Portraitskizzen revolutionärer Freimaurer

(hpd) Der Journalist Lorenz Jäger will in seinem Buch „Hinter dem großen Orient. Freimaurerei und Revolutionsbewegungen“ den Kontext von französischer Freimaurerei und politischen Umbrüchen anhand von einzelnen Fallstudien erörtern. Dabei kommt er aber nicht über Portraitskizzen von Freimaurern, die auch Revolutionäre waren, und Revolutionären, die auch Freimaurer waren, hinaus.

Bereits vor der Französischen Revolution wurde die Freimaurerei beschuldigt, im Geheimen gegen die Gesellschaftsordnung von Thron und Altar tätig zu sein. Aus dieser Auffassung entstand später eine systematische Konspirationsideologie, wonach alle Krisen und Revolutionen letztendlich das Werk der Logen seien. Heute gelten derartige Vorstellungen als überkommene „Verschwörungstheorien“, fanden sie doch in erster Linie bei Klerikalen, Monarchisten und Völkischen Anerkennung und Verbreitung. Der damit verbundenen Geringschätzung derartiger Behauptungen steht allerdings die Erkenntnis gegenüber, dass nicht wenige Akteure revolutionärer Prozesse tatsächlich Freimaurer waren. Dem realen Hintergrund von Logen und Revolutionären will Lorenz Jäger, Redakteur im Feuilleton der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, nachspüren. In seinem Buch „Hinter dem großen Orient. Freimaurerei und Revolutionsbewegungen“ behandelt er dabei das Wirken der französischen Freimaurerei, wie er meint, anhand der „wirklichen Quellen“ (S. 22).

„Untersucht werden sollen“, so formuliert der Autor, „die Strahlungsfelder des Grand Orient, und ... diese werden nicht systematisch, sondern in Skizzen behandelt“ (S. 24). Dabei stützt er sich nicht auf die antifreimaurerische Pamphlet-Literatur, sondern nennt Briefeditionen und und Studien als Quellen. Die zwölf Kapitel des schmalen Bandes schildern im Kern das Wirken einzelner Freimaurer, die zugleich Intellektuelle, Kritiker oder Revolutionäre waren, in bestimmten historischen Umbruchprozessen. Da geht es um Georg Forster und Junius Frey als Jakobiner in der Französischen Revolution und Filippo Buonarroti als Frühkommunisten, um Michael Bakunin und Moses Hess in den revolutionären Umbrüchen nach 1848, die Erste Internationale und die Pariser Kommune, die Freimaurer unter den Jungtürken beim Umsturz von 1908 und unter den Februarrevolutionären von 1917 in Russland sowie um Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky als „Weltbühne“-Autoren und das öffentliche Engagement der gegenwärtigen französischen Freimaurerei zu Abtreibung und Sterbehilfe.

Bilanzierend bemerkt Jäger zum Einen bezüglich des angeblichen Kontextes von Logen und Revolution: „Die Freimaurerei diente den Revolutionsbewegungen teils als Rekrutierungsraum, teils als Kommunikationsnetzwerk; manchmal als Rückzugsbasis und manchmal als Versteck, als Stückpunkt legaler Deckung. Nirgendwo hat sich wie in Frankreich, und von dort ausgehend dann auch in den anderen Ländern der Romania, der Zusammenhang von Ideologie der Republik, Antiklerikalismus und Freimaurerei so deutlich hergestellt“ (S. 24). Zum Anderen heißt es über die behaupteten Folgen politischen Einflusses der Logen: „Zieht man die Linien des freimaurerischen Gedankens aus, dann steht am Ende die völlig autonom gewordene Menschheit. Aber zugleich wäre sie dann unausweichlich einer geheimen Leitung unterworfen, einem verschwiegenen Kreis, zu dessen innersten Lehren kein Uneingeweihter Zugang haben darf, der durch eine Omertà nach Außen geschützt wäre und die Erforschung seiner Soziologie proskribieren könnte“ (S. 136).

Die Beurteilung über Jägers Arbeit fällt überwiegend negativ aus: Der Autor formuliert keine klare Fragestellung, will er doch „Strahlungsfelder ... nicht systematisch, sondern in Skizzen“ (S. 24) behandeln. Die letztgenannten Formulierungen sprechen für eine fragmentarische Perspektive, mit den „Strahlungsfeldern“ wird ein dunkler Stil bemüht, aber keine klare Richtung aufgezeigt. In den einzelnen Kapiteln veranschaulicht Jäger: Es gab Freimaurer, die auch Revolutionäre waren, und Revolutionäre, die auch Freimaurer waren. Nur, was soll dies letztendlich bedeuten: Handelten die jeweiligen Personen als Freimaurer im Auftrag ihrer Loge oder handelten sie aufgrund einer politischen Einstellung oder sozialen Herkunft unabhängig von einer solchen Zugehörigkeit? Wenn Jäger Ersteres belegen will - er behauptet es nicht dezidiert, sondern insinuiert es allenfalls - dann hätte es doch einer klareren Beweisführung und nicht der bloßen Namensnennungen bedurft. Immerhin greift Jäger eine interessante Fragestellung auf, mit bloßen „Skizzen“ wird sie aber nicht beantwortet.

Armin Pfahl-Traughber

Lorenz Jäger, Hinter dem Großen Orient. Freimaurerei und Revolutionsbewegungen, Wein 2009 (Karolinger Verlag), 141 S., 19,90 €