Unterrichtsbefreiung nur für Religiöse

BERLIN. (hpd) Nach einer ausdrücklichen Bekundung der Berliner Wahlberechtigten im Volksentscheid zu „Pro Reli“, dass Religionsunterricht an den Schulen freiwillig bleibt und der Status des Faches nicht verändert werden solle, wurden jetzt an den Schulen des Bundeslandes Berlin neue religiöse Freiräume geöffnet.

Die Mutter eines schulpflichtigen Sohnes in Berlin wollte ihren Augen nicht trauen, als ihr Sohn vergangene Woche ein Schreiben der Senatsverwaltung mit nach Hause brachte, dass alle Schülerinnen und Schüler erhalten hatten. Auf diesem Blatt stand:

"Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schülerinnen und Schüler,
die Senatsverwaltung für Bildung hat sehr kurzfristig entschieden, dass ab sofort für evangelische Schülerinnen und Schüler neben dem Reformationstag auch der Buß- und Bettag ganztägig unterrichtsfrei ist. Damit haben nur die evangelischen Schülerinnen und Schüler auch am Mittwoch, dem 18.11.2009 ganztägig unterrichtsfrei. Die Freistellung an diesem Tag gilt nicht als Fehltag.
Die Freistellung an dem Tag ist ein Recht, und natürlich keine Pflicht. Wenn eine evangelische Schülerin bzw. Schüler an dem Tag zur Schule kommen möchte, ist er oder sie herzlich willkommen."

Die Mutter ist verärgert: „Mein Sohn hat inzwischen mitgeteilt, dass etwa die Hälfte der Kinder seiner Klasse an diesem Tag nicht zur Schule kommen wird. Somit ist dann auch wohl kein vernünftiger Unterricht mehr möglich. Ich meine, eine Beschäftigungstherapie braucht mein Kind auch nicht.
Wir haben für uns beschlossen, unseren Sohn nun am 10. Dezember (Tag der Menschenrechte) und am 21. Juni (Tag des Humanismus) zu Hause zu behalten und das Fernbleiben auch so der Schule zu erklären.“

Wie diese Privilegierung der Religiösen von den säkularen Mitschülern wahrgenommen wird, ist deutlich. „Bei den Kindern geht es natürlich nicht um büßen und beten, sondern die freuen sich, dass sie einen freien Tag bekommen. Und: Dankeschön, liebe Kirche! Und: Ätsch, ihr anderen kriegt nicht frei! Auch ein psychologischer Trick, um Kinder für sich zu gewinnen. Unser Sohn jedenfalls findet das ärgerlich, dass die nun frei kriegen und er nicht. Eine Strafe für: Nicht in der Kirche sein?“ Die Eltern wollen das so auch nicht hinnehmen: „Für uns ist jedenfalls das Fernbleiben unseres Sohnes von der Schule zunächst am 10. Dezember beschlossene Sache.“

Gleichbehandlung der Konfessionen

Diese neue Regelung verweist auf die bereits bestehenden Regelungen der Schulpflicht und der Möglichkeiten der Unterrichtsbefreiung.

Die Senatsverwaltung für Bildung schreibt in ihrem Schulkalender: „Auch die Befreiung vom Unterricht ist nur in wichtigen Gründen möglich. Welche Gründe dies sein können, an welchen Feiertagen der jeweiligen Religionsgemeinschaften die Schüler frei haben und wie Entschuldigungen bei Schulversäumnissen erfolgen müssen ist in der AV Schulpflicht geregelt.“

Seit dem 3. November wurden diese Ausführungsbestimmungen durch eine Verwaltungsvorschrift geändert, so dass es jetzt heißt: "Neu: Für evangelische Schülerinnen und Schüler besteht künftig am Reformationstag (31. Oktober) und am Buß- und Bettag keine Verpflichtung zum Schulbesuch. Das betrifft schon den diesjährigen Buß- und Bettag am 18.11.2009. Außerdem wird am Epiphaniasfest (6. Januar) auf Antrag eine zweistündige Unterrichtsbefreiung zum Besuch der Kirche gewährt. Diese Regelung wurde aus Gründen der Gleichbehandlung der Konfessionen getroffen. Ihre Inanspruchnahme ist freiwillig. Die Erziehungsberechtigten bzw. die mindestens 14 Jahre alten, religionsmündigen Schüler können sich auch an diesen Tagen für den Schulbesuch entscheiden. Die jeweilige Entscheidung sollte zweckmäßigerweise der Schule mitgeteilt werden.“

Initiative der evangelischen Landeskirche

Wie die Evangelische Landeskirche auf Anfrage bestätigte, kam diese Ergänzung der Verwaltungsvorschrift auf Initiative der Landeskirche zustande. Aus Sicht der Landeskirche wird damit Art. 4 GG (Freiheit der Religionsausübung) auch für evangelische Schüler gewährleistet. Zu der Frage, ob diese Unterrichtsbefreiung auch für humanistische Schüler an deren Gedenktagen gelten sollte, hat die Landeskirche jedoch keine Meinung und beschränkt die Absicht der Gleichstellung ausschließlich auf evangelische, katholische, jüdische und muslimische Schülerinnen und Schüler.

Anhebung der Privilegierungen

Bemerkenswert ist dabei, dass die innerkirchliche/religiöse „Religionsmündigkeit“ es den Schülern erlaubt, sich ab dem vierzehnten Lebensjahr an diesen Tagen vom allgemeinen Unterricht für alle - wie Deutsch, Mathematik oder Biologie, abzumelden -, ist eine eigenartige Übertragung religiöser Bestimmungen auf das staatliche Recht.

In der Alternative, diese religiösen Privilegierungen entweder abzusenken – Schulpflicht gilt für alle Schülerinnen und Schüler gleichermaßen -, oder die der noch größten Religionsgemeinschaft angehörigen Schüler ebenfalls in der Privilegierung anzuheben – und damit den Schulunterricht für die übrigen Schüler ad absurdum zu führen – hat sich der Senat für die Ausweitung entschieden.