Er nannte mich einen „Wolf im Schafspelz“

 

Als mich dann der Kirchenrechtsprofessor während des Diplomexamens fragte, ob ich bei ihm promovieren wolle, lehnte ich zunächst ab und gab an, in neuerer Geschichte promovieren zu wollen. Das stimmte damals auch. Doch das immer neue Insistieren des Kirchenrechtsprofessors blieb schließlich nicht ohne Wirkung. Prognosen, wie: “Sie gehören in den Generalstab“, haben für einen jungen Menschen etwas sehr Verführerisches, und so begann ich mit dem Studium des Kirchenrechts und der Rechtswissenschaft. Die strenge Logik der Juristerei machte mir Spaß. Neben dem Studium gab ich 15 -18 Stunden in der Woche Unterricht an diversen Berufsschulen in München und so konnte ich meine Arbeit mit Jugendlichen fortsetzen.

An das Studium schließt sich erst einmal eine beeindruckende Bilderbuch-Karriere an. Welche Gedanken und Vorstellungen motivierten Dich?

Ob es eine Bilderbuchkarriere gewesen ist, weiß ich nicht; auf jeden Fall konnten wir damals noch ohne Zwang zeitlicher Befristung studieren. So habe ich auch noch als Assistent in fremden Gefilden „gewildert“, was mir für die akademische Karriere von großem Vorteil war, kannte ich doch viele Lehrer der Universitäten in München und Freiburg. Damals wurde die Basis für viele Kontakte gelegt, die mir später geholfen haben. Mir machte es schlicht Spaß, „zweckfrei“ zu arbeiten und zu denken.


Gab es Vorbilder?

Aus der Vielzahl beeindruckender Menschen will ich nur den Münchner Moraltheologen Richard Egenter und wieder den Neutestamentler Josef Schmid nennen. Dieser fragte mich eines Tages unvermittelt auf dem Gang vor seinem Institut, ob ich ihm kurz sagen könnte, was die Kirche sei. Ich versuchte ihm eine korrekte theologische Definition zu geben. Er sagte: „Quatsch! Die Kirche ist ein Brokatmantel über einem riesengroßen Misthaufen!“ Das Antimodernistenzeitalter war noch nicht lange vorbei und viele Wunden waren noch offen!

Und dann gab es in München zwei bedeutsame Kreise, die mich geprägt haben: einen sehr lebendigen Kreis katholischer Laien, die später Professor Schmaus als "ehemals Katholische Laien“ verunglimpfte, und die Oratorianer um Heinrich Kahlefeld und Philipp Dessauer. Viele hielten mich damals für einen Oratorianer. Was mich sehr kränkte, denn ich wollte unabhängig sein und meine Freiheit nicht für ein Linsen-Gemüse preisgeben.

Da schließt sich gleich meine nächste Frage an: Als Dekan der Fakultät und als Rektor der Universität von Tübingen, und damit Dienstvorgesetzter von Professor Josef Ratzinger, hast Du die Missio aus eigenem Entschluss heraus zurückgegeben?  Ist diese Entscheidung gereift – oder war der Gedanke eher plötzlich da und nahm seinen Lauf?

Meine Beziehung zu Herrn Ratzinger war sehr widersprüchlich: einerseits nahm ich ihn aus Kollegialität mit meinem Wagen zu unzähligen Konzerten und Veranstaltungen mit und andererseits war ich sein schärfster Widersacher. Deshalb nannte er mich einen „Wolf im Schafspelz“, weil ich damals im Winter einen Ledermantel mit einem Schafspelz trug. - Er war, als mein Nachfolger in Dekans-Amt, ein Despot. Als es in einem Streit wegen der Maßregelung eines Kollegen an der Pädagogischen Hochschule in Reutlingen darum ging, dass die Fakultät ihre Solidarität mit dem gemaßregelten Kollegen bekundete, kam Ratzinger zu spät in die Sitzung. Er kassierte den einmütigen Beschluss der Fakultät und sagte, es sei unanständig, gegen den eigenen Bischof so etwas zu unternehmen. Ich war der einzige, der sich laut gegen diese Selbstherrlichkeit verwahrte, packte meine Sachen zusammen und verließ den Raum, die Türe zuknallend. Das war sonst nicht mein Stil, auch nicht in heftigen Auseinandersetzungen. Seither haben sich unsere Wege sehr verschieden entwickelt.

Hans Küng hatte Ratzinger unbedingt nach Tübingen holen wollen und geglaubt, er fände in ihm einen soliden Verbündeten. Ich habe nie daran geglaubt und mich gegen eine Berufung Ratzingers nach Tübingen bis zum Schluss gewehrt. Die Kollegen jedoch glaubten, ihn in die Fakultätsdisziplin einbinden zu können. Das war auch Küngs verhängnisvoller Irrtum. Außerdem war es jedem klar, dass er bei nächster Gelegenheit nach Regensburg wechseln würde. Dort war sein Bruder Chef der Regensburger Domspatzen.