mitteleuropäischer) Aufklärung. Erst die mit ihr erkämpften Wertsetzungen lassen es heute selbstverständlich erscheinen, daß ein jeder die freie Wahl zwischen Briefmarken-Sammeln, Hundepflege oder welcher Beschäftigung auch immer haben solle. So nachvollziehbar die Warnung vor großartigen Weltveränderungsvisionen ist: auch die heutige relative Freiheit gründet auf der (1789 umstürzlerischen) Vision der Menschenrechte, der sicher blutigen Französischen Revolution (samt Folgewirkungen), aus der eine neue gesellschaftliche Organisation sich entwickelte. So riskant jede neue großartige Vision ist – ein Rückzug nur in den „kleinen“, privaten Bereich könnte sich als ebenso riskant erweisen. Denn „Privatbereich“ setzt eine bestimmte Gesellschaftsorganisation voraus.

Die Privatsphäre sieht auch Wuketits bedroht: „Eine Überregulierung und Verrechtlichung des individuellen und gesellschaftlichen Lebens sind längst nicht mehr zu übersehen – und stellen eine große Bedrohung für jeden einzelnen Menschen dar.“ (S. 109). Genau darum scheinen mir soziologische Analyse im allgemeinen und ein spezifischer Blick auf Organisationen im speziellen nötig: welche Organisationsstrukturen stärken (unter der Randbedingung der Massengesellschaft, nicht des Auswanderns) individuelle Entscheidungsspielräume? Welche engen sie (weiter) ein? Und wie gelangen wir zu ersteren? „Wir können es als sinnvoll ansehen, positiv in unserer Gesellschaft zu wirken und diese zu verbessern“ (S. 123) – oder könnte es schon zum Erhalt des Status Quo notwendig sein?
Insgesamt ist „Darwins Kosmos“ lesenswert: eine knappe, dabei leicht verständliche Einführung in die biologischen Grundbegriffe der Evolution, eine präzise Zusammenfassung der Argumente gegen Kreationisten – und eine angenehme Aufforderung, im besten Kantschen Sinne selbst zu denken!

 

Peter Menne ist Vorsitzender der Humanistischen Union Frankfurt und hat die Lesung am 16. Oktober 2009 im Club Voltaire organisiert.

Franz M. Wuketits: Darwins Kosmos. Sinnvolles Leben in einer sinnlosen Welt. Aschaffenburg: Alibri Verlag, 2009, 162 Seiten, 14 Euro

14. Oktober
Ulm, Volkshochschule, EinsteinHaus, Kornplatz 5, 20 Uhr
Evolution ohne Fortschritt
Vortrag von Franz Wuketits

15. Oktober
München, Technische Universität, Gebäude 0504, R 1402,(Eingang Luisenstraße), 19.3o Uhr
Darwins Kosmos
Vortrag von Franz Wuketits

16. Oktober
Frankfurt, Club Voltaire, Kleine Hochstraße 5, 19.3o Uhr
Darwin Kosmos
Vortrag von Franz Wuketits

17. Oktober
Heidelberg, Forum 37, Hauptstr. 37, 20 Uhr
Darwins Kosmos
Vortrag von Franz Wuketits

18. Oktober
Köln
, Naturfreundhaus Köln Kalk, Kappellenstr. 9, 17 Uhr
Darwins Kosmos
Vortrag von Franz Wuketits